Mehr Anerkennung für die unbezahlte Familienarbeit wünscht sich unsere Kolumnistin. Aber auch sie selbst hat sich vorgenommen, öfter mal ihren Kinder zu sagen, wie toll sie sie findet. Foto: Welzhofer/Welzhofer

„Net gschimpft isch globt gnug.“ Nach diesem schwäbischen Grundsatz erzieht unsere Kolumnistin leider viel zu oft ihre Kinder. Dabei stellte sie kürzlich beim Zahnarzt fest, wie gut ein Lob manchmal tut.

Stuttgart - Kürzlich war ich bei der Zahnreinigung. Es war neun Uhr morgens und ich hatte schon drei Stunden Familienarbeit hinter mir: Kinder wecken, Frühstück machen, Vesperbrote schmieren, Kinder ins Bad und in ihre Klamotten treiben, zur Kita rasen – der übliche Morgenwahnsinn eben. Ich lag also recht erschöpft auf dem Stuhl, das nervenaufreibende Geräusch des Zahnsteinentferners jagte mir Schauer über den Rücken und die Aussicht, danach eine Stunde lang keinen Kaffee trinken zu dürfen, machte es auch nicht besser. Um mich zu beruhigen, sagte ich mir im Geiste vor: „Du hast schon Schlimmeres überstanden, zum Beispiel zwei Geburten.“

Und als hätte sie meine stummen Durchhalteparolen gehört, sagte die Dentalassistentin am Ende der Prozedur zu mir: „Vielen Dank für Ihre Geduld, Ihre Kraft und Mitarbeit. Sie haben das ganz ganz toll gemacht.“ Und es klang tatsächlich so, als würde sie das todernst meinen. Ich fand das erst recht skurril und leicht überhöht, immerhin hatte ich ja nicht arg viel mehr gemacht, als eine halbe Stunde lang meinen Mund aufzuhalten. Aber dann hat es mich doch ein bisschen gerührt. Offenbar hatte diese ambitionierte junge Frau meine bedürftige Seite angesprochen.

Die amerikanischen Freunde sagten ständig: „Awesome! Great Job!“

In jedem Fall musste ich danach über angebrachtes und unangebrachtes Loben nachdenken. Zum Beispiel darüber, wann ich das letzte Mal gelobt worden war. Aber auch darüber, wann ich eigentlich das letzte Mal jemanden gelobt hatte, zum Beispiel meine Kinder. Um es vorweg zu nehmen: Ich stellte in der einen wie in der anderen Hinsicht gewisse Defizite fest.

Das Loben hat ja in Schwaben nicht unbedingt Tradition. „Net gschimpft isch globt gnug“ – so bin ich sozialisiert. Ich führe es auch darauf zurück, dass ich meinen Kinder ehrlicherweise viel zu selten sage, wie toll sie das machen mit dem Großwerden. Das ist mir zum Beispiel aufgefallen, als wir letztes Jahr Freunde in den USA besucht haben. Das Paar hat eine vierjährige Tochter. Und wann immer das Mädchen irgendetwas erledigt hatte – aufs Klo gehen, sich anziehen, Purzelbäume schlagen, Alexa sagen, dass sie den Fernseher anmachen soll – , riefen ihre Eltern begeistert „Awesome! Great Job!“ (Fantastisch! Großartig gemacht!)

Auch wenn ich es arg übertrieben und typisch amerikanisch fand, das Kind für buchstäblich jeden Pups zu feiern, ist es natürlich richtig, die Kleinen möglichst oft „positiv zu bestärken“, wie das in Elternratgebern heißt. Und eben nicht darauf zu vertrauen, dass sie es schon als Lob empfinden, wenn die Mama mal nicht schimpft. Wer Fundierteres dazu wissen möchte, der lese nach bei Jesper Juul, Herbert Renz-Polster oder Nora Imlau.

Anerkennung der unbezahlten Care-Arbeit

Das Erlebnis mit meiner sehr ambitionierten Dentalassistentin hat mich deshalb auch an meinen Vorsatz erinnert, meinem Sohn (6) und meiner Tochter (fast 3) viel häufiger zu sagen, wie wunderbar ich sie finde. Zum Beispiel, wenn sie morgens relativ klaglos eine ziemlich muffelige und gestresste Mutter ertragen.

Womit wir dann auch bei meinem Gefühl der Rührung wären, als mir diese junge Frau verbal eine Art Tapferkeitsorden an die Brust heftete. Ich stellte mir kurz tatsächlich vor, meine Kinder würden mir mal für meine „Geduld, Kraft und Mitarbeit“ danken. Aber dann fand ich diese Vorstellung doch ein wenig gruselig.

Auf der Suche nach Lobdefiziten fiel mir da schon eher die Familienpolitik ein, die in Sachen Anerkennung von Mütter-(und Väter-)Arbeit bislang schwäbisch unterwegs ist, vor allem, wenn es ums Finanzielle geht. Ich stellte mir also kurz vor, dass ich zum Beispiel an diesem Morgen nicht drei Stunden unbezahlt gearbeitet hätte, sondern dass diese ganze Care-Arbeit, also das Kümmern um und Organisieren von Familie (auch genannt Mental Load) auf die Rente angerechnet wird. Oder überhaupt mal als Arbeit gesehen wird. Oder dass die Idee der Familienarbeitszeit Realität wird, also eine verringerte Erwerbsarbeitszeit für Mütter und Väter kleiner Kinder bei vollem Rentenausgleich. Es war eine sehr schöne Vorstellung.

Ich fuhr als Heldin nach Hause

Apropos Care: Angesteckt durch die Lobhudelei der Dentalassistentin, die für ihre Kümmer-Arbeit sicher auch mehr Gehalt verdient hätte, setzte auch ich zu einer für meine schwäbischen Verhältnisse fast schon überschwänglichen Dankesrede an. Dafür, dass sie immer wieder nachgefragt hatte, ob alles in Ordnung ist. Dass sie beruhigend die Hand auf meine Schulter gelegt hatte, wenn ich besonders verkrampft auf dem Stuhl lag. Und dass sie mir das Gefühl gab, ich sei die tollste und tapferste Patientin in der Geschichte der Zahnreinigung. Lauter kleine Fürsorgebausteine eben, die gern unterschätzt werden.

„Sie machen das wirklich sehr liebevoll“, sagte ich und ich hätte niemals gedacht, dass ich das mal auf einem Zahnarztstuhl sagen würde. „Ich liebe meinen Beruf eben“, sagte die junge Frau. Und ich kam mir ein bisschen vor wie in einer Telenovela.

Nach gut einer Stunde ging ich mit nichts weniger als dem Gefühl aus der Praxis, eine Heldin getroffen zu haben. Aber auch, selbst eine Heldin zu sein. Dann fuhr ich mit dem Bus nach Hause und wusch drei Maschinen Wäsche.

Lesen Sie hier mehr aus der Kolumne „Mensch, Mutter“.

Die Autorin Lisa Welzhofer ist Mutter zweier Kinder und lebt in Stuttgart. In ihrer Kolumne macht sie sich regelmäßig Gedanken übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr. Sie schreibt im Wechsel mit ihrem Kollegen Michael Setzer, der als „Kindskopf“ von seinem Leben zwischen Metal-Musik und Vatersein erzählt.