Wo ist jetzt schon wieder der verflixte vierte Kegel?!? Foto: wel/wel

Gibt es irgendwo einen geheimen Ort, an dem all die verschwundenen Kinderhandschuhe, Legokleinteile und Puzzleteile gemeinsam eine Party feiern? Das fragt sich unsere Kolumnistin, die den Großteil ihres Mutterdaseins damit verbringt, verlorene Dinge ihrer Kinder zu suchen.

Stuttgart - Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich verbringe gefühlt den Großteil meines Mutterdaseins damit, verlorene Kinderkleidungsstücke nachzukaufen oder Spielzeuge zu suchen, die irgendwo im Haus verloren gingen.

Besonders schlimm ist es jetzt, in der kalten Jahreszeit: Sie hat noch kaum begonnen, da haben wir schon wieder zwei Kindermützen, ein paar Strickhandschuhe, eine warme Fußballtrainingshose und einen Regenschirm verloren. Und von den neuen warmen Stoppesocken ist auch nur noch eine da, obwohl die das Haus niemals verlassen haben. Gut, eine der Mützen lag auf wundersame Weise irgendwann wieder im Kita-Fach der Tochter. Aber da hatte ich schon eine neue besorgt.

Überhaupt die Kita, sie funktioniert wie ein großes schwarzes Loch. Manchmal denke ich, dass dort vielleicht ein Kraftfeld herrscht, in dem sich Kleidungsstücke, Schuhe, Vesperdosen einfach entmaterialisieren. Einmal zum Beispiel stellten wir morgens den aufgespannten Kinderregenschirm der Tochter in eine Ecke. Als ich eine Stunde (!) später (es war in der Eingewöhnungsphase) zurückkam, hatte er sich in Luft aufgelöst – und wurde nie wieder gesehen. Was schon auch damit zu tun haben könnte, dass ungefähr 99,9 Prozent aller Kinder denselben Regenschirm dieser großen Drogeriekette haben wie wir.

Die Fundkiste, ein Mysterium

Besonders gefährlich ist es auch, wenn der Mann mit Abholen an der Reihe ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder mit allen Kleidungsstücken, die sie morgens anhatten, auch wieder zurückkommen, ist dann relativ gering („Die Mütze habe ich bewusst in der Kita gelassen!“). Meist kann ich immerhin am nächsten Tag rund um den Garderobenplatz alles wieder zusammensammeln. Manchmal findet sich auch etwas in der Fundkiste wieder. Wobei: Auch diese Fundkiste ist einfach nur ein großes Mysterium. Wie kann es sein, dass sie immer randvoll mit Dingen ist, die offenbar keiner vermisst, während die Dinge, die Eltern suchen, darin so gut wie nie auftauchen?

Ein ewiges Rätsel wird mir auch sein, wohin all die Sachen verschwinden, die bei uns im Haus verloren gehen. Seit ein paar Tagen zum Beispiel suchen wir wie verrückt den Lieblingsstoffhund der Tochter. Zuletzt wurde er zwischen zwei Rennautos, einer angenagten Brezel und einem zerbrochene Bügelperlenbild gesehen. Dann verliert sich seine Spur. Und dabei ist das Viech relativ groß – im Gegenteil zu all den Playmobil-, Lego-, Feuerwehrmann-Sam-Kleinteilen oder Puzzlestücken, die in den letzten sechs Jahren in unserem Zuhause auf nimmer Wiedersehen verschwunden sind.

Den Großteil des Urlaubs suchten wir Ninjago-Geschosse

Überhaupt diese Kleinteile! Sie machen mich WAHNSINNIG! Im Sommer zum Beispiel schenkten wir dem Sohn zu Beginn des Urlaubs einen Lego-Ninjago-Bausatz, der dann natürlich auch mit in unser Ferienhaus fuhr. Alles war prima, bis das Ding fertig zusammengebaut war. Fortan verbrachten der Mann und ich den Großteil des Urlaub damit, auf allen Vieren durch die Räume kriechend nach den teils zehennagelgroßen, teils zahnstocherdünnen Geschossen des Ninjago-Fliegers zu suchen. Während der Sohn einen Wutanfall nach dem anderen bekam.

Unvergessen auch die Geschichte mit dem Reise-Mensch-ärgere-dich-nicht-Kegel im Zug beim Familienausflug nach Leipzig: Ich sehe den grünen Kegel noch vor mir, wie er auf dem Blaugrau des ICE-Bodens aufschlug und in Richtung der nächsten Sitzreihe rollte. Nur kam er dort leider niemals an. Wahrscheinlich haben ihn unterwegs die Milben im Teppich gefressen. Immerhin schaffte ich es, den Würfel mehrmals zwischen den Füßen anderer Fahrgäste sicher zu stellen.

Ist das eine Verschwörung der Kinderzubehör-Industrie?

Manchmal stelle ich mir vor, dass es irgendwo einen geheimen Ort gibt, an dem sich all der verschwundene und verlorene Kinderkam wieder materialisiert und eine wilde Party feiert – wobei die größte und feierwütigste Gruppe wahrscheinlich aus Haarspängelchen und -bändern besteht. Deren Verweildauer beträgt vom Auspacken bis zum Verlieren bei uns maximal zwei Stunden. Vielleicht ist das Ganze aber auch eine perfide Verschwörung der Kinderzubehör-Industrie, die mittels einer geheimen Technologie einzelne Socken, Handschuhe und Spielzeugteile aus den Kinderzimmern beamt, damit man immer wieder in ihre Geschäfte rennen muss.

Ich könnte Ihnen jetzt noch viele solcher Geschichten erzählen. Zum Beispiel die von dem Schuh, der eines Morgens nicht mehr neben seinem Partner stand, obwohl der Sohn abends angeblich beide dort abgestellt hatte. Oder die von den Sandförmchen in Eiswaffelform, von denen am Ende des Sommers kein einziges mehr da war. Oder davon, wie wir mal verzweifelt unseren Autoschlüssel suchten - und ihn dann Stunden später in einer Plastikkugel fanden, in die ihn der Sohn gesteckt hatte.

Nichts bleibt, nicht mal die Stoppersocke

Ja, ich könnte wirklich viele Geschichten erzählen, über den Schmerz des Verlustes und die Freude des Wiedersehens, an das man ja gar nicht mehr geglaubt hatte, da drunten, auf seinen schmerzenden Knien. Darüber, wie einem, während man zum 20. Mal wie Sisyphos ein Spielzeug-Wurfgeschoss sucht, klar wird, was für eine prima Metapher das ist, für die menschliche Existenz überhaupt. Weil ja generell nichts bleibt, wie es ist, vielmehr alles im Fluss ist. Ein ewiges Zusammenballen und wieder Auseinanderdriften im Strom der Atome. Panta Rhei – nichts bleibt, nicht mal die Stoppersocke.

Ach, ich könnt jetzt noch ewig hier so weiterphilosophieren, zum Beispiel von verlorenen Regenschirmen im Lichte Epikurs oder so. Aber ich hab jetzt eigentlich gar keine Zeit mehr. Ich muss nämlich gleich los, den Lieblingsstoffhund und die Haarspangen von ihrer Party abholen.

Lesen Sie hier mehr aus der Kolumne „Mensch, Mutter“.

Die Autorin Lisa Welzhofer ist Mutter zweier Kinder und lebt in Stuttgart. In ihrer Kolumne macht sie sich regelmäßig Gedanken übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr. Sie schreibt im Wechsel mit ihrem Kollegen Michael Setzer, der als „Kindskopf“ von seinem Leben zwischen Metal-Musik und Vatersein erzählt.