Schlechtes Gewissen beim Popoputzen: Eine Windel braucht 300 Jahre bis sie zersetzt ist. Foto: dpa

Wegwerfwindeln, Fertiggläschen und dann noch das Kind bis spät in der Kita lassen – unsere Kolumnistin plagt oft das Schlechte-Mutter-Gewissen. Um daran etwas zu ändern, muss sie endlich aufhören, sich mit anderen zu vergleichen, sagt sie.

Stuttgart - Kürzlich las ich in unserer Zeitung einen Artikel über eine Frau, die ausschließlich Stoffwindeln für ihr Kind benutzt. Und das auch nur, wenn sie unterwegs ist. Ansonsten erzieht sie windelfrei. Ich dachte erst „Wow!“ und „Toll!“ und freute mich für die Umwelt. Aber dann packte mich sofort das schlechte Gewissen, weil ich meine Kinder in Wegwerfwindeln groß werden lasse.

Und anhand der Fakten des Artikels konnte ich auch noch hochrechnen, was das bedeutet: Drei bis sieben Windeln benötigt ein Baby pro Tag, schätzen Statistiker. Wenn ich bei uns mal von vier ausgehe (ich bin ja Schwäbin) und von drei Jahren Windelzeit (zumindest hat es solange bei meinem Sohn gedauert), dann macht das: 2190 schmutzige Windeln, die meine zwei Kinder produzieren. Bis eine davon zersetzt ist, dauert es 300 Jahre.

Leben mit Kindern – eine Umweltproblem

Das schlechte Gewissen, es ist, seit ich Mutter bin, ein zuverlässiger Begleiter. Und dabei ist tatsächlich ganz oft der Auslöser, dass meine Kinder ein Umweltproblem sind. Also nicht die Kinder als solche (denn, wer das verinnerlicht hat, darf erst gar keine bekommen), sondern all die Dinge um sie herum, die erfunden wurden, um Eltern das Leben einfacher zu machen. Eben die Windeln und die Feuchttücher. Das Milchpulver und die Gläschen. Und erst all das Plastikspielzeug und -geschirr, die Kinderwagen, Babyschalen, Bobbycars, Badewannen, Planschbecken, Hochstühle, Vesperboxen, Trinkflaschen...Wenn ich dazu noch die Trilliarde Papiertaschentücher rechne, die die beiden chronischen Rotznasen gefühlt verbraucht haben, werd ich eigentlich nicht mehr froh.

Aber nicht nur die Mitwirkung an der Zerstörung des Planeten treibt mein Gewissen um. Auch die Ausübung meiner Mutterrolle kann mir Schuldgefühle bereiten. Wenn ich mal wieder die Fischstäbchen in den Ofen schiebe und das Auftaumischgemüse auf den Herd, anstatt frisch zu kochen. Wenn die fast Zweijährige zum Einschlafen immer noch Milchfläschchen trinken darf. Wenn ich die Kinder fernsehgucken lasse anstatt ihnen vorzulesen. Oder wenn ich mal wieder vergesse, die Sonnenhüte für die Kita einzupacken und das Vesper aus einer gekauften Butterbrezel besteht.

Das schlechte Gewissen braucht zu viel Platz

Überhaupt die Kita. Darf ich die Zweijährige erst um halb fünf abholen – ohne in die Kategorie Rabenmutter zu fallen? Ist es schlimm, dass ich mich in der Elternzeit darauf gefreut habe, wieder arbeiten zu gehen? Und dass ich jetzt einen Arbeitstag oft entspannter finde, als Zeit mit meinen Kindern zu verbringen? Wobei wir gleich bei den ganz großen Fragen des Elternseins wären: Wie viel Genervtsein ist zulässig? Und darf ich mein eigen Fleisch und Blut auch mal richtig ätzend finden?

Mein schlechtes Gewissen nervt mich, weil es viel Platz braucht. Platz, der eigentlich für die schönen Gefühle da sein sollte, die das Leben mit Kindern bedeutet. Ich habe mir deshalb vorgenommen, etwas dagegen zu tun. In manchen Bereichen, indem ich mein Verhalten, in anderen, indem ich mein Denken ändere.

Waren all die praktischen Helferlein nicht auch eine Errungenschaft?

Beispiel Umweltbewusstsein. Klar, auf viele meiner kinderbedingten Umweltsünden könnte ich entweder ganz verzichten oder sie durch umweltfreundlichere Alternativen ersetzen. Aber das kostet Zeit und bedeutet Anstrengung. Denn es macht eben mehr Arbeit, wenn ich den Obstbrei selber koche, anstatt ihn zu kaufen. Oder wenn ich die Stoffwindeln und -taschentücher wasche, aufhänge, abhänge und zusammenlege, anstatt die Einmalwindel einfach in den Müll zu werfen. Aber Arbeit hab ich schon genug und Zeit viel zu wenig. Und waren nicht mal all die praktischen Helferlein auch eine Errungenschaft, die es Frauen ermöglicht haben, Dinge abseits von Kinderbetreuung und Haushalt zu tun?

Die bekannte Elternbücher-Autorin Nora Imlau hat sich vor einiger Zeit in ihrem Blog auch die Frage gestellt, wie sich Muttersein und Umweltschutz vereinbaren lassen – und folgende Antwort gegeben: „Heißt das, dass mir heute Nachhaltigkeit und Umweltschutz nicht mehr am Herzen liegen? Nein: Einmal Weltretterin, immer Weltretterin. Aber ich habe gelernt, dabei immer und zuallererst freundlich zu mir selbst zu sein, und zu meinen Kindern. Ich gebe mir die Erlaubnis, zu tun, was ich kann – und nicht mehr. In der Folge lebe ich heute so ein mittelökologisches Leben mit meinem Mann und meinen Kindern, ohne Schuldgefühle. Und bin glücklich.“ Imlau hat dafür nicht nur Zustimmung bekommen.

Der Vergleich mit den Instagram-Müttern

Womit wir beim nächsten Thema wären. Das schlechte Gewissen, es machen einem ja oft die anderen, die sagen: Du machst es falsch! Und wenn sie es nicht direkt tun, dann entsteht es durch den Vergleich, den man blöderweise selbst mit ihnen zieht. Als ich für einen Artikel mit einer Frau sprach, die an einer postnatalen Depression litt, erzählte sie mir, dass der Vergleich mit anderen Frauen zwar nicht der Auslöser ihrer Krankheit war, aber es sie zusätzlich belastet hat, in Babykursen oder im Internet all die vermeintlich perfekten anderen Mütter zu sehen.

So extrem ist es bei mir natürlich nicht. Aber auch mit mir macht es etwas, wenn andere Mütter auf Instagram ihre frisch zubereiteten und angerichteten Babymenüs posten, oder mir auf dem Spielplatz erzählen, dass sie ihren Nachwuchs ja maximal bis drei Uhr in der Kita lassen („Das ist für die Kleinen sonst einfach zu viel“).

Ich habe festgestellt, dass diese Vergleicherei meine größte Baustelle ist. Und dass das manchmal die Schuld der anderen ist (wenn sie mir ihr Modell als das einzig richtige aufdrängen wollen). Oft aber auch einfach nur meine eigene. Vielleicht geht es ja auch gar nicht so sehr um das Vergleichen, sondern die Schlüsse daraus. Als ich mir den Text über die Windelfrei-Mutter noch mal durchgelesen habe, dachte ich mir deshalb: Vielleicht machst du es besser (wobei das bezüglich der CO2-Bilanz sogar umstritten ist). Aber für mich ist meiner eben genau der richtige Weg.

Lesen Sie hier mehr aus der Kolumne „Mensch, Mutter“.

Die Autorin Lisa Welzhofer ist Mutter zweier Kinder und lebt in Stuttgart. In ihrer Kolumne macht sie sich regelmäßig Gedanken übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kolumne-mensch-mutter-du-hast-ja-gar-kein-muetzchen-auf.bbe1dda4-ea78-4e42-afb9-b7818c87691e.html https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kolumne-mensch-mutter-jetzt-wird-es-unappetitlich-aber-mit-viel-gefuehl.2d9c4d06-f8d0-46d6-a2c5-4d9be23e04db.html