Unsere Kolumnistin bedankt sich bei den Menschen und Orten in Stuttgart, die ihr in normalen Zeiten beim Muttersein helfen und das sprichwörtliche Dorf ersetzen, das es braucht, um Kinder in der Stadt großzuziehen. Und die sie jetzt ganz schrecklich vermisst.
Stuttgart - Danke, liebe Erzieherinnen und Erzieher, dass Ihr meine Kinder betreut. Dass Ihr so zugewandt, kreativ, Grenzen setzend, verständnisvoll, ausdauernd und kenntnisreich mit ihnen umgeht. Dank Euch kann ich jeden Morgen beruhigt zur Arbeit gehen, die für mich persönlich und finanziell unverzichtbar ist.
Danke, lieber Opa, dass Du die Kinder beim Aufwachsen begleitest. Dass du mit ihnen Äste sägst und den Garten umgräbst. Dass Du sämtliche Kindermöbel aufbaust und alles mit Hingabe reparierst, was wir kaputt machen und – weil handwerkliche Nullen – nicht selbst wieder hinbekommen. Das elektrische Feuerwehrauto, die Nachziehraupe, das aus dem Leim gegangenen Puppenbett, die Stehlampe, den Schrankgriff....
Danke, liebe Schwimm- und Kinderturnlehrerin, dass Du dem Bewegungsdrang des Sohnes einen Raum gibst. Dass Du mit ihm Purzelbaum übst und ihn so ruhig und geduldig Richtung Seepferdchen begleitest, während ich schon längst die Geduld verloren hätte.
Für Eure Geschichten und Fantasie
Danke, liebes Naturkundemuseum, Stadtpalais, Leuze- und Leo-Vetter-Bad. Ihr wart unsere Rettung in diesem Winter, in dem es gar nicht geschneit, aber viel geregnet hat!
Danke, lieber Onkel, dass du immer kindersittest, wenn der Mann und ich Essen oder ins Kino gehen wollen. Wenn wir Alleinezeit brauchen. Oder wenn wir beide zur gleichen Zeit einen Arbeitstermin haben.
Danke, liebe Stuttgarter Kindertheater. Für Eure Geschichten und Fantasie. Für die Illusion einer Märchenwelt auf Euren Bühnen. Und für einen tollen vierten Kindergeburtstag.
Danke, liebe ehrenamtliche Fußballtrainer, dass der Junge bei Euch seine Fußballverrücktheit ausleben kann. Und dass Ihr seine vielen Fragen kompetenter beantwortet als ich („Mama, wie geht ein Fallrückzieher?“) Dass Ihr zwei mal die Woche in der Halle oder auf dem Platz steht und diesen Lärm aushaltet. Und natürlich für all die Wurschtweckle und Spezis bei den Turnieren.
Für all die Brätknödelsuppen
Danke, liebe Uroma, dass Du den staunenden Kindern von einer vergangenen Zeit erzählst. Dass wir Dir nie zu viel werden und dass Du immer eine Brätknödelsuppe auf dem Herd und selbst gemachte Spätzle im Tiefkühlfach hast. An Dich denken wir gerade ganz besonders oft.
Danke, lieber Spielplatz, dass wir auf Dir immer Familien treffen, die wir kennen. Und dass auf Dir alle all das machen können, was ihnen gefällt. Die Kinder rutschen, klettern, Laufrad fahren, mit Wasser spielen, Trampolin hüpfen und kicken. Die Eltern mit anderen Eltern ratschen.
Danke, liebe Musikpädagogen, dass Ihr mit euren Singspielen und Klanghölzern ein Gegengewicht schafft zum lärmigen Alltagstrubel. Und natürlich für all die Klassiker in unserem Familiensingrepertoire: „Hoch am Himmel, tief auf der Erde, überall ist Sonnenschein...“ Oder: „Hallo, hallo, ruf ich euch zu....“
Und entschuldige die vielen Kratzer in den CDs
Danke, liebes Second-Hand-Kinderkaufhaus, dass es bei Dir einfach alles gibt. Kleidung und Spielsachen. Autositze, Rollschuhe und Babywippen. Und danke auch für den Fußballkicker und die Vorlesestunde in Deiner Spielecke.
Danke, liebe Stadtteilbücherei, dass wir bei jedem Wetter bei Dir Unterschlupf finden. Und dass du den Hörspiel- und Bücherdurst von Tochter und Sohn stillst, ohne uns finanziell zu ruinieren. Und entschuldige bitte die vielen Kratzer in den CDs und die geklebten Seiten in den Büchern.
Danke, liebe andere Mütter, dass wir uns gegenseitig beim Elternsein helfen. Indem wir uns die Kinder abnehmen, Tipps für Bücher, Spiele, Veranstaltungen schicken oder auch mal bei einem Glas Wein erzählen, dass das Muttersein nicht immer leicht ist. Ohne euch würde ich jede zweite Nachricht am schwarzen Kita-Brett verpassen. Tut mir leid, dass ich mich mal über Eltern-Whatsappgruppen lustig gemacht habe.
Ihr seid das sprichwörtliche Dorf in der Großstadt
Erst jetzt merke ich so richtig, wie viele Ihr seid. Und wie wichtig. Ihr seid unser persönliches Dorf, das es sprichwörtlich braucht, um ein Kind großzuziehen – vor allem in einer Großstadt. Ihr macht modernes Familienleben überhaupt erst möglich.
Ich hoffe, Ihr bekommt alle die Hilfe, die Ihr jetzt braucht, um gut durch diese Zeit zu kommen. Und durch diese Coronakrise endlich die Wertschätzung und die entsprechende Bezahlung, die Ihr verdient. Ich versuche meinen Teil dazu beizutragen, indem ich jetzt zum Beispiel Kursbeiträge nicht zurück haben will und an die Künstlersoforthilfe Stuttgart spende.
Haltet durch! Wir versuchen es auch. Bis hoffentlich ganz bald.
Lesen Sie hier mehr aus der Kolumne „Mensch, Mutter“.
Die Autorin Lisa Welzhofer ist Mutter zweier Kinder und lebt in Stuttgart. In ihrer Kolumne macht sie sich regelmäßig Gedanken übers Elternsein, über Kinder, Kessel und mehr. Sie schreibt im Wechsel mit ihrem Kollegen Michael Setzer, der als „Kindskopf“ von seinem Leben zwischen Metal-Musik und Vatersein erzählt.