Clowns, Zauberer, Artisten? Eine atemraubende Show können auch Freie Wähler bestreiten. Aber hallo! So geschehen bei der Premiere des Circus Roncalli in Ludwigsburg – und danach.
Ludwigsburg - Was in einem Zirkus auf keinen Fall fehlen darf, ist ein Clown. Ein Magier, mag man denken, gehört unbedingt auch dazu. Vielleicht auch eine Artistin am Hochseil. Wie betörend eine solche Kombination wirken kann, lässt sich zurzeit wunderbar im Circus Roncalli bewundern, der sein Zelt im Blühenden Barock aufgeschlagen hat. Allerdings bedarf es nicht zwingend eines Clowns, eines Magiers oder anderer Artisten, um einen Zirkus zu erleben. Ein paar Kommunalpolitiker tun es auch.
Damit sind nicht die Auftritte der Herren Haas und Spec gemeint, die sich gekonnt durch die Manege führen. Auch nicht die bemühten Versuche des Ludwigsburger Stadtoberhaupts, drohende Fahrverbote kleinzureden. Nein, im konkreten Fall sind es die Freien Wähler im Ludwigsburger Gemeinderat, die solch wahnwitzige Kunststücke vorführen, dass ihnen selbst der Atem stocken dürfte. Besonders beeindruckend: Wofür andere Künstler eine hübsche Maske, glitzernde Kostüme oder ein Trapez benötigen, genügen den Freien Wählern Freikarten und starke Worte.
Ärger wegen verschwundenen Freikarten
Den Anfang machte Andreas Seybold: „Schnauze voll! Mit mir nicht! Ende Legende!“ So in etwa hörte sich an, was der Mittfünfziger vor ein paar Tagen von sich gab – und was übersetzt bedeutete, dass ihn seine Fraktionskollegen so geärgert haben, dass er ganz bestimmt nicht mehr als Freier Wähler in den Gemeinderat einziehen wird. Seine Kollegen muss eine solche Ankündigung alleine deshalb in Unruhe versetzen, weil Andreas Seybold eben nicht nur ehrenamtlicher Stadtrat ist, sondern im Hauptberuf der stadtbekannteste Fischhändler, den sich eine Stadt vorstellen kann – und somit auch ein Stimmengarant. Obwohl Seybold traditionell auf Platz 40 der Freien-Wähler-Liste kandidiert, hat er es noch immer lockerst unter die Top Ten geschafft.
Wenn es, wie jeder Freie Wähler weiß, bei den Freien Wählern etwas nicht gibt, dann ist es Unruhe in den eigenen Reihen. Trotzdem gewährte die Seyboldsche Tirade einen Blick hinter die Kulissen des kommunalen Politzirkus’, der in diesem Fall mit Freikarten begann, genauer: mit verschwundenen Freikarten.
Mit Freikarten nämlich kamen die Ludwigsburger Kommunalpolitiker (und manch anderer Ehrengast) am Abend der Zirkuspremiere ins Zelt. Auch Andreas Seybold hatte das geplant. Dass er dann doch nicht über die Zeltschwelle schritt, lag daran, dass seine persönliche Freikarte aus dem Fraktionszimmer, sagen wir, abhanden gekommen – und die eilends zugestellten Ersatzkarte nicht nummeriert war. Seybold hätte sich also irgendwo im Zelt auf ein freies Plätzchen quetschen müssen.
Die Ruhe nach dem Sturm
Nicht, dass sich der Unternehmer dafür zu fein wäre. Bestimmt hätte er an jeder Stelle eine Gaudi. Und es hätte ihn auch nicht einmal ein müdes Lächeln gekostet, um sich die weltbesten Karten mit Logenservice und allem Drum und Dran selbst zu spendieren. Aber das tat Seybold nicht, er ging nach Hause. Karten unterschlagen unter Parteifreunden – das geht gar nicht.
Gut, wahrscheinlich hat sich mancher Parteifreund gedacht: Würde der Andi mal zu einer Fraktionssitzung kommen, wäre das nicht passiert. Oder: Wer selten Zeit für den Bauausschuss hat, wird auch keine Zeit für Zirkus haben. Sei’s drum – die Karten waren weg, Seybold stinksauer und die Freien Wähler in großer Aufregung. Das war in der vergangenen Woche.
In dieser Woche nun ist alles ganz anders, voller Eintracht. Andreas Seybold hat sich so beruhigt, dass er gar nichts mehr sagt. Dafür spricht nun sein Fraktionschef, den er vor dem Zirkuszelt noch beschimpft hat, weil der ihm die Karten nicht gesichert hatte. „Alles gut“, sagt also Reinhardt Weiß. Ein Missverständnis. Geklärt. Fall erledigt.
Ein Schlückchen in Ehren
Jaja, die Karten für Andreas Seybold hat ein Kollege an sich genommen. Neinnein, welcher, wird nicht verraten. Jaja, alle haben sich beruhigt. Und dochdoch, Andreas Seybold wird durchaus wieder für den Gemeinderat kandidieren. „Ich weiß nichts anderes“, sagt Weiß.
Ob es geholfen hat, dass inzwischen Bernhard Paul persönlich bei Andreas Seybold reingeschaut hat? Oder hat das Schlückchen Wein besänftigend gewirkt, das der Zirkusdirektor und der Fischhändler genossen haben? Oder ist alles nur eine Illusion? Man wird sehen. Der Vorhang im Zirkus Kommunali ist nun erst einmal gefallen. Aber bestimmt wird es demnächst mehr aus diesem Theater geben. Oder, wie Reinhardt Weiß sagt: Kindergarten.