Ein heißes Pflaster: die Pflastersteine von der Panzerstraße Foto: factum/Granville

Aufgelesen im Kreis: Süßes und Saures. Diese Woche ist Böblingen zu Moldawien mutiert. Zumindest was das Bruttoinlandsprodukt und den Denkmalschutz anbelangt.

Böblingen - Die Woche ist der Kreis Böblingen zu einem Schwellenland reduziert worden, und keiner hat es gemerkt. Zumindest kein Leser. Ein aufmerksamer Kollege schon. Die Böblinger Bezirkskammer hatte Bilanz gezogen und zehn Jahre nach der Lehman-Pleite lauter schöne Zahlen geliefert. Zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt für den Kreis aus den Jahren 2007 und 2016. Es sei von 17,73 Millionen Euro auf 25,18 Millionen Euro gestiegen, stand in dem Artikel. „Das ist eine starke Untertreibung“, schrieb am nächsten Tag der Kollege. „Das schafft wahrscheinlich auch ein Landkreis in der ärmsten Region Moldawiens. Tatsächlich beträgt das BIP natürlich 25 180 Millionen Euro, also 25,18 Milliarden im Kreis Böblingen.

Der Vergleich mit Moldawien nicht weit hergeholt

Nichtsdestotrotz erscheint der Vergleich mit der ärmsten Region Moldawiens gar nicht so weit entfernt dieser Tage. Natürlich nicht im Bereich der Wirtschaft, da läuft es wie geschmiert. Ziemlich holprig sind dieser Tage die Bemühungen um den Denkmalschutz. Dass sich die Politiker davon nicht aufhalten lassen, führt seit geraumer Zeit die Panzerstraße im Böblinger Stadtwald vor Augen. „Uns ist es wichtig, dass wir die Erinnerung daran wach halten“, hatte der Landrat Roland Bernhard beim Spatenstich gesagt. Der größte Teil der 5,5 Kilometer langen Pflastersteinstraße, die unter Denkmalschutz steht, wird demnächst asphaltiert – bis auf ein 80 Meter breites Sichtfeld. Die meisten Radler werden sich wahrscheinlich wundern, ob dem Landkreis für diesen Abschnitt das Geld ausgegangen ist, weil sie in der Zeitung vom Bruttoinlandsprodukt auf moldawischem Niveau gelesen haben, anstatt die Handwerkskunst von annodazumal zu bewundern.

Logisch, dass dem Landesverkehrsminister auch diese 80 Meter fast schon zu weit gehen. Als er gehört habe, dass sich eine Bürgerinitiative zum Erhalt des Pflasters gegründet habe, konnte er es kaum fassen: „Zum Erhalt von Militärobjekten?“, fragte Winfried Herrmann erstaunt. „Ich sehe es als nicht für schützenswert an“, sagte er über die Straße, die vom Amt für Denkmalpflege unter Schutz gestellt wurde (und nicht von einer Bürgerinitiative). Mit dem Argument könnte der Verkehrsminister genau genommen auch den Limes platt machen, der zwar nicht von den Nazis errichtet worden ist, sondern von den Römern. Aber die haben auch große Teile der Welt mit Krieg überzogen. Der Landrat demonstrierte mehr Verständnis für die Verfechter der Spuren der Vergangenheit. Der Asphalt sei „die beste Konservierung aller Zeiten für das Pflaster“, erklärte er. In 200 Jahren könne es unbeschädigt wieder ausgegraben werden.

Denkmalschutz à la Roland Bernhard

Bleibt zu hoffen, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) nicht von seinen pragmatischen Lösungsansätzen Wind bekommt. Diese Behörde scheint tatsächlich mit Haushaltsmitteln für Denkmalschutz wie der Kreis Ungheni in der Republik Moldau ausgestattet zu sein. Das Problem der Bima liegt ebenfalls im Böblinger Stadtwald, wo sie ebenfalls ein Denkmal besitzt: Da es sich um Pirschgänge handelt, die nur zu Jagdzwecken dienten, dürfte Winfried Hermann eigentlich nichts gegen deren Erhalt haben, so lange er kein Vegetarier ist. Aber was der Landesminister sagt, interrsiert in einer Bundesanstalt niemand. Die fast 300 Jahre alten Anlagen fallen jedenfalls seit Jahren in sich zusammen. Mühsam kratzt jetzt die Stadt Böblingen Zuschuss um Zuschuss zusammen, um die Mauern und Gewölbe wenigstens vor dem Einsturz zu sichern, obwohl sie eigentlich gar nicht dafür zuständig ist.

Stattdessen könnte Denkmalschutz à la Roland Bernhard betrieben werden: Man könnte eine Ladung Asphalt darüber kippen lassen, dann bleibt der Status quo wenigstens erhalten und irgendwelche Leute können es ausgraben, wenn der Kreis Böblingen das BIP von den Vereinigten Staaten erreicht hat. Nur zum Radfahren bietet sich das Gelände leider nicht an, denn es befindet sich innerhalb eines Militärobjekts, das mit hohen Zäunen vor der Außenwelt geschützt ist.