Ob es Matschhosen auch für Erwachsene gibt? Foto: dpa/Peter Kneffel

Wer ältere Kinder hat, blickt manchmal amüsiert auf das Treiben der Kleinen. Vielleicht sollte man einige Gewohnheiten aus dem Kindesalter beibehalten, sinniert Martin Gerstner.

Stuttgart - Von meinem Bürofenster aus habe ich einen freien Blick auf unsere Betriebskita – genauer gesagt auf die Freiluft-Spielfläche. Das schöne Spätsommerwetter hat dieses Areal zu einer großen Bühne sozialen Miteinanders gemacht. An einem durchschnittlichen Tag wurden die Themengebiete öffentliche Sicherheit (Polizisten verfolgten mutmaßliche Laufraddiebe bis in das Unterholz rechts neben der Holzhütte), Betreuungsnotstand (ein Mädchen versorgte gleichzeitig sechs Puppen) und Wohnungsbau (ihre Freundin formte aus Sand eine statisch heikle Agglomeration von Tiny Houses) inszeniert. Zudem wurden geschätzt 80 Schüsse aufs Tor abgegeben, von denen gut 15 ihr Ziel zumindest kullernd erreichten. Und es wurde ordentlich was weggebrüllt –im direkten Vergleich mit dem nahen Flughafen müssten sich die Kinder nicht verstecken. Das ist gut, denn der Mut zur Lautstärke wird später auch im Berufsleben honoriert. Insgesamt waren diese Blicke aus dem Fenster sehr unterhaltsam.

Hopsen, Kriechen, Drehen

Weil meine Kinder seit langem der Kitaphase entwachsen sind, fiel mir umso eindrucksvoller auf, dass die Jüngeren nie einfach nur geradeaus laufen, sondern mindestens hopsen, kriechen oder sich um sich selbst drehen. Ich frage mich, in welcher Phase des Älterwerdens uns diese Art der Fortbewegung abhanden kommt - und wie es wohl wirken würde, wenn Olaf Scholz, Christian Lindner oder Armin Laschet hopsend zu einer Pressekonferenz kämen. (Gut, Letzterer hätte eher Grund zum Kriechen.) Bei meinem fast 16-jährigen Sohn beobachte ich diesen etwas fohlenhaften Bewegungsablauf manchmal noch. Allerdings nicht, wenn er morgens aus dem Haus schlurft.

Tempolimit? Igitt!

Und da wir gerade die Sphäre der Politik streiften: es gelang mir vor und nach der Bundestagswahl, mit ihm auch über die Programme der Parteien zu diskutieren. Bei meiner Tochter, einer aktiven Klimaschützerin ist die Präferenz klar – höchstens dadurch getrübt, dass die Grünen zu viele Kompromisse eingehen. Mein Sohn dagegen findet Formel-1-Rennen cool und kann einem Tempolimit nichts abgewinnen. Beim Abendessen erteilte er jüngst auch der Vermögenssteuer eine klare Absage. Ich muss zugeben, dass ich kurz zusammengezuckt bin, nahm aber zur Kenntnis, dass er seine Argumente diskursiv sauber ordnete. Und warum soll man in der Familie über diese Dinge nicht verschiedener Meinung sein? Dazu passt, dass Grüne und FDP bei Erstwählern ordentlich abgeräumt haben.

Aus all dem ziehe ich zwei Schlüsse. Erstens: das Wahlalter kann gesenkt werden, ohne einen Zusammenbruch unseres Gemeinwesens befürchten zu müssen. Zweitens: morgens, auf dem Weg zu Arbeit, hüpfe ich jetzt immer wieder mal.

Aber nur, wenn mich niemand sieht.

Zur Person

Martin Gerstner
ist Redakteur im Titelteam der Stuttgarter Zeitung. Er hat zwei Kinder – allerdings wohnt nur noch sein Sohn zuhause.