Morgens Arbeitsplatz, mittags Esstisch. Stellen Sie sich nun bitte noch ein Kind im Homeschooling vor und noch mehr Zeugs auf dem Tisch. Und schlechtere Laune bei allen Beteiligten. Foto: imago images/Westend61/Josep Rovirosa via www.imago-images.de

Drucker, Laptops und sehr viele Snacks: das Leben hat sich ins Private verlagert und macht gesellschaftliche Probleme sichtbar.

Stuttgart - Endlich mal etwas Anderes in den Blick zu nehmen – das war diese Woche die persönliche Herausforderung. Das C-Wort wird verbannt, lieber wird beispielsweise über das große Glück geschrieben, wenn Freundinnen Babys bekommen, von späten Wunschkindern, die dieses Frühjahr geboren werden. Und wie man diesen Familien in dieser tollen, aufregenden, magischen aber wahnsinnigen Zeit gerade jetzt hilft. Welche Geschenke man ihnen machen sollte.

Dieses Mal kam wieder was dazwischen: ein Schreibtisch. Beziehungsweise die Diskussion darüber, dass Kinder doch in ihren Zimmern an ihrem Schreibtisch lernen sollten, statt am Esstisch, der nun von allen Familienmitgliedern belagert, bespielt, bemalt, beschult und vollgekrümelt wird. Tja, wenn es denn so einfach wäre.

Der Traum: ein eigenes Zimmer

Virginia Woolf forderte es schon 1929 in ihrem Essay „A Room of one’s own“ ein: Ein Zimmer für sich allein. Einen Raum zum Denken – und aber auch materielle Unabhängigkeit.

Ein eigenes Zimmer zum Arbeiten? Viele Frauen, viele Kinder und auch Männer können davon derzeit nur träumen, weil es die Lebenssituationen nicht zulässt, weil der Platz nicht ausreicht, weil das Geld knapp ist, weil sich Kinder Zimmer und eben Esstisch teilen müssen. Ein Schreibtisch war für viele Eltern wiederum bis vor einem Jahr schlichtweg nicht nötig.

Ein Jahr, das alles verändert hat

Doch dieses durchkombinierte Homeschooling-Homeoffice-Leben verändert uns, wenn wir denn in der privilegierten Lage sind, von zuhause arbeiten zu können. Da spielt sich bei vielen das Leben am Küchentisch ab. Das hat viele Gründe. Es ist eine Platzfrage – und auch hier zeigt sich wieder, dass die Pandemie die Schere zwischen arm und reich noch weiter auseinandergehen lässt.

Und wahrscheinlich bekommen Kinder heute später ihre eigenen Schreibtische: Denn Grundschulkinder, die eine Ganztagsschule besuchen, haben oft noch keinen im Kinderzimmer, da die Hausaufgaben nicht zuhause erledigt werden müssen. Eltern, die die meiste Zeit der Woche im Büro verbringen, haben zuhause kein extra Zimmer, das als Büro fungiert.

Alle Grafikerinnen, Agenturmitarbeiterinnen, Verlagsangestellte, Controllerinnen, Architektinnen aus meinem Freundeskreis haben zuhause keinen Schreibtisch, weil so ein schmaler Laptop überall aufgestellt werden kann. Wenn man ihn denn überhaupt braucht: Mails, Korrespondenzen, Einkäufe, Arzttermine und To-do-Listen werden auf dem Smartphone erledigt, was wiederum Auswirkungen auf die vermaledeite Bildschirmzeit hat. Aber das ist ein anderes Thema. Die ersten Ideen für diesen Text wurden unter Notizen während des Wartens beim Orthopäden getippt.

Drucker? Drucker!

Die meisten Familien haben keinen Drucker, was in der wenig digitalisierten deutschen Schulwelt ein neues Problem ist. Bis dato gab es keinen Grund, noch irgendetwas auszudrucken.

Meine persönliche Home-Office-Errungenschaft ist übrigens ein Sitzball. Den ich auch Neu-Eltern zur Babyberuhigung empfehlen kann. Es gibt ihn inzwischen sogar mit schickem Stoffbezug, ist aber leider fast überall ausverkauft. Er hilft dem Rücken und taugt zudem als Sportgerät. Denn Turnhalle ist die Wohnung jetzt auch.

Anja Wasserbäch hat immer noch vor, die Wohnung neu zu streichen. Sie ist Redakteurin im Ressort Leben und betreut die Seite Kind & Kegel im Wochenendmagazin.

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.sprachentwicklung-bei-kindern-im-tindi-war-ein-badder.175439f1-4e54-4bea-bf41-1549b79f7215.html