Verdammt lang her, dass unsere Kolumnistin frühmorgens eine Vesperdose gefüllt hat. Länger schlafen zu dürfen ist ein Lichtblick in der Coronapandemie. Auch lernen lässt sich in der Krise einiges. Foto: Lichtgut/Verena Ecker

Im zurückliegenden Jahr gab’s viel zu lernen. Das ist eigentlich gut. Trotzdem sind Spalterei und Gemecker auf dem Vormarsch. Dabei reicht schon eine Kleinigkeit, um einen Tag besser zu machen.

Stuttgart - Es gibt Dinge in meinem Leben, also in meinem Kleiderschrank und in meiner Küche, bei denen frage ich mich nach einem Jahr Pandemie, ob ich sie jemals wieder brauchen werde. Die Schulvesperbox meines Sohns zum Beispiel. Sie hat ein XXL-Format, weil ein deutscher Schultag bis vor einem Jahr oft extraextralang war und der Appetit eines Heranwachsenden entsprechend groß. Damals, im alten Normal, klingelte mich der Wecker frühmorgens aus dem Bett, damit ich rechtzeitig Müslidosen aus dem Schrank und Kinder aus ihren Betten holen konnte. Heute muss man für Schule nicht mehr unbedingt aufstehen. Dass ich Brote schmierte, Äpfel schnitzte und Nüsse in Boxen füllte, ist so weit weg, dass nur das märchenhafte Imperfekt, im Aktualitätsdrang des Journalismus sonst eine Tabuzone, das richtige Erzähltempus ist: Es war einmal...

Die gute Laune kommt per Tiktok

Auch Essensgeld für den Schüler braucht es keines mehr. Ich stecke es in eine Spardose, denn demnächst wird eine fette Stromrechnung in mein Homeoffice flattern; dieser Newsletter wird nämlich nicht von einer Edelfeder, sondern mit Öko-Strom aus der privaten Steckdose geschrieben. Damit funktionieren ebenfalls der Rechner fürs Home-Schooling und der Drucker, der täglich neue Arbeitsblätter ausspuckt.

Ressourcenschonend, womit wir endlich beim Positiven sind, ist dafür, dass wir nun auch mittags gemeinsam essen, wenn sich ein Zeitpunkt im komplizierten Konferenz- und Schulschema der Familienmitglieder finden lässt. Das ist ein schöner Moment im Tagesprogramm wie der am Abend, wenn mir jemand zur Aufmunterung einen Witz serviert. Mein Sohn hat extra dafür einen Tiktok-Kanal abonniert, das rechne ich ihm hoch an.

Und da ich heute Positives teilen will, dürfen Sie über meinen Favoriten der letzten Tage mitlachen: Was ist gelb, hat nur einen Arm und kann nicht schwimmen? Richtig, ein Bagger. Fanden Sie nicht lustig? Der Baggerfahrer auch nicht.

Wann beginnt das Lernen aus der Krise?

Die gute Laune brauche ich, um mich abends nicht von miesepetrigen Talkrunden anstecken zu lassen. Zu wenig Impfstoff? Zu viele Kanzlerkandidaten? Die falschen Maßnahmen? Da bin ich raus und greife lieber zu einem Buch. Ich vermisse in den TV-Diskussionen die großen Themen, die anstehen: Was nehmen wir Positives aus der Krise mit, wenn sie denn mal um ist? Was gibt es jenseits des Konsums für Möglichkeiten der Teilhabe? Wie schaffen wir unsere CO2-Bilanz auch in den nächsten Jahren, wenn wir wieder unterwegs sein wollen? Wie können wir Arbeit und Wohlstand gerechter verteilen, damit alle mehr von ihren Familien und ihrem Leben haben?

Jeder von uns hat im letzten Jahr viel gelernt, sei’s nun in Sachen Virologie oder im Praktischen. Ich kann inzwischen dank toller Tutorials jeden Schlauch in meiner Waschmaschine austauschen und Nudelteig in Orecchiete und Strozzapreti verwandeln. Nun müsste das Lernen im Großen folgen. Denn sicherlich finde es nicht nur ich beruhigend zu wissen, dass auch die Generationen der Zukunft einmal mit einer gefüllten Vesperbox in ein gutes Leben starten werden.

Andrea Kachelrieß hat zwei Kinder, und das seit einigen Jahren. Gefühlt bleibt sie in Erziehungsfragen aber Anfängerin: Jeder Tag bringt neue Überraschungen. Als Kulturredakteurin betreut sie auch die Kinderliteratur.