Krankheitsbedingt hört Susanne Martin am 10. Februar auf und hat für ihre Schiller-Buchhandlung in Stuttgart-Vaihingen keinen Nachfolger und keine Nachfolgerin gefunden. Foto: Engel

Die preisgekrönte Schiller-Buchhandlung in Stuttgart-Vaihingen schließt am 10. Februar für immer. Weil die Online-Konkurrenz so stark ist? Erneut verschwindet ein Wohlfühlort. Lesefans bedauern dies sehr – auch unser Kolumnist Uwe Bogen.

Stuttgart - Woche für Woche bringt Susanne Martin, die seit über 40 Jahren Buchhändlerin ist und seit 22 Jahren Chefin in Stuttgart-Vaihingen, Kunden zum Schmunzeln und zum Nachdenken. Ihre „Postkarte der Woche“ hat einen zentralen Platz im Laden. Zuletzt war dort zu lesen: „ Ich kann bis Weihnachten nicht bügeln, da alle Steckdosen mit Lichterketten belegt sind.“

Entschuldigt ist also, wer gerade mit ungebügelten Hemden rumläuft. Wenigstens kann er die eingesparte Zeit sinnvoll nutzen: mit Lesen statt mit Bügeln!

Auf einer früheren Wochen-Karte stand in der Schiller-Buchhandlung einmal: „Das Leben ist zu kurz, um es immer nur online zu verbringen.“

Für sehr viel Arbeit gibt es relativ wenig Geld

Dass der Internethandel inhabergeführte Buchläden zum Aufgeben zwingt, ist aber nicht der alleinige Grund, warum Susanne Martin schweren Herzens im Februar ihren Lieblingsberuf aufgibt. Eine Krankheit lässt ihr keine andere Wahl. Trotz intensiver Suche fand sie keinen Nachfolger. „Das ist ein generelles Problem im Handel“, sagt die 58-Jährige, „man hat sehr viel Arbeit für relativ wenig Geld – das wollen viele nicht mehr.“

Pro Woche liest sie zwei bis drei Bücher. „Für mich ist das wie Atmen – es geht nicht ohne.“ Ihre Leidenschaft für das Gedruckte gibt sie gern an Kunden weiter. Buchtipps der Chefin und ihrer Mitarbeiterinnen findet man handgeschrieben auf Zetteln in dem schönen Laden am Vaihinger Markt 17, den die Bundesregierung mit dem Deutschen Buchhandlungspreis 2016 ausgezeichnet hat. Über den Buchverkauf hinaus organisiert Susanne Martin Veranstaltungen und macht Büchertische. Dass dies bald Vergangenheit ist, sorgt im Netz für großes Bedauern und für viel Lob an die engagierte Buchhändlerin. „Die Nachricht über das Ende macht mich traurig“, ist zu lesen. Oder: „Eine Perle geht.“ Dies sei „ein großer Verlust“.

Sie will nicht als Opfer wahrgenommen werden

Susanne Martin glaubt, dass nicht allein der Online-Handel schuld sei, warum es kleine Buchgeschäfte so schwer haben. „Ein tiefgreifender gesellschaftlicher Prozess“ betreffe etliche Bereiche, sagt sie: „Bücher konkurrieren inzwischen sehr stark mit anderen Medien – Stichwort Netflix – um die Zeit der Menschen.“ Wer eine Buchhandlung führe, könne mit einem „ausgefeilten Konzept am richtigen Standort“ erfolgreich sein. Wäre sie zehn Jahre jünger und fitter, hätte sie Veränderungen in ihrem Geschäft vorgenommen und wahrscheinlich weitergemacht. Wichtig ist ihr, „nicht als Opfer wahrgenommen zu werden“.

Wie gut, dass Weihnachten vor der Tür steht! Da steigt der Umsatz an wie sonst nicht im Jahr, und man vergisst im Stress die Sorgen der Branche ein wenig. Bücher sind das beliebteste Geschenk der Deutschen zum Christfest – vor Gutscheinen und Spielsachen. „35 Prozent der Bundesbürger wollen Lesestoff unter den Tannenbaum legen“, hat das „Börsenblatt“ bei einer Umfrage ermittelt.

Persönliche Beratung ist im Netz nicht möglich

Man kann sich auch selbst damit beschenken – sogar das ganze Jahr über! Wer sich in Buchläden umschaut, erfreut sich allein schon am Geruch gedruckten Papiers. An diesem Wohlfühlort bleibt die Zeit nicht stehen. Viele Buchhandlungen sind quicklebendige und moderne Kulturbringer mit persönlicher Beratung, wie sie im Netz nicht möglich ist.

Wenn wir diesen Wert nicht zu schätzen wissen, werden noch mehr Läden schließen. Alles Gute und gute Besserung, Susanne Martin, und vielen Dank fürs jahrelange Wecken von Lesefreude! Von März an werden Sie noch mehr Zeit zum Lesen haben. Nicht zuletzt Ihre „Postkarte der Woche“ wird uns fehlen. Auf einer Karte steht eine Warnung: „Achtung, Lesen kann zum Denken führen!“ Man kann es auch so sehen: Die Augen lesen, und im Hirn geht die Fantasie spazieren.