Auf dem Weg nach Ciudad Perdida, in die Verlorene Stadt. Im Hintergrund die bewaldeten Berge der Sierra Nevada. Foto: Thomas Wagner

Erst seit Kurzem ist die Verlorene Stadt in Kolumbien wieder zugänglich. Die Wanderung dorthin führt zu alten Grabräubern und durch Indianerdörfer.

Archäologen dürften ihn verfluchen. Für andere aber ist Adan de Jesus Bedolla eine Legende in der Sierra Nevada de Santa Marta, dem höchsten Küstengebirge der Welt. Er hat Koka angebaut und Gräber ausgeraubt. „30 Jahre lang war ich Grabräuber. Ich habe nur damit aufgehört, weil ich kaum noch laufen kann“, sagt er mit knarzender, kaum verständlicher Stimme. Er greift zu einer Kette um seinen Hals, gefertigt aus Jade, Quarz und anderen Mineralien, und sagt: „Eine Grabbeute, bestimmt 1000 Jahre alt.“ Dann wendet sich der 70-Jährige, der einen Schlapphut trägt, seinen legalen Geschäften zu. Heute betreibt er eines der größten Camps auf dem Weg nach Ciudad Perdida, in die Verlorene Stadt. Eine neue Gruppe von Wanderern ist im Camp eingetroffen. Vor sechs Stunden saßen sich die elf Wanderer noch in einer Gaststube in einem Dorf namens Mamey gegenüber, dem Ausgangspunkt der Tour. Ein Jeep hatte sie die zwei Stunden von der Küstenstadt Santa Marta hierhergebracht: Spanier, Franzosen, Deutsche und einen Schweizer. Die meisten sind typische Backpacker, zwischen 20 und 30 Jahre alt. Alle sind noch etwas schüchtern, doch der Führer Wilson Montero übernimmt ohnehin das Reden. Die Verlorene Stadt, so erklärt er, wurde ab 700 n. Chr. von dem mysteriösen Tayrona-Volk erbaut, auf einem Bergplateau in der Sierra Nevada, 80 Kilometer von der Karibikküste entfernt. Als die Spanier im heutigen Kolumbien einfielen, verschwanden die Tayrona in den Bergen. Erst 1975 entdeckte ein Grabräuber die Ruinenstadt.

Die Wanderung beginnt

Um 13 Uhr ist Abmarsch. Bald bilden Sand und Vegetation links und rechts einen mannshohen Wall, der aber kaum Schatten bietet. Es hat 35 Grad. Zum Glück mildern kurze Regenschauer die Hitze. Irgendwo hinter der grünen Bergkette am Horizont verstecken sich die höchsten Gipfel Kolumbiens, der Pico Cristobal Colón und der Pico Bolivar. Während des Aufstiegs fallen Flächen ins Auge, auf denen die Bäume deutlich niedriger stehen. Ehemalige Koka-Felder, sagt Wilson. Für die Bauern war der Koka-Anbau ein lukratives Geschäft. Reich wurden damit aber die Paramilitärs, an die die Bauern ihre Koka-Ernte verkaufen mussten. Bis 2005 hatten die rechten Todesschwadronen die Gegend unter Kontrolle, dann gaben sie die Waffen ab. Doch ist der Weg schon seit Jahren sicher. Der bewaffnete Konflikt zwischen linken Rebellen und Armee spiele sich in anderen Ecken des Landes ab. Als unsere Gruppe am späten Nachmittag über eine knarrende Hängebrücke im Camp 1 eintrifft, liegen gerade mal sieben Kilometer hinter uns. Es ist nicht so sehr die Entfernung, sondern das ständige Auf und Ab durch Sand und Felsgrund, das in die Knochen geht. Wilson schleppt mit seinen gerade mal 1,60 Metern Material für zwei. Aber er ist geübt darin: Der 44-Jährige führt seit 22 Jahren Wandergruppen durch die Sierra Nevada. Während unsere Gruppe am nächsten Vormittag durch das kalte Wasser des Buticara-Flusses watet, zeigt Wilson auf einen Felsen am Ufer: „Dort ist vor vier Monaten ein Jaguar gesehen worden.“ Auch Pumas und Ozelote sind in den Bergen heimisch. Die nachtaktiven Großkatzen bekommt man kaum zu sehen, im Gegensatz zu den vielen bunten Kolibris, die überall herumschwirren.

Ein Wanderer überholt uns, um die 40 und augenscheinlich topfit. Es ist Santiago Giraldo, bis vor Kurzem staatlicher Chefarchäologe. Die Tayrona-Krieger lieferten sich 80 Jahre lang einen Guerillakampf mit den Spaniern, erzählt Giraldo, während er zügig weiterwandert. „Am Ende waren es von den Europäern eingeschleppte Krankheiten wie Typhus, Grippe und Pocken, die die hochentwickelten Indígenas besiegten.“ Blockhütten tauchen am Wegesrand auf, unter riesigen Zedern, direkt neben einem Bach. Es ist das Camp 3, das Tagesziel. Am nächsten Morgen ist allen leichte Aufregung anzumerken. Heute ist der entscheidende Tag, die Ciudad Perdida wartet. Einige Hundert Meter hinter dem Camp beginnt eine Treppe. Eines der wenigen Schilder während des Trecks weist den Weg. Der Schritt wird schneller, die Erschöpfung schlägt in Aufregung um. Auf 1200 Meter Höhe, nach angeblich 1000 Stufen, gibt der Dschungel ein Bergplateau preis, das von Steinterrassen bedeckt ist. Die Morgensonne beleuchtet das satte Grün, im Hintergrund sieht man die bewaldeten Berge der Sierra Nevada. Auf jeder Terrasse habe eine Familie gewohnt, erklärt Wilson. Die Tayrona-Gesellschaft sei polygam gewesen. Der Mann und seine Frauen lebten in getrennten Häusern. Weil die Gebäude aus Holz gefertigt waren, blieben sie nicht erhalten. Viel Zeit zum Genießen des Blicks bleibt nicht. Schon nach einer Stunde trommelt Wilson die Gruppe zum Abstieg zusammen. Abends erzählt dort Adan de Jesus Bedolla wieder von der Grabräuberei und bedauert, dass sie ein aussterbender Beruf sei: „Um zwei, drei Edelsteine zu finden, musst du bis zu fünf Meter tiefe Löcher schaufeln. Das ist harte Arbeit. Und die Jugend will nicht mehr arbeiten.“