Der Jusi bei Kohlberg gehört zu den markantesten Wegmarken am Albtrauf. Er ist die Geburtsstätte der Kirche im Grünen. Foto: Horst Rudel

Vor 100 Jahren ist ein Pfarrer mit seiner Gemeinde erstmals auf das freie Feld gezogen, um dort einen Gottesdienst zu feiern. Die Pioniertat auf dem Jusi gilt als die Geburtsstunde der Kirche im Grünen. Am Sonntag, 28. Juli, wird das Jubiläum gefeiert.

Kohlberg - Der Erste Weltkrieg war verloren, die Menschen, aller Hoffnung beraubt, lagen am Boden. Und doch muss es eine Art Aufbruchstimmung gewesen sein, die Christen vor 100 Jahren dazu bewegt hat, die „heiligen Mauern“ der Kirchengebäude zu verlassen und ihren Glauben in der freien Natur zu feiern. Auf dem Jusi bei Kohlberg betraten Heinrich Sayler, ein Pfarrer aus dem nahen Dettingen/Erms, und der damalige Leiter der pietistischen Gemeinschaften, Christian Schaufele, buchstäblich Neuland. Sie luden die Gläubigen zum ersten Gottesdienst unter freiem Himmel – die „Kirche im Grünen“ war geboren.

Inzwischen sind die Gottesdienste im Freien aus dem Angebot der Kirche nicht mehr wegzudenken. Doch der Geburtsstunde gilt am Sonntag, 28. Juli, die besondere Aufmerksamkeit. Zum 100. Mal wird das Jusi-Fest des Evangelischen Gemeinschaftsverbandes Württemberg, die Mutter aller Kirchen im Grünen, auf dem markanten Vulkankegel hoch über Kohlberg gefeiert. Zum Jubiläum haben sich der württembergische Landesbischof Frank Otfried July und der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann angesagt.

Fixpunkt des Glaubens

Schnell hatte sich das Glaubenstreffen mit dem bewusst familien- und kinderfreundlichen Charakter bei den Gläubigen etabliert. Durch alle Irrungen und Wirrungen war das Fest auf dem 673 Meter hohen Berg immer ein Fixpunkt geblieben – selbst in Zeiten von Inflation, nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, Krieg und Besatzung. Allerdings sollte es bis zum Jahr 1974 dauern, ehe die „Kirche im Grünen“ auch offiziell, nach dem Vorbild des Jusi-Treffens, gegründet wurde. Inzwischen ist diese Form des Gottesdienstes ein fester Bestandteil der landeskirchlichen Arbeit geworden.

Die Strahlkraft des in einem Naturschutzgebiet am Albtrauf gelegenen Jusi stellt allerdings immer noch alle seine großen und kleinen Nachfolger in den Schatten. In den von Sinnsuche geprägten Nachkriegsjahren wurde das Treffen auf dem Berg zu einer wahren Massenbewegung. Bis zu 3000 Menschen strömten damals auf den Berg, um Predigten des Essener Jugendpfarrers Wilhelm Busch, des früheren Stuttgarter Stiftskirchenpfarrers Konrad Eißler oder der Landesbischöfe Hans von Keler, Theo Sorg und Gerhard Maier zu hören.

Das Geheimnis des Jusi-Treffens

„Wir geben nicht einfach ein Programm vor, sondern wir teilen ein Erlebnis. Wahrscheinlich ist das das Geheimnis des Jusi-Treffen“, versucht sich der Pfarrer Steffen Kern, der Vorsitzende des Vorstandes des Evangelischen Gemeinschaftsverbandes Württemberg, mit einer Erklärung. „Die Atmosphäre auf dem Jusi ist einzigartig. Die kann kein Bauwerk der Welt ersetzen“, pflichtet ihm Fritz Klein bei, der die organisatorischen Fäden der Jubiläumsveranstaltung in Händen hält. Auf dem Jusi fühle man sich der Welt entrückt, die einem zu Füßen liege.

Dieses Gefühl kennt der Kohlberger Bürgermeister Siegfried Taigel. Der Kohlberger Hausberg, markant und weithin sichtbar, stifte Heimatgefühl und Zusammengehörigkeit für die Menschen, die an seinem Fuß leben, schreibt er in seinem Grußwort zum Jubiläumsfest. Gerade in der Unübersichtlichkeit der heutigen Zeit suchten die Menschen diesen Weitblick.

Zum Jubiläum hat sich Prominenz angesagt

Das Jusi-Treffen am Sonntag, 28. Juli, beginnt um 10.30 Uhr mit einem Festgottesdienst. Die Predigt wird der Landesbischof Frank Otfried July halten. Daran schließt sich eine Mittagspause an, bevor um 13.30 Uhr die Jubiläumsfeier mit Ausblick stattfindet. Hier hat sich der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann angesagt. Bei Regen zieht das Jubiläumsprogramm in die Jusihalle nach Kohlberg um.

Der evangelische Gemeinschaftsverband Württemberg, die Apis, ist mit seiner Gemeinde- und Bildungsarbeit, seiner Diakonie und seinen Freizeitangeboten an 300 Orten im Land und im bayrischen Allgäu vertreten. Mit seiner Arbeit, für die rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verantwortlich zeichnen, erreicht der 1857 gegründete Verein eigenen Angaben zufolge mehr als 100 000 Menschen im Jahr.