In sozialen Netzwerken finden sich vermehrt Bilder von körperbezogene Trends, auch „Challenges“ genannt. Diese Bewegung birgt aber vor allem für Heranwachsende nicht zu unterschätzende Gefahren, sagt ein Ernährungsexperte.
Stuttgart - Die "Thigh-Gap-Challenge", die "Belly-Button-Challenge" oder jüngst die "A4-Waist-Challenge": In den sozialen Netzwerken wie Instagram und Facebook finden sich vermehrt körperbezogene "Challenges". Wörtlich übersetzt sind dies "Anforderungen" oder auch "Herausforderungen" an sich selbst, an den eigenen Körper. Menschen, vor allem Jugendliche, die diese sozialen Netzwerke nutzen, posten demnach Bilder von sich selbst, wie sie die jeweilige "Challenge" erfüllen - ein durchaus gefährlicher Trend, kritisieren Experten.
Derzeit geistert die "A4-Waist-Challenge" durch das Netz: Ein DIN-A4-Papierblatt wird in Taillenhöhe senkrecht vor den Körper gehalten, wenn auf beiden Seiten wenig bis gar nichts mehr von der eigenen Hüfte zu sehen ist, hat man die perfekten Anforderungen erfüllt - zumindest laut den Schönheitsidealen, die die Standards in den sozialen Netzwerken setzten.
Zuvor gab es im Netz auch schon Bilder von jungen Mädchen, die versuchen, so viele Geldmünzen wie möglich entlang ihres hervorstehenden Schlüsselbeins aufzureihen. Diese "Challenge" nennt sich "Collarbone-Challenge", also Schlüsselbein-Herausforderung. Eine weitere heißt "Thigh-Gap-Challenge". Hier kommt es darauf an, dass zwischen den Oberschenkeln eine möglichst große Lücke zu sehen ist, die Beine also sehr dünn sein müssen. Bei der "Belly-Button-Challenge" fasst man sich mit einer Hand hinterrücks um die Taille und versucht dann seinen Bauchnabel zu berühren. Mit normalem Körperbau stellt das eine fast unlösbare Herausforderung dar, nur sehr dünne oder eben sehr gelenkige Menschen können sich derartig verrenken.
Experten kritisieren diese Trends
„Die zahlreichen "Challenges" in den sozialen Netzwerken verfremden das normale Körperbild immer mehr“, kritisiert der Ernährungstherapeut Sven Bach. Die Auswirkungen, so der Experte, gingen in einen kritischen Bereich über, der mit den gentischen Standards, über die jeder Mensch verfügt, nicht kompatibel seien. Ab einem gewissen Alter - meist nach Vollendung der Pubertät - sei es für einen normal entwickelten erwachsenen Körper überhaupt nicht mehr möglich, diesen Anforderungen zu entsprechen. „Der Körper wird regelrecht ausgemergelt, um dem verzerrten Körperbild zu entsprechen“, erklärt Bach.
Und das hat Folgen: „Viele entwickeln eine sogenannte Körperwahrnehmungsstörung“, sagt Bach. Will heißen: obwohl die betroffenen Jugendlichen über einen normalen und gesunden Körperbau verfügen, nehmen sie sich selbst in einer verzerrten Sicht wahr und sind bereit, alles dafür zu tun, den Vorbildern auf Instagram oder anderen Netzwerken zu entsprechen. Dabei würden wesentliche Faktoren einfach ausgeblendet - etwa, dass viele Bilder mit dem Computerprogramm "Photoshop" bearbeitet wurden, gibt Bach zu bedenken.
Ernsthafte Folgen des Körperwahns
Die Folgen der verzerrten Wahrnehmung und des überspitzten Körperwahns können zu ernsthaften körperliche Erkrankungen wie Essstörungen aber auch psychische Erkrankungen wie Depressionen führen. „Wenn man unter einem verminderten Selbstwertgefühl leidet und sich durch die Anerkennung von Dritten aufwertet oder definiert, verleiten solche problematischen Körperbilder leicht zu dekonstruktivem Verhalten. Die Betroffenen holen sich beispielsweise in digitalen Diätportalen oder direkt in den Kommentaren unter ihren Bildern in den sozialen Netzwerken Zuspruch, Lob und Anerkennung anderer Nutzer. So wird der Antrieb zur Gewichtsreduktion immer wieder gefördert“, beobachtet Bach.
Die am meisten gefährdete Gruppe ist die der heranwachsenden Mädchen - aber auch bei den Jungen ist die Dunkelziffer weitaus höher als offiziell bekannt, weiß der Ernährungsexperte. Das Problem bestehe aber nicht erst, seit es soziale Netzwerke gibt, sagt Sven Bach. „Auch ältere Damen berichten mir von ähnlichen Problemen und sie sind auf keinen digitalen Plattformen unterwegs", sagt der Experte. In dieser Generation, so erklärt Bach, seien vor allem die damals neumodischen Appetitzügler angesagt gewesen. Die Darstellung des perfekten Körpers nach Außen erfolgte hier nicht über Bilder im Internet, sondern eher über andere Damen mit besonders luftigen Sommerkleidern auf Festen oder im Schwimmbad.
Die sozialen Medien tragen nicht die Alleinschuld
Ein anderer überraschender Fakt ist der augenscheinliche Zwiespalt, in dem sich die Männerwelt im Bezug auf die Partnerwahl befindet. „Männer finden Frauen mit gewissen Rundungen sexuell im Allgemeinen viel attraktiver als Frauen mit eher burschikosem Körperbau“, erklärt Bach. „Wenn sie aber den Partner für eine Liebesbeziehung auswählen, entscheiden sie sich meistens für schlanke Frauen, die den vermittelten schlanken Körperidealen mehr entsprechen.“ Diese würden die Männer in der Öffentlichkeit mehr schmücken und gleichzeitig für mehr Anerkennung in der Gesellschaft sorgen.
So tragen die sozialen Netzwerke also nicht die alleinige Schuld an den gefährlichen Trends - vielmehr sind sie eine Plattform zur Verbreitung der zurzeit herrschenden Schönheitsidealen und dienen dem Austausch unter Gleichgesinnten. Das Problem lasse sich nicht lokalisieren, so Bach, sondern nur auf mehrere Ursprünge zurückverfolgen.