Gemeinsames Grillen geht weiterhin: Sohn Henri isst vegane Beilagen, die anderen grillen Fleisch oder Fisch. Foto: Horst Haas

Seit dreieinhalb Jahren ist der 16-jährige Henri Geiselhart Veganer. Sein älterer Bruder kann nicht auf Steaks verzichten. Wie gelingt einer Familie von der Schwäbischen Alb, dass nicht jedes Essen in einen Kulturkampf ausartet?

Als Henri Geiselhart mit 13 Jahren seinen Eltern eröffnet, dass er ab sofort vegan lebt, sind diese entsetzt. Zum einen ist da die Frage: Was macht es mit dem Wachstum eines Jungen in der Pubertät, wenn der keine Eier, kein Käse, keine Butter mehr isst, keine Milch mehr trinkt? Und zum anderen die Verunsicherung: Wie können sie als Familie künftig noch zusammen essen? Wenn der eine Sohn quasi zu jeder Mahlzeit Fleisch will, der andere alles Tierische verweigert, der Vater Fisch liebt und die Mutter eine leichte Laktoseintoleranz hat?

 

Dreieinhalb Jahre später sitzt Henri Geiselhart, inzwischen 16 Jahre alt, mit seinen Eltern auf dem Balkon beim Mittagessen. Die Familie lebt in Hayingen im Kreis Reutlingen auf der Schwäbischen Alb. Landleben-Idylle. Der Vater Andreas Knupfer (45) steht am Grill. Auf dem Rost liegen Würstchen und Fisch, aber auch Zucchini und Kartoffeln. Der Nudelsalat, der Kartoffelsalat und der Tomatenaufstrich auf dem Tisch sind vegan, das Brot sowieso. Und plötzlich scheint alles nicht mehr so kompliziert zu sein wie befürchtet. „Ich bereite inzwischen alle Beilagen vegan zu“, sagt Margot Geiselhart (53), die Mutter. Der 19-jährige Sohn bekommt oft zusätzlich ein Stück Fleisch.

Spaghetti und Pizza geht für alle

Die Eltern haben sich von Henris Ernährungsumstellung inspirieren lassen. Sie essen deutlich weniger tierische Produkte. Sojajoghurt schmeckt ihnen sogar besser als Joghurt aus Kuhmilch. Margot Geiselhart ernährt sich außerdem jeden Montag sowie im Januar konsequent vegan. „Mir fehlt dabei nichts, nur im Kopf ist es manchmal schwierig“, sagt sie. Die Familie hat inzwischen auch Restaurants gefunden, in denen alle vier fündig werden: einen Italiener etwa oder auch Frühstückslokale.

Und es gibt einige vegane Gerichte für Zuhause, die alle mögen: Spaghetti mit Tomatensoße, Minestrone, Linsen, Gemüseküchle, Salate, asiatische Gerichte aus dem Wok – und Pizza. Henri isst Pizza mit veganem Käseersatz, die anderen Pizza mit echtem Käse. Wobei zur Wahrheit auch gehört: In dem Alter, in dem die beiden Söhne nun sind, finden meist nur noch einmal pro Woche gemeinsame Familienessen statt. Auch das macht es leichter. Und Henri kauft manchmal für sich selbst vegane Fertigprodukte. Denn täglich frisch kochen, das schaffen weder er noch seine Eltern.

In der Schulmensa wird selten vegan gekocht

Schon bevor Henri zum Veganer wurde, ernährte er sich vegetarisch. Auch Beiträge in sozialen Medien, unter welchen Bedingungen Kühe Milch geben, Hühner Eier legen und das Ganze weiterverarbeitet wird, haben dazu geführt. „Das wollte ich nicht unterstützen“, sagt er. Ihm geht es dabei weniger ums Klima, wenngleich eine pflanzenbasierte Ernährung als die emissionsärmste für den Planeten gilt. Ihm geht es um die Tiere.

Ist Henri irgendwo eingeladen, bringt er sich manchmal sein Essen mit. So wird niemand in Verlegenheit gebracht. Vor allem Frauen seien oft begeistert von den veganen Optionen, berichtet er. Und seine Freunde fänden seine Ernährungsweise sowieso gut, „bei jungen Leuten gibt’s immer etwas Veganes“. In asiatischen Imbissen, beim Bäcker, im Supermarkt oder beim „Dönermann“, wo er mit seinen Freunden oft hingeht, ebenso. In der Schulmensa werde hingegen fast nie etwas rein Pflanzliches angeboten.

Auch bei Omas Essen macht Henri keine Ausnahme

Ein paar Dinge sind immer noch schwierig. Andreas Knupfer hat zum Beispiel wenig Verständnis dafür, dass Henri nie Ausnahmen macht – auch dann nicht, wenn sie bei der Oma zum Essen eingeladen sind, auf einem Dorffest sind oder Urlaub in einem Land wie Portugal machen, in dem vegane Ernährung bisher eine untergeordnete Rolle spielt. Manchmal gibt es Streit – Henri isst dann im Zweifel gar nichts. Er selbst findet das nicht so schlimm: „Das ist das Opfer, das ich bringe.“ Auch dass in dem gutbürgerlichen Gasthaus, in dem er seit Kurzem kellnert, kein einziges veganes Gericht auf der Speisekarte steht, mache ihm nichts aus, sagt er.

Und was würde die Familie anderen empfehlen, bei denen das gemeinsame Essen durch unterschiedliche Ernährungsvorlieben zum Kampf ausartet? „Entspannt bleiben“, rät Henri. Und sich gemeinsam mit vegetarischer oder veganer Ernährung beschäftigen. Manche Dinge seien auch ganz einfach zu verändern: Bei veganer Sahne oder veganer Butter schmecke man etwa kaum einen Unterschied zu den herkömmlichen Produkten.

Andreas Knupfer berichtet noch von einem Erlebnis in seinem Tennisverein. Eine Vereinskollegin machte einmal Linsen, Spätzle und Würstchen für alle. „Erst ganz am Ende hat sie gesagt, dass alles vegan war. Keiner hat’s gemerkt.“ Der Placebo-Effekt sei beim Essen nicht zu unterschätzen.