Windräder in der Nordsee. Sie produzieren derzeit sehr teuren Strom Foto: dpa

Ob sich Windkraft im Südwesten noch rentiert wird in den kommenden Monaten in Berlin entschieden

Berlin/Stuttgart - In Sachen Ausbau erneuerbarer Energien schaltet die Bundesrepublik einen Gang runter. Das jedenfalls geht aus Bestimmungen des Koalitionsvertrags hervor. Die Branche ist in Alarmstimmung.

185 Seiten umfasst der in wochenlangen Verhandlungen ausgearbeitete Koalitionsvertrag der möglichen schwarz-roten Bundesregierung. Allein zwölf Seiten davon sind dem Thema Energiewende gewidmet.

An den wenigen konkreten Stellen entfaltet das Dokument, das später durch Gesetze konkretisiert werden soll, Sprengkraft. Eine „energie- und klimapolitische Sackgasse“, nannte die Karlsruher Grünen-Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl, den Vertrag. Ähnlich äußerten sich zahlreiche Umweltverbände und -initiativen. Auch Teile der Wirtschaft, etwa der mächtige Maschinenbauerverband VDMA, sprachen von einem Start „im Rückwärtsgang“.

Einer der Kritikpunkte ist der angepeilte Ausbaukorridor für Ökoenergien wie etwa Solar- oder Windkraft. Bis zum Jahr 2025 sollen gemäß den Koalitionsplänen „40 bis 45 Prozent“ des deutschen Stromverbrauchs mit Ökoenergien gedeckt werden. Experten erkennen in den Zahlen ein Hemmnis für den schnellen Übergang Deutschlands zu einer grünen Energiewirtschaft.

„Die Bestimmung stellt ein Zurückrudern gegenüber vorangegangenen Zielen dar“, sagte Uwe Leprich, Leiter des Saarbrücker Instituts für Zukunfts-Energie-Systeme (Izes), unserer Zeitung. Auch beim Bundesverband Windenergie (BWE) heißt es, die Festlegung hemme die „Ausbaudynamik erneuerbarer Energien“.

Motto der Politik: Weniger Öko-Energie ist mehr

Die sinkenden Ambitionen der zukünftigen Koalitionäre zeigen sich auch beim Blick auf die einzelnen Energieträger, mit denen Deutschland den Übergang ins Ökozeitalter schaffen will. Zwar gibt es generell einen Bestandsschutz bereits bestehender Anlagen, der Ausbau von Windrädern vor der Küste (Offshore) soll aber nun um rund ein Drittel – auf eine Anlagenleistung von 6,5 Gigawatt – zurückgeschraubt werden. Das entspricht der Nennleistung von rund sechs Kernkraftwerken. Der Schritt, der schon länger im Raum stand, ist sehr hohen Kosten der Seewindkraft geschuldet, die einer der Preistreiber der Energiewende ist.

Der Ausbau der Fotovoltaik, also der Erzeugung von Strom durch die Sonne, ist schon länger auf 52 Gigawatt begrenzt. Der Bau von Dachanlagen hat sich dieses Jahr wegen sinkender Fördersätze spürbar abgeschwächt, und große Solaranlagen auf Äckern werden wegen ihrer negativen Auswirkungen auf die Landwirtschaft schon länger gar nicht mehr gefördert. Der Anlageneubau ist daher eingebrochen.

Gleiches gilt für den dritten Pfeiler der Energiewende – Biogasanlagen, wie sie vorrangig von Landwirten betrieben werden. Auch hier gehen die Neubauzahlen seit 2012 drastisch zurück. In den Koalitionsverhandlungen verhinderte die CSU das endgültige Aus für neue Gärmeiler. Gegen erhebliche Widerstände verankerte sie in dem Papier einen Passus, der es weiter ermöglichen soll, die Anlagen mit Nahrungsmitteln, etwa Mais, zu betreiben. Er gilt als Renditebringer. Allerdings ist es politischer Konsens, die großflächige Nutzung von Nahrungsmitteln zur Energieerzeugung einzudämmen; Biogasanlagen stehen daher ebenfalls auf dem Abstellgleis.

Der wohl umstrittenste Punkt im Öko-Energiekapitel des Koalitionsvertrags betrifft jedoch die Zukunft der Windkraft an Standorten im Binnenland. Hier sind die im Vergleich zu den Küstengebieten eher ertragsschwächeren Standorte zu finden. Um die Frage, ob auch sie weiterhin gefördert werden, war es in den Koalitionsverhandlungen zu harten Diskussionen gekommen. Der Grund: Länder wie Baden-Württemberg oder Bayern haben großes Interesse, dass sich die Wirtschaftlichkeit ihrer Standorte nicht verschlechtert. Immerhin sollen bis 2020 zehn Prozent der Energie im Südwesten aus diesen Anlagen stammen. Der Koalitionsvertrag zieht nun eine Art Grenze, bis zu der die Politik Windräder auch an durchschnittlichen Standorten so fördern will, dass sie Gewinne einfahren. Diese Grenze liegt bei „75 bis 80 Prozent“ eines angenommenen Durchschnittswindertrags.

Werden schlechte Windstandorte überhaupt noch gefördert?

Die Auswirkungen dieses Werts auf die Windkraft im Südwesten sind derzeit strittig. Während Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) vor einem Kahlschlag warnt, sehen Fachleute die Lage gelassener. Die Regel bedeute nicht das Aus der Windkraft in Baden-Württemberg, sagte Izes-Chef Leprich. Im Verlauf der Verhandlungen seien weitaus schwerere Einschnitte auf dem Tisch gelegen, heißt es auch aus informierten Kreisen. Vom Energiekonzern EnBW, der stark auf Windkraft setzt, hieß es, die genauen Auswirkungen des Koalitionsvertrags seien derzeit „noch nicht völlig ersichtlich“.

Die entscheidende Frage wird nach Ansicht von Beobachtern sein, ob sich die Politik entschließt, Standorte unterhalb der vereinbaren 75-Prozent-Grenze ganz aus der Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) herauszunehmen. Für die ambitionierten Wind-Pläne der deutschen Binnenländer wäre das tatsächlich eine Hiobsbotschaft. Allein in Baden-Württemberg fallen nach Daten des Stuttgarter Umweltministeriums rund 50 Prozent der möglichen Wind-Standorte unter diese magische Grenze. Gegen entsprechende Pläne werde man sich „mit aller Kraft wehren“, hieß es aus dem Haus von Umweltminister Franz Untersteller (Grüne). Über den Bundesrat hat das Land bei der zukünftigen Ausarbeitung des EEG tatsächlich noch Einflussmöglichkeiten in der Gesetzgebung.

Dass es zu einer derartigen Radikalreform der Windkraftförderung kommen wird, sei derzeit aber unwahrscheinlich, heißt es aus Berlin.