Während die CDU den Koalitionsvertrag wohl parteiintern durchwinkt, stimmt die SPD-Basis über das Bündnis mit der Union ab. Im Rems-Murr-Kreis zeigt sich: Zwischen Akzeptanz und Ablehnung ist alles offen.
Von außen sieht es aus wie ein Schulterschluss der staatstragenden Mitte, innen aber rumort es gewaltig. SPD, CDU und CSU haben ihren Koalitionsvertrag ausgehandelt, doch die Sozialdemokratie lässt darüber nicht einfach in Parteizirkeln abstimmen – sie fragt die Basis. Und diese Basis, das zeigt sich besonders deutlich im Rems-Murr-Kreis, ist gespalten zwischen Pragmatismus und Prinzipientreue.
Die Abstimmung biegt auf die Zielgerade ein: Seit dem 15. April können die rund 300 000 SPD-Mitglieder bundesweit ihr Kreuz machen – für oder gegen das Bündnis mit der Union auf Bundesebene. Am 29. April um Punkt 23.59 Uhr endet die Frist. Schon einen Tag später, am 30. April, soll das Ergebnis verkündet werden – ein politischer Showdown mit ungewissem Ausgang.
SPD Rems-Murr: Gespaltene Meinungen zum Koalitionsvertrag
Im Rems-Murr-Kreis ist die Stimmung alles andere als einhellig. Das geht aus einer Mitteilung des Kreisvorsitzenden Pierre Orthen hervor, der ein Stimmungsbild gezeichnet hat. „Wirkliche Kopfschmerzen“ bereitet demnach der Vertrag etwa Bettina Süßmilch aus Waiblingen, die vor allem die Rückabwicklung des Bürgergelds und die klimapolitische Unschärfe scharf kritisiert. Gleichwohl betont sie, dass eine stabile Regierung ohne rechte Einflussnahme Priorität habe. Der Deal sei „nicht schön, aber notwendig“.
SPD im Spagat – zwischen Parteiprofil und Regierungsverantwortung
Simone Kirschbaum aus Backnang will den Vertrag als „guten Kompromiss“ verstanden wissen, äußert aber Zweifel an der Verlässlichkeit der CDU. Ihre Hoffnung liegt auf den Jusos, die als moralisches Korrektiv wachsam bleiben sollen. Die Kinder- und Jugendmedizin sei gestärkt worden, sagt sie – doch was nütze das, wenn zentrale soziale Fragen vertagt würden?
Peter Hutzel aus Schorndorf warnt davor, dass die Erhöhung des Mindestlohns ohne Begleitmaßnahmen zur Belastung werden könnte – für kleine Unternehmen ebenso wie für kommunale Haushalte. Und in der Migrationspolitik fordert er mehr als Symbolik: „Verbindliche Integrationsangebote sind keine nette Geste, sondern Überlebensfrage für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Der Kreisvorsitzende Orthen (Leutenbach) selbst bringt es auf den Punkt: „Ein Nein bedeutet politische Unsicherheit, ein Ja aber darf nicht als Blankoscheck verstanden werden.“ Für ihn steht fest: Nur mit einer Trennung von Partei- und Regierungsamt könne die SPD ihr Profil schärfen und glaubwürdig bleiben.
CDU setzt auf Parteigremien – keine Abstimmung an der Basis
Während die SPD ihre Basis befragt, entscheidet die CDU auf bewährte Weise: von oben. Der ausgehandelte Koalitionsvertrag wird zunächst im CDU-Präsidium und im Bundesvorstand beraten. Die finale Entscheidung fällt am 28. April im Bundesausschuss – dem kleinen Parteitag der CDU. Ein Mitgliedervotum? Fehlanzeige. Die Union vertraut auf ihre Funktionärsstruktur – und auf die parteiinterne Disziplin.
Christina Stumpp, stellvertretende CDU-Generalsekretärin und Bundestagsabgeordnete aus Waiblingen, hat daran keinen Zweifel. Im Interview mit unserer Zeitung betont sie: „Dieser Vertrag trägt klar unsere Handschrift.“
Besonders stolz zeigt sie sich über die Kehrtwende in der Migrationspolitik, über steuerliche Entlastungen und Investitionsanreize. Persönlich hätte sie zwar lieber das Cannabisgesetz gekippt und Atomkraftwerke länger laufen lassen – aber: „In der Gesamtbetrachtung stimmt die Richtung.“
SPD-Basis vor entscheidender Abstimmung: Signal für die Zukunft?
Nun richten sich alle Augen auf die SPD-Basis. Wird sie zustimmen – trotz aller Bauchschmerzen? Oder wird sie ein Signal senden, das weit über den Parteitagssaal hinausreicht? Die Entscheidung fällt in wenigen Tagen – und könnte die deutsche Politik in ihren Grundfesten erschüttern.
Denn eines ist klar: Ein Nein der SPD-Basis wäre nicht nur eine Ohrfeige für die Parteispitze. Es wäre auch das Ende der geplanten Regierungsbildung – und der Beginn einer neuen politischen Unsicherheit. Ein Ja dagegen hieße: Weiter so – mit zusammengebissenen Zähnen und der Hoffnung, dass aus der Vernunftkoalition irgendwann wieder eine Herzensangelegenheit wird.
Der Koalitionsvertrag
Einigung
Nach der Bundestagswahl im Februar 2025 haben sich CDU/CSU und SPD auf eine Große Koalition geeinigt. Der Koalitionsvertrag wurde am 9. April vorgestellt. Die Parteigremien müssen noch zustimmen, bei der SPD per Mitgliedervotum bis 30. April. Friedrich Merz soll Anfang Mai zum Kanzler gewählt werden.
Kompromisse
Ein Milliardenpaket für Infrastruktur und Klima wurde vereinbart. Es bleibt beim Soli für Topverdiener, der Mindestlohn steigt auf 15 Euro. Das Bürgergeld wird verschärft, die Rente stabilisiert. In der Migrationspolitik gibt es strengere Regeln und befristeten Stopp beim Familiennachzug. Das Heizungsgesetz wird gestrichen.
Ausblick Beobachter sehen eine pragmatische, aber ideenarme Koalition. Die AfD wird zur größten Oppositionskraft. Die Zustimmung der SPD-Basis gilt als wahrscheinlich. Ziel ist eine stabile Regierung, um Vertrauen zurückzugewinnen.