Nach dem Rückzug von Forschungsministerin Annette Schavan wegen der Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit gilt aus Sicht der Südwest-CDU Landesparteichef Thomas Strobl als erster Anwärter auf ein weiteres Ministeramt. Foto: dpa

Die CDU gibt den beiden Partnern CSU und SPD in den Koalitionsverhandlungen erstaunlich viel Spielraum. Das ist auch die Folge von Meinungsverschiedenheiten in der Union. Landes-CDU dringt nach ihrem Erfolg bei der Bundestagswahl auf zwei Posten im Kabinett von Angela Merkel.  

Die CDU gibt den beiden Partnern CSU und SPD in den Koalitionsverhandlungen erstaunlich viel Spielraum. Das ist auch die Folge von Meinungsverschiedenheiten in der Union. Landes-CDU dringt nach ihrem Erfolg bei der Bundestagswahl auf zwei Posten im Kabinett von Angela Merkel.  

Berlin/Stuttgart - „Voll von Freude war mir die Welt, / als noch mein Leben licht war; / Nun, da der Nebel fällt, ist keiner mehr sichtbar.“

Alexander Dobrindt, der CSU-Generalsekretär, galt bislang einer allzu großen Nähe zur deutschen Dichtkunst als unverdächtig. Aber vielleicht hatte er Hermann Hesse im Kopf, als er sich mit Blick auf den Stand der Koalitionsverhandlungen jüngst zur Bemerkung hinreißen ließ: „Wir sind im Nebel unterwegs.“ Und da, sagt Hesse, „ist keiner mehr sichtbar“. Was für die Kanzlerin stimmt. Nicht wenige in der CDU stellen sich die Frage: Wo ist Merkel?

Nun ja, sie taucht immer mal wieder auf. Am Montag erst in der Parteizentrale der SPD. Da gibt es dann die üblichen Bilder, ein paar Bemerkungen in Richtung des Kamerawaldes – und Abgang. Im Übrigen geht die Regierungsroutine ihren Gang. Gestern Paris, wo eine Konferenz zur Jugendarbeitslosigkeit stattfand, heute überreichen die Wirtschaftsweisen ihr Jahresgutachten. Und morgen kommt Bill Gates ins Kanzleramt. Aber der weiß ja gar nicht, wie es ist, wenn man mehr ausgeben will, als man hat.

Das aber ist gerade das Problem der Möchtegern-Koalitionäre. In den vielen Arbeitsgruppen herrschte lange Vorweihnachtsstimmung. Gegenseitig erfüllten sich SPD und CDU ihre Wunschlisten. Bis jemand die Reißleine zog. Angela Merkel war das nicht. Horst Seehofer, der CSU-Chef, redete in großer Runde und sehr medienöffentlich den Unterhändlern ins Gewissen. Ohne Zweifel war das ganz im Sinne der Kanzlerin. Und in der Fraktion hat sie genauso klargemacht, dass die Spendierlaune nicht die Grundlage für ernsthafte Verhandlungen sein kann. Aber nicht nur in der Öffentlichkeit, auch in der CDU entsteht der unbehagliche Eindruck, dass die Richtung der Gespräche nicht von der Regierungschefin vorgegeben wird.

SPD setzt heißdiskutierte Themen

Läuft da etwas an der CDU vorbei? Tatsächlich bestimmen andere die Agenda des politischen Dialogs. Die SPD setzt mit Mindestlohn, Frauenquote, Kita-Ausbau heiß diskutierte Themen, die CSU bespielt die Bühne mit dem Dauerbrenner Pkw-Maut. Die CDU wirkt plötzlich ganz klein zwischen den eigentlichen Juniorpartnern. Die Merkelversteher im Kanzleramt singen das Loblied auf das taktische Geschick der Chefin. Die Naturwissenschaftlerin im Kanzleramt verfolge nüchtern den Prozess und werde dann steuernd zusammenführen, was noch einer Lösung bedarf. Das wäre ja auch akzeptabel. Nur gehört es eigentlich auch zu den Pflichten einer Regierungschefin, klarzumachen, welcher Leitlinie die neue Koalition folgen will. Eine Große Koalition braucht ein großes Projekt.

Die CDU steht da vor mehreren Problemen. Eines ist strategischer Art. „Unser Zug steht auf dem richtigen Gleis“, sagt der Haushaltsexperte Norbert Barthle. „Die Wähler wollen möglichst wenig Veränderung am Kurs der Bundesregierung.“ So sieht das auch Wirtschaftsfachmann Joachim Pfeiffer: „Es gibt keinen zwingenden Grund, jetzt alles anders zu machen.“

Das bringt die Union zwangsläufig in die Position einer defensiven Mannschaft, die damit zufrieden ist, das Tor sauber zu halten und alle scharfen Flanken aus dem Strafraum herauszuköpfen. So sind denn auch die Erfolge, die die CDU-Politiker präsentieren, wenn sie über den bisherigen Verlauf der Koalitionsgespräche reden, eher statischer Art. Pfeiffer: „Es wird keine Steuererhöhungen geben, und die Haushaltskonsolidierung samt Schuldenabbau kommt voran.“

Das alles ist defensiv. Mit eigenen aktiven Projekten kann die CDU noch kaum punkten. Und auch dort, wo es vielversprechend aussieht, geht es nicht ohne unerwünschte Nebenwirkungen ab. Beispiel Mütterrente. Das ist eines der sehr wenigen konkreten Wahlkampfversprechen der Kanzlerin. Also wird es sie geben. Aber die ist teuer.

Das führt zum zweiten Problem. Und das ist nicht nur strategisch, sondern inhaltlicher Art. Die CDU ist sich nicht einig. Das macht die Zurückhaltung der Kanzlerin zumindest erklärlich. In der vergangenen Woche hat der Wirtschaftsflügel in der Union in einer Fraktionssitzung massiv protestiert. Die „Sopos“, das ist das etwas despektierliche Kürzel für die Sozialpolitiker, seien viel zu freigiebig. Tenor: Wenn die Mütterrente dazu führe, dass man der SPD die abschlagsfreie Rente mit 63 bei 45 Versicherungsjahren spendieren müsse, dann könne man sich vom Sparkurs gleich ganz verabschieden. Beim linken CDU-Flügel heißt es lapidar, das sei das Geschrei der Verlierer.

Mag sein. Aber die Meinungsverschiedenheiten verunklaren den Kurs der Partei. Das passiert auch beim Thema Maut. Auch da hatte sich die Kanzlerin festgelegt – was die CSU nicht im mindesten stört. Überhaupt spielen die Bayern ihr eigenes Spiel. Die SPD kann sich zurücklehnen. Oder die Diskrepanzen geschickt ausnutzen. Wie beim Thema Volksabstimmungen. Die CSU will sie, die SPD auch. Also verabredeten Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und SPD-Innenpolitiker Thomas Oppermann ein gemeinsames Papier. Das ging glatt an der CDU vorbei. Die kann die Plebiszite nun nur auf Kosten weiterer öffentlicher Querelen stoppen.

Anwärter auf Kabinettsposten bringen sich in Position

Da ist es manchmal besser, die Konflikte nach altbewährter Art auf die lange Bank zu schieben. Das Kleingedruckte beim nun gefundenen Energiekonsens soll bis Ostern im Ministerium ausgearbeitet werden. Auch bei der Maut wird möglicherweise nur eine vage Absichtserklärung im Koalitionsvertrag stehen. Immerhin gibt es darüber eine gewisse Einigkeit. Aber die großen Brocken sind ja alle noch ungeklärt: allen voran Mindestlohn und Rente. Die Hoffnung, die Große Koalition könne Großes anpacken, verflüchtigt sich. Thomas Strobl, Partei-Vize und Chef der Südwest-CDU, ahnt bereits: „Die Große Koalition wird keine Revolution, sondern Evolution bringen.“

Es gibt noch eine weitere Schwierigkeit, die das Fortkommen der Gespräche belastet. Da noch ganz offen ist, welche Minister ins Kabinett einziehen werden, erscheint es manchem Unterhändler klüger, vorerst auf Abwarten zu setzen – in der Hoffnung, dass möglichst viel Unkonkretes im Koalitionsvertrag einem Minister mit eigenem Parteibuch wenig Fesseln anlegt und viel Gestaltungsraum offenlässt.

Hinter den Kulissen bringen sich die Anwärter auf Kabinettsposten in Position. Der Südwesten verfolgt dabei handfeste Eigeninteressen. Neben Wolfgang Schäuble, der wohl Finanzminister bleibt, soll ein weiteres Mitglied der Südwest-CDU in die Regierung. Norbert Barthle (Wahlkreis Backnang, Schwäbisch Gmünd) sagt: „Wir wollen Ersatz für den Abgang von Schavan. Unser Landesgruppen-Chef Thomas Strobl hat das unbestrittene erste Zugriffsrecht.“

Strobl vermeidet vorsichtig die Werbung in eigener Sache. Dennoch ist unmissverständlich, wie er argumentiert. „Die Südwest-CDU hat das beste Bundestagswahlergebnis aller Landesverbände, wir haben mit elf Prozent den höchsten Zuwachs. Das ist deutlich besser als die Bayern.“ Zudem sei die baden-württembergische Landesgruppe in der Bundestagsfraktion „stark wie nie“. Schließlich habe man im Land alle Direktmandate geholt. Daraus leitet er ab: „Baden-Württemberg wird auch in Zukunft in Fraktion und Bundesregierung stark vertreten sein.“ Und er weiß auch, durch wen am besten. Allerdings ist die Sache nicht einfach. Die CDU wird wohl in der neuen Regierung zwei Minister weniger stellen. Angedacht ist die Formel CDU 5, CSU 3, SPD 6. Verzichtet hat von der alten Mannschaft bislang nur Familienministerin Kristina Schröder. Das wird alles ganz am Schluss entschieden. Bis dahin liegt alles im Nebel.