Die Einigung zur Groko in Berlin geht voran. Foto: dpa

Ein neues schwarz-rotes Bündnis zwischen Union und SPD baut auf einem schwachen Fundament. Chefredakteur Christoph Reisinger spricht von drei großen Missverständnissen.

Stuttgart - Eine Geschäftsgrundlage gibt es jetzt. Weiter reicht die großkoalitionäre Herrlichkeit allerdings noch nicht. Und das liegt weniger daran, dass die Einigung von CDU, SPD und CSU unter dem Vorbehalt der Bestätigung durch eine SPD-Mitgliederbefragung steht. Vielmehr daran: Dieser Koalitionsvertrag beruht auf drei Fehleinschätzungen.

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Nummer eins: Es ist reichlich Geld da. Da sind in Wirklichkeit knapp zwei Billionen Euro Staatsschulden. Sie stehen künftiger politischer Gestaltungsfreiheit wuchtig im Weg. Doch wohin man in diesem Koalitionsvertrag schaut: Kalkuliert ist alles auf Basis der aktuellen Steuerrekorde. Als ob sie ewig währten.

Die Mittel für zusätzliche Stellen in Justiz, Strafvollzug, Sicherheitsbehörden sind ebenso zu vertreten wie Steigerungen im Verteidigungsetat. Denn sie entsprechen objektiv vorhandenen Sicherheitsbedürfnissen und stärken den Staat in der Bewältigung seiner Kernaufgaben. Gut begründet sind auch 8000 zusätzliche Stellen für Pflegekräfte. Schließlich geht es im Umgang mit Alten und Dauerkranken unmittelbar um Menschenwürde.

Viele Missverständnisse

Aber sonst? Vom Baukindergeld bis zu den Rentengeschenken kann sich die Republik die wenigsten Ausgabenprogramme leisten, so wünschenswert Milliarden Euro für gebührenfreie Kindertagesstätten oder ein höheres Bafög auch sind.

Das zweite Missverständnis: Die SPD ist eine Regierungspartei. Sie hat, beginnend mit ihrem verkorksten Wahlkampf, Kredit und Glaubwürdigkeit verspielt. Das gilt ganz besonders für Parteichef Martin Schulz, hat er sich doch seit dem Wahlabend im September bis heute einen stabilen Ruf als unzuverlässiger Wendehals erarbeitet. So viel Hü und Hott wie zuletzt in der SPD mag man sich in einer Regierung gewiss nicht vorstellen.

Das dritte Missverständnis: Die Union bleibt bei diesem Langstreckenanlauf auf die Regierungsbildung ungerupft. Das Gegenteil ist der Fall: Zwar hat sie der SPD bei der Aushöhlung des subsidiären Schutzes per Familiennachzug getrotzt oder beim Absenken der ärztlichen Versorgung auf B-Niveau für alle. Das darf sie sich auf die Fahnen schreiben. Aber eigene Themen, Wille oder gar Idee? Fehlanzeige. Selten war mehr Beliebigkeit. So mag das Vereinbarte für eine vierte Regierung Merkel reichen. Für Deutschland aber ist das zu wenig.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de