Die Sondierungsgespräche der Grünen finden am Mittwoch statt. (Archivbild) Foto: LICHTGUT/Leif Piechowski

Vorstellungsgespräch bei Kretschmann: Was spricht für ein „Weiterso“ mit Grün-Schwarz und was für eine Ampel? Klar, die Chemie muss stimmen zwischen den Verhandlern. Aber die Parteien liegen auch bei wichtigen Themen über Kreuz.

Stuttgart - In der ersten Runde durfte Winfried Kretschmann in seiner Wunschkoalition regieren. Von einer Liebesheirat war die Rede, damals, 2011. Mit der SPD räumte der grüne Regierungschef den Konflikt um Stuttgart 21 ab und reformierte das Bildungssystem mit der Einführung der Gemeinschaftsschule. Mit der CDU schmiedete er dann eine „Komplementärkoalition“. Salopp gesagt: Gegensätze sollten sich anziehen. Es gab Reibereien bei der Klimapolitik, der Reform des Wahlrechts und bei den Schulen, aber am Ende musste Grün-Schwarz gemeinsam die Corona-Krise bewältigen. Recht komfortabel für Kretschmann war die meiste Zeit, dass genügend Geld da war. Nach Corona und der Wahl ist alles anders. Kretschmann muss sich entscheiden, ob er weiter mit der CDU regieren oder mit der Ampel ein Experiment wagen will. Ein Überblick über die Knackpunkte.

KLIMASCHUTZ IM AUTOLAND - Den Verbrenner retten oder die Erde - oder gar beides?

Für die Grünen ist der Klimaschutz der zentrale Punkt der Verhandlungen. Einst sagte Kretschmann selbst, dass er deshalb ein drittes Mal antreten wolle. Kernforderung der Grünen im Wahlkampf war eine Solarpflicht für neue Wohngebäude - das konnten sie mit der CDU nicht durchsetzen. Aber auch die FDP hält wenig von solchen Ideen. Die Konservativen wie die Liberalen wollen Klimaschutz mit Wirtschaft verbinden und pochen eher auf Technologie und Markt statt auf Ge- und Verbote. Die FDP ist kein großer Fan von Elektroautos, die gar nicht so grün seien, sie setzt auf Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe. Der Verbrennermotor müsse umweltfreundlich gemacht statt abgeschafft werden. Alle vier Parteien sorgen sich jedenfalls um die Zukunft und die hunderttausenden Arbeitsplätze der Auto- und Zuliefererindustrie im Ländle. Die hat nicht nur mit Corona zu kämpfen, sondern muss auch einen Strukturwandel stemmen. Kretschmann ist da gar nicht so weit weg von der FDP, sein Werben für die Autokaufprämie gefiel ihr.

BILDUNG - Hier droht Nachsitzen: Wie viele Schulformen dürfen’s sein? 

Bei diesem zentralen landespolitischen Thema könnte es in einer Ampel-Koalition Signalstörungen geben. Während Grüne und SPD relativ nah beieinander sind, hat die FDP hier andere Vorstellungen. Die SPD um Ex-Kultusminister Andreas Stoch will ein Zwei-Säulen-System aus Gymnasien und integrierten Schulformen. Unter letzterem verstehen die Genossen vor allem die Gemeinschaftsschule, die sie einst unter Grün-Rot eingeführt haben. Kita-Gebühren möchten sie ganz abschaffen. Das findet die FDP viel zu teuer, auch Kretschmann hält das für nicht machbar. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke will am gegliederten Schulsystem festhalten und die verbindliche Grundschulempfehlung wieder einführen. Hier gibt es eine große Schnittmenge zur CDU. Und so müssen die Grünen ausloten, ob mit der FDP mehr bei der Bildung drin ist, zum Beispiel bei der Digitalisierung der Schulen. Gräben können nicht mehr mit Geld zugeschüttet werden. Die Forderung der SPD nach 1000 zusätzlichen Lehrkräften dürfte Wunschdenken bleiben.

FINANZEN - Gibt es nach dem Kassensturz noch etwas zu verteilen?

Grün-Schwarz war in der Corona-Krise nicht zimperlich und hat im Doppelhaushalt 2020/2021 neue Schulden in Höhe von 13,5 Milliarden Euro aufgenommen. Für die neue Regierung tun sich riesige Löcher auf. Das Dilemma: Einerseits will man gestärkt aus der Corona-Krise herauskommen und gezielt investieren, andererseits sprudeln die Steuerquellen viel weniger, und man muss an den Altschuldenberg ran - und der hat sich auf 58,5 Milliarden Euro aufgetürmt. Bleibt das Prinzip Hoffnung: Kretschmann setzt darauf, dass die Wirtschaft nach der Krise wieder brummt. „Ich glaube, nach der Pandemie geht es steil aufwärts“, sagte er neulich. Dennoch werde man das „Füllhorn nicht einfach weiter ausschütten“ können. Und so dürfte es - egal ob zwischen Grün und Schwarz oder Grün, Rot und Gelb - Kämpfe geben um das knapper gewordene Geld.

MACHTVERHÄLTNIS - Zweier- oder Dreier-Koalition?

Kretschmann hat in den vergangenen zehn Jahren jeweils mit Partnern regiert, die fast genauso stark waren wie seine Grünen. Nun sind die Grünen deutlich stärker als die CDU und auch als SPD und FDP zusammen geworden. Die CDU will unbedingt weiterregieren und verweist gern darauf, dass der Abstimmungsbedarf mit drei Parteien enorm zunehmen würde. Das meinte Kretschmann vielleicht, als er im ZDF über die Ampel sagte: „Erlebnispsychologisch wäre es sicher interessant.“ Auf die Frage, ob es besser sein könne, mit zwei kleinen Partnern zusammenzuarbeiten anstatt mit nur einem großen, sagte er: „Das könnte so sein, muss aber nicht so sein. Die Kleinen können sich ja auch gegen den Großen zusammenschließen.“ Gleichwohl weiß Kretschmann auch, dass es in den Reihen der Grünen eine Sehnsucht danach gibt, die Schwarzen loszuwerden und wieder mit der SPD zu regieren. Ob die Grünen aber auch bereit sind, dafür die eine oder andere Kröte von der FDP zu schlucken, muss sich zeigen.

VERTRAUEN - Wer kann mit wem wie gut?

Mindestens so wichtig wie Inhalte ist das Vertrauen unter den Partnern. Kretschmann will vor allem eins: in Ruhe regieren. Der 72-Jährige will sich nicht rumärgern müssen mit den Koalitionspartner, wie es oftmals mit der CDU, aber auch mal mit der SPD der Fall war. Ihn regen Durchstechereien an die Presse ebenso auf wie lange Debatten im Hinterzimmer, die zu nichts führen. CDU, FDP, SPD - mit wem hat Kretschmann wohl am wenigsten Stress? Die Akteure kennen sich mitunter schon seit vielen Jahren. Da wurde Vertrauen aufgebaut, aber auch untergraben. CDU-Landeschef Thomas Strobl wird ein gutes Verhältnis zu Kretschmann nachgesagt, das Duo galt als Stabilitätsanker von Grün-Schwarz. Aber auch Stoch und Kretschmann schätzen sich. Rülke hingegen hat sich mit scharfen Sprüchen im Parlament nicht gerade beliebt gemacht bei den Grünen, gilt manchem menschlich als schwer zugänglich. Rülke selbst sieht das anders: „Wenn es Vorbehalte mir gegenüber gäbe, hätte man uns wahrscheinlich nicht eingeladen.“ Und: Zuletzt haben sich Stoch und Rülke deutlich angenähert, um die Ampelschaltung in Gang zu bringen.