Mario ist über dem Berg und kaum wiederzuerkennen: Der 16-Jährige drückt im Wirtemberg-Gymnasium wieder die Schulbank. Foto: Sebastian Steegmüller

Zwei Jahre nach der Knochenmarktransplantation geht es Mario Loureiro wieder gut.

Luginsland - Als Mario Loureiro in den Pfingstferien 2015 in Portimão, einer Hafenstadt in Südportugal, Urlaub machte, war die Welt des 13-Jährigen noch in Ordnung. Er fühlte sich pudelwohl und freute sich auf einen Tag am Meer, mit Sonne und schon morgens mehr als 25 Grad. Alles war angerichtet für den Badespaß mit den Eltern. Doch aus dem Sprung in den Atlantik wurde nichts.

Auslöser waren kleine rote Punkte, die Mario an dem besagten Morgen an seinen Unterschenkeln entdeckt hatte. „Wir dachten, es sei eine Allergie und wollten auf dem Weg zum Strand nur schnell eine Salbe holen.“ Die Apothekerin teilte diese Einschätzung jedoch nicht und schickte die Familie zur Sicherheit direkt in ein benachbartes Ärztezentrum. Es ging von A nach B – nach mehreren Untersuchungen, unter anderem wurden Marios Blutwerte überprüft, wurde der Jugendliche plötzlich wie ein rohes Ei behandelt. Es bestand der Verdacht auf Blutkrebs. „Zu diesem Zeitpunkt habe ich nichts von meiner Krankheit gewusst. Mir ging es eigentlich gut, ich habe nur gemerkt, dass alle um mich herum in Sorge waren.“ Die Ärzte hatten seinen Eltern untersagt, mit ihm über die erste Diagnose zu sprechen. „Obwohl meine Mutter es verbergen wollte, habe ich an ihrem Gesichtsausdruck gewusst, dass irgendwas faul ist.“

Gerade einmal 24 Stunden später lag er noch immer ahnungslos in einem Krankenwagen und wurde in eine Spezialklinik im 350 Kilometer entfernten Lissabon gebracht. „Meine Werte waren so schlecht, dass ich wohl bei einem Sturz verblutet oder an einer Erkältung gestorben wäre“, erinnert sich Mario, der zu diesem Zeitpunkt noch immer dachte, dass es sich um ein Missverständnis handeln müsse. Dem war jedoch nicht so. Die Onkologen bestätigten den ersten Check und wollten sofort mit der Behandlung beginnen. Mit Engelszungen konnten die Loureiros die Mediziner überreden, Mario zurück nach Deutschland bringen zu dürfen. „Am Flughafen saß ich mit Mundschutz im Rollstuhl, obwohl ich eigentlich ohne Probleme laufen konnte.“ Erst im Olgahospital erfuhr er von seiner Erkrankung. „Es war Schock und Erleichterung zugleich.“ Sein Schwager Marcel Loureiro habe es ihm schließlich gesagt. „Neben meinen Eltern und meiner Schwester habe ich ihm viel zu verdanken. Wie schlecht es mir später ging, habe ich eigentlich nur ihm gezeigt. Er hat sich viel um mich gekümmert und dadurch vor allem meine Mutter entlastet.“

Außerdem: Auch Gionatan aus Steinheim musste als Kind mehrere Knochenmarktransplantationen über sich ergehen lassen. Er leidet an einem seltenen Gendefekt. Wahrscheinlich hat er nicht mehr viel Zeit. Anfang 20 und todkrank – wie lebt Gionatan damit? Sehen Sie Gionatans Antwort im Video.

Mario hatte Glück im Unglück

Zurück in Stuttgart folgten zermürbende Wochen und Monate. Eine Chemotherapie nach der anderen ließ der 13-Jährige über sich ergehen. Balsam für die Seele war die Typisierungsaktion, die Freunde und Familie Anfang November 2015 in der Sängerhalle auf die Beine stellten – 1151 mögliche Spender ließen sich registrieren.

Mario war nicht vor Ort. Aufgrund von Übelkeit, Lähmungserscheinungen und Muskelschwund war zu diesem Zeitpunkt selbst an einen kurzen Spaziergang nicht zu denken. „Weil bei mir die T-Zellen angegriffen waren, standen die Überlebenschancen nicht sehr hoch.“ Damit jedoch nicht genug: Die Suche nach dem rettenden Knochenmarkspender entwickelte sich zu einer emotionalen Achterbahnfahrt. Eine Amerikanerin, die grundsätzlich gepasst hätte, fiel durchs Raster, weil sie schwanger geworden war. Ein weiterer Mann aus den Vereinigten Staaten sprang kurz vor der Transplantation ab, weil er Angst bekommen hatte. „Mir ging es zu diesem Zeitpunkt eh schon nicht gut.“ Noch schlimmer wirkte sich jedoch die Hiobsbotschaft aus, dass der Mann in letzter Sekunde abgesprungen war. Zwei passende Spender zu finden, sei außergewöhnlich. „Ein Wunder, das sich in einen Albtraum wandelte. Es war der absolute Tiefpunkt. I ch habe gedacht, das war es jetzt.“

Doch Mario hatte Glück im Unglück. Anfang Januar 2016 wurde in der Schweiz ein dritter Spender gefunden, bei dem neun von zehn Gewebemerkmale übereinstimmten. Bereits einen Monat später war es dann soweit. Am 10. Februar wurde der Eingriff erfolgreich durchgeführt. „Mein zweiter Geburtstag, den wir immer mit einem schönen Essen feiern.“ Kennenlernen durfte er seinen Lebensretter allerdings nicht. „Ich finde es schade, dass er anonym bleiben muss. Ich hätte mich gerne bei ihm bedankt.“

Zum Zeitpunkt der Transplantation war Mario nur noch Haut und Knochen

Mario erholte sich Schritt für Schritt, bereits im Sommer 2016 konnte er wieder normal gehen. An Sport – vor seiner Erkrankung spielte er Tischtennis und Fußball im Verein – war jedoch nicht zu denken. Erst so langsam kehrte der Alltag zurück: „Nicht einmal ein Jahr nach der Operation habe ich mich wieder richtig gut gefühlt. Regelmäßige Krankengymnastik und eigenständiges Training haben mir geholfen.“ Mittlerweile geht er beim TB Untertürkheim auch wieder an der Tischtennisplatte auf Punktejagd.

Die Schulbank muss beziehungsweise darf Mario seit Anfang 2017 auch wieder drücken. „Ich bin Ende der siebten Klasse erkrankt und eineinhalb Jahre später in der Achten wieder eingestiegen.“ Eine Sonderbehandlung habe er im Wirtemberg-Gymnasium nie erhalten und auch nicht gewollt, sondern die Lücke von sechs Monaten mit viel Ehrgeiz geschlossen. „Nur in Mathe hapert es noch ein bisschen.“

Zum Zeitpunkt der Transplantation war Mario nur noch Haut und Knochen, wog gerade einmal 47 Kilo, heute ist er bei 57. Seine Blutwerte, die halbjährlich kontrolliert werden, sind wieder im grünen Bereich. Der nächste Meilenstein ereignete sich im vergangenen Februar. Exakt zwei Jahre nach dem Eingriff durfte er die Medikamente absetzen. Auch wenn man erst nach sieben Jahren als geheilt gilt, ist Mario überzeugt, dass „die kritische Phase vorbei ist. Ich hatte viel Glück. Aber positiv zu denken, hat mir auch geholfen.“