Ute Mayer und ihre Kollegen vom Klub Langer Menschen fallen auf – erst recht, wenn sie sich im China-Restaurant zum Essen treffen. Foto: Rudel

Die Leute werden immer größer. Das müsste die Mitglieder des Klubs Langer Menschen (KLM) eigentlich freuen. Doch so manches im Alltag hält mit dieser Entwicklung nicht Schritt.

Stuttgart - Die Blicke der anderen Gäste im China-Restaurant gehen immer wieder hinüber zu einem Tisch im Eck. Teils verstohlen, teils offen staunend. Kein Wunder. Zwar ist angesichts der ständig in die Höhe wachsenden Gesellschaft der Anblick großer Menschen nichts Besonderes mehr, doch das hier sprengt das Übliche dann doch. Rund 15 Leute sitzen da zusammen, gegen die das klein gewachsene Personal wirkt, als sei es dem Fantasieland Liliput entsprungen.

Der Klub Langer Menschen (KLM), Bezirk Stuttgart, hält hier an diesem Tag seinen Stammtisch ab. Körpergrößen über zwei Meter sind dabei eher die Regel als die Ausnahme. „Die Mitglieder kommen aus der ganzen weiteren Region“, erzählt die Sprecherin Ute Mayer. Einzige Voraussetzung für den Klub, den es in vielen deutschen Städten gibt: Frauen müssen mindestens 1,80, Männer 1,90 Meter messen. Ute Mayer, die seit 25 Jahren dabei ist, schafft das mit stolzen 1,97 Meter spielend.

Die Anwesenden kennen jeden Spruch. „Im Lauf der Zeit legt man sich ein dickes Fell zu“, erzählt Ralf Borchers und richtet seine 204 Zentimeter auf. Wenn die altbekannte Frage kommt, wie denn die Luft da oben so sei, und der Fragesteller das nicht besonders sympathisch rüberbringt, antwortet Borchers: „Die Luft ist schlecht. Es riecht nach Zwergen.“ Auch die oft geäußerte Vermutung, ein jeder hier müsse ja wohl Basketball spielen, wird prompt gekontert: „Nein, Minigolf.“ Gelächter am Tisch.

Niedrige Türen als Dauerthema

Dabei ist es nicht immer lustig, bei der Körpergröße aus der Norm zu fallen. Die praktischen Probleme liegen auf der Hand. „Man muss sehr gut planen und viel Geld ausgeben“, sagt etwa Martin Kirchherr. Er bringt es auf 2,06 Meter und weiß, wovon er redet. Zwar könne man fast jedes Bett in einer Länge von 2,20 Meter kaufen, das jedoch koste überproportional viel. Eine normale Küche ist zu niedrig, sie muss höher gelegt werden. „Am nervigsten sind sicher die niedrigen Türen“, sind sich die versammelten einig. Das ständige Bücken führt mit der Zeit sogar zu einer krummen Haltung.

Was Kleidung und Schuhe betrifft, war es dagegen früher schwieriger. Spezialkataloge und persönliche Tipps machten die Runde. Heute erleichtert das Internet so manches. „Gerade Frauen tun sich mit Klamotten aber nach wie vor schwer“, sagt eine aus der Runde. Und wenn andere zum Shoppen in die Stadt gehen, sei das für lange Menschen eher uninteressant: „Wir finden da sowieso nichts.“ Bei Operationen reicht oft der Tisch nicht aus. Und manches geht einfach überhaupt nicht. Im Freizeitpark oder auf dem Wasen sind viele Fahrgeschäfte tabu, Ski- oder Schlittschuhausrüstung gibt es in den erforderlichen Maßen praktisch nicht.

Ganz abgesehen von solch offensichtlichen Problemen gibt es aber auch verstecktere. „Kinder, die größer sind als der Schnitt, werden oft überschätzt, weil man sie für älter hält“, erzählt einer am Tisch. Häufig werden lange Menschen auch für Grobmotoriker gehalten. Dass das nicht stimmen kann, zeigt sich schon allein dadurch, dass einer der Anwesenden Feinmechaniker ist. Und so mancher ist schüchterner, als er sein müsste. Denn Leute, die ständig überall angeschaut oder fotografiert werden, neigen dazu, möglichst nicht auffallen zu wollen.

Neue Autos werden meist kleiner

Obwohl die Leute generell größer werden, bedeutet das nicht, dass Lange es auch automatisch leichter haben als früher. Denn die Entwicklung hält nicht überall Schritt – oder es geht sogar in die andere Richtung. „Neue Autos werden prinzipiell kleiner“, sagt Kirchherr. Und selbst die Gefährte, die innen Platz haben, machen oft Schwierigkeiten, weil die Mittelkonsolen immer größer werden. Je nach den jeweiligen Proportionen passt so mancher lange Mensch dann nicht mehr hinein. Einige Normen sehen inzwischen sogar kleinere Maße vor als früher. „Alle Menschen, die von der Norm abweichen, haben Probleme“, weiß Ute Mayer. Doch unterm Strich sind sich im Klub alle einig: lieber zu groß als zu klein.

Zumal das ja auch ein paar Vorteile mit sich bringt. „Man kann im Supermarktregal alles erreichen und hat überall den Überblick, auch wenn man im Kino nicht so beliebt ist“, sagt Kirchherr und schmunzelt. Und manchmal landen schräge Anfragen beim Klub. Ute Mayer war vor einiger Zeit zu Gast bei einer Fernseh-Talkshow. Das Thema: große Frauen mit kleinen Männern. Ihr damaliger Partner war 20 Zentimeter kleiner als sie. Ralf Borchers dagegen gibt seit Jahren in der Staatsoper den Statisten, wenn lange Kerls gebraucht werden. Zuletzt hat er bei La Bohème mitgespielt. „Da haben sie mir noch einen Hut mit Federbüschel oben drauf aufgesetzt“, sagt er und lacht.

Nein, eingeschüchtert wirkt dieser Haufen nicht, sondern sehr lustig. Und doch gibt es Nachwuchsprobleme im Klub. Derzeit zählt er noch 32 Mitglieder. Früher sind es einmal 160 gewesen. „Die Jüngeren fehlen. Die informieren sich mehr im Internet und legen auf Vereine keinen so großen Wert mehr“, bedauert Ute Mayer. Dabei kann der Klub einiges bieten. Neben den Vereinsaktivitäten auch Bundes- und Europatreffen. Und jede Menge Schlagfertigkeit. Nur eines eher nicht: Minigolf.