Auf Spurensuche: In unserer Serie „Stuttgarter Entdeckungen“ wollen wir mit Hilfe unserer Leser Geschichten aufspüren, die in den vielen Winkeln der Stadt verborgen sind. Wir blicken auf Orte, Fassaden und Kulturdenkmäler, die sich nicht auf den ersten Blick erklären. Diesmal: das Klösterle in Cannstatt.
Stuttgart - Es ist zweifelsohne ein Wahrzeichen der Sauerwasserstadt Bad Cannstatt. Das „älteste erhaltene Wohnhaus Groß-Stuttgarts“, wie es auf einer Tafel vor dem Gebäude am Thaddäus-Troll-Platz heißt. Das einzige Beginenhaus Europas mit integrierter gotischer Kapelle.
Doch viel hätte nicht gefehlt, und dieser Schatz Stuttgarter Historie wäre in den 1970er Jahren dem Erdboden gleich gemacht worden. Allzu heruntergekommen war es schließlich, das Klösterle am nördlichen Rand der Altstadt und nur einen Steinwurf vom Neckar entfernt gelegen. Daran erinnert sich insbesondere Hans Betsch. Er ist der Vorsitzende des Mitte der 1970er Jahre gegründeten Vereins Pro Alt Cannstatt. „Es sah furchtbar aus, hinten im Hof standen alte Autos, die im ersten Stock intergebrachte Installationsfirma hatte ihre alten Heizungsrohre rumliegen, das war eigentlich ein Schrottplatz.“
Auch das bereits 1463 als alemannischer Fachwerkbau entstandene Gebäude machte einen abrissreifen Eindruck. Der ganze Bau war außen dick verputzt, vom Fachwerk somit nichts mehr zu sehen, der Anblick war „grottenhässlich“, so viele Bürger. Schon 1937 hatte es eine amtliche Abbruchverfügung gegeben. Auf einem Lageplan in einer Broschüre zur Sanierung der Altstadt von Cannstatt aus dem Jahr 1976 war das Klösterle schon gar nicht mehr vorhanden, stattdessen war an gleicher Stelle ein Supermarkt eingezeichnet.
„Der Kaufhof am Wilhelmsplatz war gerade entstanden, nun wollte die Stadt als zweiten Publikums-Magneten als Gegenstück auf der anderen Seite der Altstadt ein weiters Kleinkaufhaus bauen lassen“, berichtet Betsch. Der damalige Eigentümer, eben der Inhaber der Heizungsbaufirma, war zudem sehr stark am Abbruch der „alten Hütte“ interessiert. Und auch viele Cannstatter gaben sich gnadenlos: „Reißt dieses Rattenloch ab, da kann man doch nicht auch noch Geld reinstecken.“ Kann man doch, muss man sogar, war indes die Parole des Vereins Pro Alt Cannstatt. Betsch und seine Mitstreiter sammelten 100 000 Mark zur Erhaltung des Klösterles.
Nun kommt Hermann Kugler ins Spiel. Das Büro des jungen Architekten war seinerzeit von der Stadt mit einem Gutachten beauftragt worden: Lohnt es sich überhaupt, das Haus zu retten? Der mittlerweile 71-Jährige Kugler erinnert sich noch genau, wie er am 4. April 1979 „um das geheimnisumwobene Klösterle in Bad Cannstatt“ gelaufen ist. „Ich war mir meiner großen Aufgabe und auch dessen bewusst, dass von meiner Untersuchung das Schicksal des Klösterles abhing.“ Das Haus war in den Jahren davor „ein sehr vernachlässigtes Stiefkind“ geworden: „Keiner wollte es haben.“
Doch Kuglers Team klopfte Fassaden auf, öffnete Fußböden, kratzte an Wänden. „Je mehr wir in das Haus hineinblickten, desto mehr entdeckten wir: Es war wie in einem Kriminalroman!“ Zusammen mit Vertretern des Landesdenkmalamts wurden interessante Farbbefunde, viele Details, gute Holzverbindungen aufgespürt – „kurz gesagt: wir haben die Seele des Hauses gesehen. Und da stand für mich fest: Das Haus muss stehen bleiben.“
Und nicht nur das: Als die Stadt ihm gar das Klösterle zum Verkauf anbot, rechnete Kugler alles exakt durch und – „mein Büro lief ja ganz gut“ – schlug schließlich zu. Für die 1,5 Millionen Mark teure grundlegende Renovierung erhielt er immerhin die Hälfte an Zuschüssen. „Für mich war dieses Gebäude zum wichtigsten Baudenkmal in Bad Cannstatt geworden, noch wichtiger als das Rathaus, obwohl der Anblick des Klösterles alles andere als einladen war. Denn natürlich hatte ich mich inzwischen in dieses Haus verliebt.“
Nach zwei Jahren Renovierung wurde im Frühjahr 1984 die Eröffnung gefeiert. Zuvor wurde jedoch um den Erhalt jeden Balkens gestritten. „Das Gute war“, sagt Betsch, „dass es Eichenholz war, und Eiche wird im Laufe der Jahre immer härter, das Fachwerk ist robust, verfault nicht – anders als die meisten anderen Fachwerkgebäude in Cannstatt mit ihrem Tannen- und Fichtenholz.“
Das unter der Regentschaft von Ulrich dem Vielgeliebten erbaute Haus, dessen Schmuckstück die Kapelle im ersten Stock ist, nannte man eigentlich Nonnenklösterle – denn es handelte sich um eine sogenannte Beginenklause. Beginen war eine um 1200 entstandene religiöse Frauengenossenschaft. Die Frauen dieses Ordens, oft ledig oder Witwen, mussten kein Gelübde ablegen, sie widmeten sich der Erziehung der Mädchen und der Hauskrankenpflege.
Neue Forschungen stellen die bisherigen historischen Erkenntnisse allerdings in Frage. Auf der Homepage des Stadtmuseums Stuttgart heißt es: „Ein Beginenhaus jedoch ist das Gebäude zu keiner Zeit gewesen.“ Und: „Das Klösterle war ein bürgerliches Wohnhaus mit Hofareal und Nebengebäuden, nicht wenige Häuser wohlhabender Bürger verfügten über Hauskapellen.“
Architekt Kugler allerdings sagt: „Für mich war es auf jeden Fall ein Beginenhaus.“ Das zeige sich schon an der Anordnung der Gebäudeteile rund um den Hof – in Tübingen sei ein Beginenhaus ähnlich strukturiert. Und Betsch ergänzt: „Beginenhäuser waren immer am Rande der Stadt, zum einen als Pflegestation für Arme, Alte und Kranke, zum anderen, weil die dort untergebrachten jungen Mädchen zum Betteln bei den Bauern in der Umgebung geschickt worden waren – und das sollte nicht vom Ortskern aus geschehen.“
Seit 31 Jahren ist das Klösterle nun in Kuglers Besitz, „und ich habe es nie bereut.“ Direkt nach der Renovierung wurde 1984 der erfolgreiche Um- und Neubau mit dem renommierten Peter-Haag-Preis ausgezeichnet, verliehen für die vorbildhafte Instandsetzung historischer Häuser.
Dass das Klösterle eines der ältesten erhaltenen Häuser in Stuttgart ist, steht für Betsch im Übrigen fest. Mancher Dachstock mag zwar älter sein, doch wurden die restlichen Gebäudeteile immer wieder renoviert. Ähnlich sei es auch bei der Stiftskirche.
Wer mehr über das Klösterle wissen möchte, kann sich für Führungen an den Verein Pro Alt Cannstatt wenden – oder in der Weinstube Klösterle bei einem Rostbraten oder anderen schwäbischen Gerichten zumindest das Erdgeschoss genauer in Augenschein nehmen.