Das Arbeitsgericht Stuttgart hat der Kündigungsschutzklage der früheren Controllerin des städtischen Klinikums stattgegeben. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die fristlose Kündigung, die im Zuge der Ermittlungen des Skandals um die Auslandsabteilung des städtischen Klinikums gegen die damalige Controllerin ausgesprochen wurde, ist unwirksam. Die Stadt habe die vorgeschriebenen Fristen nicht eingehalten, entschied das Arbeitsgericht Stuttgart.

Stuttgart - Es war die erste von mehreren Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht in der für das städtische Klinikum unrühmlichen Geschichte um die International Unit (IU). Wie mehrfach berichtet, war diese einige Jahre für die Geschäfte mit ausländischen Patienten zuständig. Dabei ist das Klinikum im Falle der Behandlung von rund 300 libyschen Kriegsversehrten auf Forderungen von 9,4 Millionen Euro sitzen geblieben. Und es stellte sich heraus, dass Millionensummen – 30 Prozent des Vertragsvolumens von 26 Millionen Euro – an dubiose Vermittler flossen. Dies gilt auch für ein Beratergeschäft mit Kuwait zum Aufbau einer Klinik dort im Umfang von 46 Millionen Euro, bei 20 Millionen Euro Provisionsanteil.

Im März 2016 hat sich die Stadt von dem früheren Geschäftsführer Ralf-Michael Schmitz per Abfindung über 900 000 Euro getrennt. Das Verfahren des früheren IU-Leiters Andreas Braun, der gegen seine fristlose Entlassung klagt, steht noch aus. Der Ärztliche Direktor Jürgen Graf, dem die IU unterstand, ist heute Chef der Uniklinik Frankfurt. Im Zuge der Aufarbeitung des Falles wurde im Februar 2017 die frühere Direktorin für Finanzen und Controlling, Antje Groß, fristlos gekündigt. Zu unrecht, wie das Stuttgarter Arbeitsgericht befand.

Fahrlässige Freigabe von Rechnungen

Die Vorwürfe der Stadt, vertreten durch Anwalt Jörg Fecker von der Kanzlei BRP Renaud und Partner: Groß habe in drei Fällen die „fahrlässige Freigabe von dubiosen Rechnungen“ zu verantworten. In der Frühphase des Libyen-Projekts wurden dadurch rund 830 000 Euro freigegeben, um die Ankunft von Kriegsversehrten zu ermöglichen. Im anderen Fall ging es um 150 000 Euro Essensgeld. Und im Rahmen des Kuwait-Projekts hatte die Controllerin in Vertretung des Geschäftsführers 750 000 Euro freigegeben, die als Provision an die kuwaitische Firma Aryak ausbezahlt wurden.

Ihr Anwalt Stefan Nägele bestritt im Falle des Essengeldes, dass seine Mandantin das Geld „in rechtlichem Sinne“ freigegeben habe. Grundsätzlich stellte der Arbeitsrechtler in Frage, dass die fristlose Kündigung von Antje Groß rechtmäßig gewesen sei. Die Stadt habe die Kündigungserklärungsfrist nicht eingehalten. Die Kündigung muss innerhalb von zwei Wochen nach den ersten Erkenntnissen der relevanten Sachverhalte ausgesprochen werden. „Dieser Erklärungsfrist sind Sie nicht im Ansatz nachgekommen“, erklärte Nägele Richtung Stadt.

Zu den anderen Fällen sagte der Anwalt, die Stadt sei für die Organisationsform der IU verantwortlich gewesen, diese sei „ein Baby“ des damaligen Bürgermeisters Klaus-Peter Murawski (Grüne), der heute die Staatskanzlei leitet, und des früheren OB Wolfgang Schuster (CDU) gewesen. Diese hätten den früheren grünen Landesvorsitzenden Andreas Braun zum Leiter der IU gemacht. Die wenigen Freigaben der Controllerin seien für den Gang der Projekte nicht relevant gewesen. Nägele fragte: „Was war mit den anderen 200?“ Die Stadt, auch der nachmalige Klinikbürgermeister Werner Wölfle (Grüne), hätten doch akzeptiert, dass Geschäfte mit Ländern wie Libyen und Kuwait nicht so verliefen, „wie wir uns das idealerweise vorstellen“. Antje Groß habe sich in den wenigen Fällen immer auf die Aussagen des IU-Leiters und ihrer Stellvertreterin verlassen, die für den Bereich zuständig gewesen sei. Nägele: „Sie hatte keinen Grund, an der Rechnung zu zweifeln.“

Richter berücksichtigt formale Gründe

Der Vorsitzender Richter Ulrich Lips ging in seiner Entscheidung auf diese Fragen gar nicht ein. Er erklärte die fristlose Kündigung für unwirksam, weil die Stadt die vorgegebene Kündigungserklärungsfrist nicht eingehalten habe. Mit dem Bericht des Rechnungsprüfungsamtes zu den Vorgängen, der im Dezember 2015 vorgelegen habe, „waren alle Fakten auf dem Tisch“, so Lips. Von da an hätte die Stadt, wie vom Gesetz vorgesehen, „zügig und ohne Verzögerung“ handeln müssen, die Kanzlei wurde aber erst Ende Juni 2016 beauftragt. Lips: „Die Frist ist nicht eingehalten worden.“ Den Antrag auf Weiterbeschäftigung auf dem Posten, den die Klägerin gestellt hat, wies der Richter aber ab. Nach der Änderung der Führungsstruktur gebe es die Stelle gar nicht mehr.

Was nicht heißt, dass die Betroffene nicht an anderer Stelle weiterbeschäftigt werden muss. Antje Groß, die 23 Jahre im Klinikum war, will das offenbar. Sie sagt: „Das ist weiter mein Klinikum, mit dem ich mich identifiziere.“ Die Stadt will die Urteilsbegründung gründlich prüfen, sagte Krankenhausbürgermeister Michael Föll (CDU), und dann entscheiden, ob man in Berufung gehe.