Mancher hat Schutzmaterial, doch in Kliniken und Praxen fehlt es. Foto: factum/Andreas Weise

Was tun, wenn betagte Patienten nach einem Klinikaufenthalt wegen der Ansteckungsgefahr nicht mehr ins Pflegeheim zurück können? Für sie haben die regionalen Kliniken Sonderzentren eröffnet. Der Mangel an Schutzmaterial wird drängender.

Kreis Ludwigsburg - „Eine solche Aktualität“, sagt Landrat Dietmar Allgaier, „hatte dieser Tagesordnungspunkt noch selten.“ Der Punkt „Allgemeine Situation“, die Kliniken-Geschäftsführer Jörg Martin dem Kliniken-Aufsichtsrat am Freitagnachmittag vorträgt, dreht sich fast ausschließlich um das Coronavirus. Und Martin spricht dazu fast eine Stunde lang.

Die Regionale Kliniken-Holding (RKH) hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit die Krankenhäuser die Situation im Griff behalten können, falls „aus dem Sturm ein Orkan wird“, wie Jörg Martin es ausdrückt. Statt der üblichen 50 Intensiv- und Beatmungsplätze können die Häuser der RKH im Notfall auf bis zu 150 aufstocken. In den Kliniken der Holding im Kreis Ludwigsburg lagen – Stand Freitag – in Ludwigsburg 64 Corona-Patienten, davon 29 beatmet, und in Bietigheim drei.

Martin: „Wenn es schwer verläuft, wird es schnell richtig übel“

Das reguläre Behandlungs- und Operationsprogramm wurde auf rund 50 Prozent heruntergefahren – ausreichend Betten- und Personalkapazitäten gibt es aktuell. Alle beatmeten Covid-19-Fälle werden zentral in den RKH-Standorten Ludwigsburg und Bruchsal behandelt. „Die meisten Fälle verlaufen zwar milde“, berichtet Jörg Martin über die seitherigen Erfahrungen. „Aber: Wenn es schwer verläuft, wird es schnell richtig übel.“

Ein immer stärker drängendes Problem: „Alten- und Pflegeheime weigern sich zunehmend, Patienten aus den Kliniken zurückzunehmen, die keine stationäre Therapie mehr brauchen“, berichtet Jörg Martin. Der Grund: die große Sorge, das Virus könne so in die Einrichtungen gelangen. Tatsächlich, so Martin, sei die Vorstellung, dass in Seniorenheimen wie aktuell in einem dramatischen Fall in Bretten „eine quasi 100-Prozent-Durchseuchung“ eintritt, „der Super-Gau“.

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Die Kliniken-Holding hat deshalb am Standort Markgröningen eine so genannte „Poststationäre Patienten Unit“ für Patienten eingerichtet, die zwar nicht mit dem Coronavirus infiziert sind, aber nach dem Klinikaufenthalt aus Vorsichtsgründen nicht mehr ins häusliche Umfeld oder ins Pflegeheim zurückkehren können. Um diese Patienten kümmern sich unter anderem Krankenpflegeschüler. „Was die Finanzierung angeht, sind wir mit den Kassen im Nahkampf“, kommentiert Martin.

Kliniken gründen Ethik-Komitee

Am Krankenhaus Marbach installieren die RKH-Kliniken, unterstützt vom Bevölkerungsschutz, eine „Corona Bridging Unit“. Dort werden entlassene Krankenhaus-Patienten untergebracht und behandelt, die sich mit dem Virus angesteckt haben, weshalb ihnen die Rückkehr ins Heim oder nach Hause verwehrt ist. „Wir können auch leichtere Corona-Fälle aus Altenheimen herausholen und dort unterbringen“, sagt Jörg Martin. Es müsse alles Machbare getan werden, um in den Heimen „nichts anbrennen zu lassen“.

Derzeit sind die Kliniken wegen Corona noch nicht in der Not, schwerwiegende Beschlüsse zu treffen, wie es in anderen Ländern schon der Fall ist, weil es zu wenige Beatmungsgeräte gibt. Der Kliniken-Chef sagt aber klar: „Wir werden noch Entscheidungen treffen müssen, die sehr schwierig sind.“ Deshalb sei ein internes Ethik-Komitee gegründet worden. Es bestehe Konsens darüber, dass jede Entscheidung unter individuellen Gesichtspunkten getroffen werde und nicht etwa nach Altersgrenzen, so Martin.

Angst, Schuldgefühle, Hoffnungslosigkeit

Für Krankenhaus-Mitarbeiter, die mit Trauer, Angst, Schuldgefühlen und Hilflosigkeit klarkommen müssen, ist eine psychosoziale Beratung eingerichtet worden. Auch für Angehörige, die nichts ins Krankenhaus kommen dürfen, ist es schwer. Für Familien von sterbenden Menschen, aber zum Beispiel auch etwa für frischgebackene Väter. Eine junge Familie hatte sich in einem Brief bitter beim Landrat beklagt. Jörg Martin bittet um Verständnis: „Wenn bei den Hebammen Corona ausbricht, können wir keine Geburten mehr machen. Dann ist es vorbei.“

Was ein immer drängenderes Problem wird, ist der Mangel an Schutzausrüstung. Für adäquate Masken zahle man mittlerweile das Zehn- bis 20-Fache des normalen Preises. Die 80 Schutzanzüge, die das Land kürzlich geliefert habe, „reichen einer Station für einen halben Tag“, ätzt Martin. „Heute haben wir eine Ladung umgearbeiteter Müllsäcke geliefert bekommen, in die man reinschlüpfen kann.“ Zuletzt mussten die Kliniken Schutzmaterial für 350 000 Euro bestellen, das üblicherweise 30 000 Euro gekostet hätte, „und ob alles ankommt, wissen wir nicht“. Martins bitteres Fazit: „Wir sind auf uns allein gestellt. Und wir haben die Befürchtung, dass die Kliniken die großen Verlierer sind und die Zeche letzten Endes an den Landkreisen hängen bleibt.“ Finanziell gehe es für die Kliniken wegen der Corona-Pandemie jetzt „richtig bergab“.

Das Nadelöhr Fachbetreuung

Die zum Robert-Bosch-Krankenhaus gehörende Klinik Schillerhöhe in Gerlingen sieht sich mit zehn Intensivbetten für beatmungspflichtige Patienten, die zur Not auf 22 Betten (an der gesamten Robert-Bosch-Klinik von 38 auf 80 Betten) aufgestockt werden können, gut gewappnet – zumindest räumlich und technisch. „Ein Problem könnten bei einer Aufstockung aber die Beatmungsgeräte sein, wir haben noch einige Bestellungen ausstehen“, berichtet der Medizinische Geschäftsführer Dominik Alscher. „Hauptnadelöhr wird die fachliche Betreuung sein.“ Schon vorher fehlten in der Intensivpflege Fachkräfte. „Das Angebot kann deshalb nur funktionieren, wenn wir Mitarbeiter jetzt schulen und auch die Aufgaben zwischen den Berufsgruppen neu verteilen.“

Die fehlenden Mitarbeiter plagen auch die Häuser der RKH. Die zu erwartende Rezession nach der Corona-Krise werde das aber womöglich ändern, vermutet Jörg Martin. „Erfahrungsgemäß gehen nach solchen Krisen mehr junge Leute in die sozialen und pflegerischen Berufe.“