Auslaufende Gletscher kalben Eisberge in die Gewässer des Mogens Heinesen Fjords, Südwestgrönland. Der schmelzende Eisschild Grönlands hat den weltweiten Meeresspiegel seit 1992 bereits um 10,6 Millimeter steigen lassen. Foto: Benoit Lecavalier/dpa

Eine Studie zeigt das bislang vollständigste Bild zum Eisverlust in Grönland. Demnach stieg der Meeresspiegel seit 1992 dadurch um fast elf Millimeter. Bis Ende des Jahrhunderts könnten es 20 Zentimeter werden.

Leeds/Pasadena - Der schmelzende Eisschild Grönlands hat den weltweiten Meeresspiegel seit 1992 bereits um 10,6 Millimeter steigen lassen. Das zeigen Ergebnisse einer umfangreichen Untersuchung, die sich auf 26 verschiedene Satellitenmessreihen stützt.

Von 1992 bis 2018 seien auf der Insel etwa 3800 Milliarden Tonnen Eis geschmolzen und ins Meer geflossen, schreibt eine Gruppe von 96 Wissenschaftlern von 50 internationalen Organisationen in der Fachzeitschrift „Nature“. Bei Fortsetzung des Trends könnte das schmelzende Grönlandeis bis 2100 etwa 20 Zentimeter zum Anstieg des weltweiten Meeresspiegels beitragen.

Gigantischer Eisverlust auf Grönland

Die Satellitendaten, die das Team um Andrew Shepherd von der University of Leeds (Großbritannien) und Erik Ivins vom Nasa Jet Propulsion Laboratory in Pasadena (US-Staat Kalifornien) vorstellt, basieren auf drei unterschiedlichen Methoden: Gemessen wurden die Höhe der Gletscher, ihre Fließgeschwindigkeit und die Schwerkraft.

Die Forscher kombinierten die Daten unter Verwendung verschiedener Modelle, etwa zur Bodenhebung wegen der abnehmenden Eislast oder zur Massenbilanz an der Eisoberfläche. Damit erstellten sie nach eigenen Angaben das bisher vollständigste Bild des grönländischen Eisverlusts.

Die Messungen zeigen die Veränderungen seit Anfang der 1990er Jahre. Waren es von 1992 bis 1997 etwa 18 Milliarden Tonnen Eis, die jährlich ins Meer abflossen, so schmolzen von 2012 bis 2017 jedes Jahr rund 239 Milliarden Tonnen des Eisschildes – etwa das 13-Fache. Zwischendurch war die Rate noch höher, mit dem Höhepunkt im Jahr 2011, als 335 Milliarden Tonnen Eis abschmolzen, schreiben die Experten.

400 Millionen Menschen von Überschwemmungen betroffen

Etwa 52 Prozent des Eisverlustes kommen demnach durch das Abschmelzen an der Eisoberfläche und das abfließende Schmelzwasser zustande. Die übrigen 48 Prozent stammen von der zunehmenden Fließgeschwindigkeit der Gletscher und dem vermehrten Kalben am Meer. Bei andauernder Entwicklung könnte das schmelzende Grönlandeis bis 2100 etwa 20 Zentimeter zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen, schreibt das Team.

„Nach den aktuellen Trends werden durch das Abschmelzen des Eises in Grönland gegen Ende des Jahrhunderts jedes Jahr 100 Millionen Menschen Überschwemmungen erleiden“, wird Shepherd in einer Mitteilung seiner Universität zitiert.

Insgesamt 400 Millionen Menschen würden betroffen sein, wenn auch der Eisverlust in der Antarktis berücksichtigt werde. Das Grönlandeis entspricht nur etwa zwölf Prozent des Antarktiseises, das aber langsamer schmilzt. Würde alles Eis von Grönland verschwinden, läge der weltweite Meeresspiegel um 7,4 Meter höher.

Gletscher haben seit 1961 rund 9000 Milliarden Tonnen Eis verloren

Weltweit verlieren schmelzende Gletscher jährlich rund 335 Milliarden Tonnen Eis. Zu diesem Schluss sind auch Forscher aus Zürich gekommen, die Satellitenmessungen und Beobachtungen vor Ort ausgewertet haben.

Die Wissenschaftler um Daniel Farinotti von der Universität Zürich schreiben in einer Studie im Fachjournal „Nature Geoscience“, die Welt verliere damit jährlich rund drei Mal das verbleibende Gletschervolumen der Europäischen Alpen. Die Gletscher hätten zwischen 1961 und 2016 mehr als 9000 Milliarden Tonnen Eis verloren.

Die Forscher schätzen das Eisvolumen von 215 000 Gletschern auf 158 000 Kubikkilometer. Das seien 18 Prozent weniger als der Durchschnitt früherer Schätzungen. Das Meereis und die zusammenhängenden Eisschilde Grönlands und der Antarktis ließen sie außer Acht. Rund die Hälfte der übrigen Gletscher liege in den arktischen Gebieten etwa von Nordamerika und Russland.

Weltmeere könnten um bis zu 7,4 Meter ansteigen

Die Gletscher des Himalayas und weiterer Gebirge Hochasiens haben nach den neuen Schätzungen zusammen nur 7000 Kubikkilometer Eis, ein Viertel weniger als bislang geschätzt. Damit sei zu befürchten, dass die Gletscherfläche dort schon in den 2060er – und nicht wie bisher angenommen in den 2070er Jahren – um die Hälfte geschrumpft sein werde.

„Aufgrund dieser Neueinschätzung müssen wir davon ausgehen, dass die asiatischen Hochgebirge ihre Gletscher schneller verlieren können als bisher angenommen“, betont Farinotti. Insgesamt würde der Meeresspiegel um bis zu 32 Zentimeter ansteigen, wenn alle Berggletscher abschmelzen. Schmilzt Grönlands Eisschild komplett, würde der Wasserspiegel der Weltmeere um rund sieben Meter steigen.