Die Erde erwärmt sich, und die Zahl extremer Wetterlagen nimmt zu. Die Treibhausgase, die zur Erwärmung beitragen, bleiben sehr lange in der Atmosphäre. Deshalb wird viel Zeit vergehen, bis ein Umsteuern Wirkung zeigt. Foto: piyaset – stock.adobe.com

Dürren, Überschwemmungen, Wirbelstürme: Vieles davon hat mit dem Klimawandel zu tun. Zum Gegensteuern stehen der Menschheit mehr Mittel zur Verfügung, als sie heute nutzt.

Stuttgart - Ernst Rauch gilt als einer der renommiersten Klimaexperten. Er ist Chefklimatologe der Munich Re, der weltgrößten Rückversicherung.

Herr Rauch, seit 1880 ist die durchschnittliche Temperatur der Erdoberfläche um ein Grad Celsius gestiegen. Ist eine so geringe Entwicklung wirklich ein Anlass zur Sorge?

Eine Erwärmung um ein Grad in gut 100 Jahren bedeutet eine in der Menschheitsgeschichte sehr hohe Geschwindigkeit. Wenn es bei diesem Tempo bleibt, werden die Temperaturen in den nächsten Jahrzehnten – vielleicht schon bis zum Ende dieses Jahrhunderts – um deutlich mehr als vier Grad steigen. Das wären dann Temperaturen, wie es sie in der Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben hat.

Welchen Unterschied machen ein paar Grad mehr oder weniger für das Leben auf der Erde?

Bei der letzten Eiszeit vor etwa 10 000 Jahren war es im globalen Durchschnitt vier bis fünf Grad kälter als heute. Vier Grad machen also den Unterschied zwischen einer eher angenehmen Klimaphase, in der wir zur Zeit leben, und einer Eiszeit mit für den Menschen unerträglichen Bedingungen.

Viele Länder versuchen derzeit, den Klimawandel zu verlangsamen. Wie lange wird es dauern, bis man Wirkungen bemerken kann?

Zu den Haupttreibern dieser Entwicklung gehören eindeutig Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan. Wenn man deren Ausstoß reduziert, kann man die Wirkung mit dem Versuch vergleichen, einen extrem schwerfälligen Tanker zu bremsen. Denn die physikalische Wirkdauer von Kohlendioxid in der Atmosphäre liegt bei etwa 100 Jahren. Selbst wenn wir heute die Emissionen schlagartig in die Nähe von null zurückführen würden, würde sich die Welt in den nächsten zwei bis drei Generationen weiter erwärmen. Das sind die Wirkungen der Physik und deshalb muss jetzt dringend gehandelt werden.

In den letzten Monaten gab es zahlreiche extreme Wetterphänomene, etwa verheerende Waldbrände in Kalifornien und eine extreme Kältewelle in Teilen der USA. Sind diese bereits auf den Klimawandel zurückzuführen?

Ein einzelnes Ereignis lässt sich nur schwer dem Klimawandel zuordnen, wenn man es isoliert betrachtet. Daher ist es sehr wichtig, Extremereignisse über eine lange Zeit hinweg zu beobachten. Erst wenn eine statistische Auffälligkeit bestimmter Ereignisse über einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren festzustellen ist, kann man auf den Klimawandel schließen. Betrachtet man die Schäden aus Naturkatastrophen, muss man auch berücksichtigen, dass in exponierten Gebieten wie etwa Küstenregionen heute mehr Menschen in mehr und teureren Gebäuden leben. Allein aus diesem Grund steigen die Schäden aus Naturkatastrophen. Aber auch wenn man das herausrechnet, zeigen unsere Schadenstatistiken, dass die Anzahl und teilweise auch die Schwere wetterbedingter Naturkatastrophen in den letzten Jahrzehnten in manchen Regionen deutlich zugenommen haben.

Wie sieht Ihre Einschätzung bei den Extremereignissen der vergangenen Monate aus?

Man kann auch heute noch nicht jedes einzelne Ereignis dem Klimawandel zuordnen. Allerdings haben wir bei bestimmten Gefahrentypen starke Indizien dafür, dass der Klimawandel heute schon wirksam ist. So gibt es sehr klare Anzeichen dafür, dass Schwergewitter, wie sie in vielen Regionen vorkommen, mit dem Klimawandel zu tun haben.

Gibt es auffällige Entwicklungen auch in einzelnen Regionen?

Ja, die gibt es, und zu diesen Regionen zählt auch Süddeutschland. Die lokalen Starkniederschläge vor knapp drei Jahren im hohenlohischen Braunsbach, die im Ort zu Sturzfluten geführt haben, sind ein Ereignis, das sehr wahrscheinlich in Verbindung zum Klimawandel steht.

Die UN-Klimakonferenz hat sich in Paris darauf verständigt, die Erderwärmung auf unter zwei Grad, möglichst nur 1,5 Grad, zu begrenzen. Ist das überhaupt noch zu erreichen?

Wir sind inzwischen an einem Punkt angelangt, an dem sich diese Frage in der Tat stellt. Durch eine reine Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen ist das Ziel jedenfalls so gut wie nicht mehr erreichbar. Deshalb reicht es womöglich nicht aus, den Ausstoß zu senken.

Was ist dann die Alternative?

Wir müssen auch an Negativemissionen denken und versuchen, bereits in der Atmosphäre vorhandenes Treibhausgas zu entfernen. Es gibt bereits technische Vorhaben, um CO2 abzuscheiden und dann unterirdisch einzulagern.

Muss man angesichts der bereits feststehenden Entwicklung außer in die Vorbeugung auch in Projekte investieren, die nur noch den bereits absehbaren Schaden begrenzen sollen?

Unbedingt, kurzfristig ist das sogar noch wichtiger. Denn diese Schutzmaßnahmen wirken sofort, während die Reduktion von Treibhausgasen erst sehr langfristig zum Erfolg führt. Die globalen Meeresspiegel sind in den vergangenen 100 Jahren je nach Region um 20 bis 30 Zentimeter angestiegen – und das ist nun tatsächlich fast allein auf den Klimawandel zurückzuführen. Wenn man sieht, welche wertvolle Infrastruktur in Küstenstädten wie etwa New York vorhanden ist, muss man dort dringend Schutzmaßnahmen verbessern, zum Beispiel Dämme und Deiche bauen oder vergrößern.

In vielen Ländern wird heute Strom aus Wind- und Sonnenenergie hergestellt, ohne dass sich die Treibhausgas-Emissionen stark verändert hätten. Was müsste geschehen, um schneller voranzukommen?

Die Geschwindigkeit des Ausbaus erneuerbarer Energien ist viel zu gering. Zwar wachsen die Kapazitäten global deutlich, aber der weltweite Energiebedarf steigt nach wie vor schneller. Wir erleben global erfreulicherweise weiterhin ein wirtschaftliches Wachstum, und manche ehemaligen Entwicklungsländer sind heute an der Grenze zwischen Schwellen- und Industrieland angekommen. Die Erzeugung erneuerbarer Energien kann da bisher aber nicht mithalten – obwohl Wind und Sonne problemlos ausreichen würden, um auch eine Verdoppelung des weltweiten Energiebedarfs abzudecken.

Erneuerbare Energien fließen aber nur, wenn die Sonne scheint oder es windet.

Stimmt, die Versorgungssicherheit ist bisher nicht gegeben. Selbst wenn wir die Kapazität bei erneuerbaren Energien verfünffachen würden, gäbe es nachts keinen Sonnenstrom und bei Hochdrucklagen kaum Windstrom. Der Fokus ist bisher viel zu stark auf den Ausbau erneuerbarer Energien gerichtet, der allein aber nicht ausreichen wird. Entscheidend ist, dass der Strom auch gespeichert werden kann und dann zur Verfügung steht, wenn er gebraucht wird.

Welche Möglichkeiten sehen Sie hier?

Ganz wichtig sind synthetische Energieträger, die in der Lage sind, erneuerbare Energien in gasförmiger oder flüssiger Form zu speichern. Das kann zum Beispiel Wasserstoff sein oder auch synthetisches Erdgas. Diese Energieträger stehen dann zur Verfügung, wenn es weder Sonnen- noch Windstrom gibt, um Kraftwerke mit CO2-neutralem Gas zu befeuern. Sie könnten auch für den Verkehrssektor als klimaneutrale Kraftstoffe genutzt werden. Und sie lassen sich ohne großen Aufwand überall dorthin bringen, wo sie gebraucht werden: sei es durch Pipelines oder mit dem Lkw.

Viele Veränderungen, die für die Menschen mit Kosten verbunden sind, können von der Politik erst durchgesetzt werden, wenn der Leidensdruck hoch genug ist. Mindert das die Unterstützung der Bevölkerung für den Klimaschutz?

Graduelle Veränderungen werden von den Menschen nicht in einer Dramatik wahrgenommen wie plötzliche Ereignisse. Dennoch ist der Klimawandel real und in seinen Auswirkungen potenziell verheerend. Den allermeisten Menschen ist auch klar, dass etwas passieren muss. Meiner Wahrnehmung nach hat die Politik beim Kampf gegen den Klimawandel durchaus den allgemeinen gesellschaftlichen Willen hinter sich.