Der Westen soll Klimaschutz-Vorreiter werden. Foto: Paul Rößner (cf)/Picasa

Stuttgart soll Schwammstadt werden: Dafür braucht es Flächen, auf denen Regen gesammelt, gespeichert und wieder genutzt werden kann. Eine Anwohnerinitiative in S-West erprobt, wie ein solches Konzept zur Bewässerung funktionieren kann.

Der Stuttgarter Kessel wird bei hochsommerlicher Bruthitze schnell zu einer Art Bratpfanne im XXL-Format. Oder er fließt voll wie eine überdimensionale Badewanne. So wie am 28. Juni des vergangenen Jahres. An jenem Montagabend tobt ein Unwetter über der Stadt. Es schüttet sintflutartig. Unterführungen und Keller laufen voll. Aus den Gullys sprudelt es heraus wie aus Spundlöchern, denen der Zapfen rausgehauen wurde. Am Abend herrscht Land unter. 42 Liter Niederschlag pro Quadratmeter in einer Stunde wurden am Schnarrenberg gemessen. Solche Wassermassen schafft das Kanalsystem nicht mehr. Vor allem, wenn viel Asphalt und Beton den Abfluss behindern.

Regennutzungssystem soll Trinkwasserressourcen schonen

Für Paul Rößner von der Projektgruppe Stadtbelebung e.V. im Stuttgarter Westen sind Starkregenereignisse wie diese ein Signal dafür, dass die Stadtplaner in Städten wie Stuttgart umdenken sollten. Denn jeder Niederschlag bietet auch die Chance, Wasser in Zisternen und unterirdischen Tanks zu speichern. Mit einem ausgeklügelten System moderner Regennutzung und Versickerungstechnik könnte die Stadt der Zukunft sich nicht nur gegen Überschwemmungen, sondern auch gegen Hitzeperioden besser wappnen. Grünflächen, Parks, Gärten, Beete, Bäume, bepflanzte Dächer und grüne Terrassen könnten mit dem gesammelten Nass bewässert und darüber hinaus umliegende Häuser mit Brauchwasser versorgt werden: „Durch die Verwendung des gesammelten Regenwassers werden wertvolle Trinkwasserressourcen geschont“, sagt Rößner und zählt weitere Vorteile auf: „Eine kontinuierliche Bewässerung erhält die Saugfähigkeit des Bodens und der Regen kann besser aufgenommen werden, wodurch weniger Gießwasser nötig wird.“ Zum anderen könne die enorme Speicher- und Filterleistung des Erdreichs besser genutzt werden, sagt der Chemiker an der Universität Stuttgart. Wohnverdichtung und Auflockerung müssten Planer in Innenstädten künftig intelligent miteinander kombinieren. Die Stadt der Zukunft funktioniere nach dem Schwamm-Prinzip. Sie saugt Nässe auf und gibt sie bei Bedarf wieder ab. In den Hitzeperioden können so die Luftzirkulation, Verdunstung und Verschattung verbessert werden. Der Wärmeinseleffekt in dicht besiedelten Wohngebieten wie in S-West wird dadurch gemildert.

Stadt der Zukunft muss viele Speichermöglichkeiten haben

Die Projektgruppe Stadtbelebung e. V. will in einem wissenschaftlich begleiteten und von der Kommune geförderten Modellprojekt einen „Schwammplatz-Garten am Hasenspielplatz“ erproben. Rößner stellte das Projekt unlängst im Bezirksbeirat S-West vor. Während seiner Präsentation zitierte Rößner den Ingenieur Jens Hasse. Der Leiter des Zentrums für Klimaanpassung beim Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin sagt: „Die Stadt der Zukunft wird viele kleine Speichermöglichkeiten haben müssen.“

Durch die Rötestraße rauscht ein Wildbach

Ansonsten droht das, was Rößner auch filmisch kurz zeigte. Durch die Rötestraße rauscht ein kleiner Wildbach, der ein Fahrrad mitzureißen droht. Auch wenn dieses Starkregenereignis für die Stuttgarter glimpflich ausging: Die Wissenschaftler sind sich längst einig, dass solche Extremwetter-Ereignisse wie in Zukunft zunehmen werden.

Den Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben

Für die Projektgruppe mit seinen rund 70 Mitgliedern im Stuttgarter Westen sind solche Erkenntnisse ein alter Hut. Denn die Anwohnerinitiative hat sich dem Ziel, den Klimaschutz voranzutreiben, schon seit zwei Generationen verschrieben. Etwa 2500 Quadratmeter groß ist der Hinterhof, den diese Gruppe engagierter Anwohner im Laufe von 40 Jahren zu einem kleinen grünen Paradies namens „Hasenspielplatz“ ausgebaut hat. Es gibt dort Hochbeete mit Gemüse und Kräutern. Außerdem einen Stall mit Hühnern und Hasen, eine Wildblumenwiese, Bäume, Sträucher, einen Kinderspielplatz, einen Bolzplatz, einen Sandkasten, ein Wasserspiel und ganz viel schattiges Grün. Das Innenhof-Carré wird begrenzt von teils neueren Häuserzeilen, aber auch von Gründerzeit-Gebäuden entlang der Seyffer-/Gutenberg-/ Ludwig- und Rötestraße. Der Innenhof sollte nach dem Willen der Stadtverwaltung eigentlich Mitte der 1980er Jahre zu einem öffentlichen Parkplatz ausgebaut werden. Doch es gab massive Kritik der Anwohner gegen städtischen Pläne. Die Pressemitteilung der Vereinsgründer aus dem Jahr 1982 sei „überraschend aktuell“, findet Rößner, der seit 1989 in dem Quartier wohnt und dort aufgewachsen ist. Schon die Generation der Eltern der heutigen Initiative begehrte gegen die Stadt auf, als diese den Innenhof asphaltieren wollte. Anstelle des Parkplatzes entstand eine Tiefgarage. Die Dachfläche wurde zum kleinen Park. Die Anwohner sorgten dafür, dass das Gelände bepflanzt wurde, um „eine bessere Schalldämmung sowie eine Verbesserung des Kleinklimas zu erreichen“, wie sie bereits 1982 der Presse mitteilten.

Die Bäume im Hinterhof drohen zu verdursten

Offenbar hatte die Projektgruppe bereits damals die Zeichen der Zeit erkannt. Denn exakt dieses Nutzungskonzept bildet nun die Basis für das Schwammstadt-Projekt in dem Innenhof. Und das ist auch bitter notwendig: Ein Baumgutachten der Firma „Blattwerk“ habe ergeben, dass die dort wachsenden Bäume schon seit Jahren unter Hitzestress leiden und zu wenig Wasser aus dem Erdreich ziehen können, sagt Rößner.

Ganzjährige Feuchte

Deshalb soll nun das Wasser aus den umliegenden Häuserdächern in einer modernen Regenwassernutzungsanlage im Innenhof gesammelt werden, damit es vor allem den Pflanzen zugutekomme. Vorgesehen ist, das Wasser hauptsächlich zum Gießen zu nutzen. Außerdem soll ein Filterschacht zum Auffangen der Verschmutzungen sowie eine Versickerungsanlage mit Sickerblöcken und Geotextil dem Gartenboden ganzjährig die notwendige Feuchte geben.

S-West soll Musterstadtbezirk für Klimaschutz werden

Die Koordinierungsstelle Urbanes Grün der Stadt Stuttgart unterstützt die Initiative. Auch der Gemeinderat hat im kommenden Doppelhaushalt für das Pilotprojekt auf dem Hasenspielplatz rund 50 000 Euro zur Verfügung gestellt. Die Universität Stuttgart wird das Projekt wissenschaftlich begleiten. Die Aufnahme des Pilotprojektes in das Verbundprojekt „GartenLeistungen II“ eröffnet weitere Perspektiven und Partnerschaften: So wollen die Technische Universität Berlin und das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung das nachhaltige Vorhaben ebenfalls begleiten und wissenschaftlich auswerten. Die Bezirksbeiräte im Westen waren jedenfalls beeindruckt und signalisierten ebenfalls Unterstützung und Zustimmung. Sie wollen Stuttgart-West ohnehin zum „Musterstadtteil für Klimaschutz“ entwickeln. Ein erster wichtiger Baustein könnte da der „Schwammplatz-Garten am Hasenspielplatz“ werden.

Weitere Informationen zum Themen finden Sie im Internet unter der Adresse: www.projektgruppe-stadtbelebung.de.