Die sechs Zementwerke im Südwesten sind für fünf Prozent aller CO2-Emissionen im Land verantwortlich. Trotzdem bleibt Beton unverzichtbar. Wie eine Branche um mehr Klimaschutz ringt.
Auf die Zementindustrie zeigt man gerne mit dem Finger: Rund drei Millionen Tonnen Kohlendioxid stoßen allein die sechs Werke in Baden-Württemberg aus, das entspricht fünf Prozent aller Emissionen im Südwesten. Zum Vergleich: Alle Heizungen in allen 2,5 Millionen Wohngebäuden im Land erzeugen 14 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Die Zementwerke werden von den vier Firmen Heidelberg-Materials, Holcim, Schwenk und Opterra betrieben.
Allerdings ist Bauen ohne Beton undenkbar – rund 33 Millionen Tonnen Zement werden in Deutschland jährlich produziert und verkauft. Selbst Johannes Enssle, der Landeschef des Nabu, sagt: „Es ist wichtig, dass Zement weiter in Baden-Württemberg hergestellt wird.“ Denn sonst würde er aus Ländern importiert, wo deutlich weniger auf den Klimaschutz geachtet würde. Die Produktion ist also unantastbar und quasi heilig, die hohen Emissionen aber sind ein verdammtes Problem.
Zementbranche steht wegen CO2-Preis unter Druck
Was jene, die gerne mit dem Finger zeigen, vergessen, ist dies: die Zementbranche hat sich längst auf den Weg gemacht, ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren. Sie tut das nicht ganz ohne Druck, denn der Preis für CO2-Zertifikate wird sich kontinuierlich verteuern, und sehr bald könnte es richtig teuer werden für die Unternehmen. Derzeit kostet ein Zertifikat pro Tonne 55 Euro – bei drei Millionen Tonnen CO2 müsste die Zementbranche im Südwesten also 165 Millionen Euro berappen.
Allerdings: Im Moment gibt es sehr viele Zertifikate kostenlos, sofern man effiziente Anlagen betreibt. Bernhard Kleinsorge, der Leiter für die Zementproduktion bei Heidelberg-Materials, räumt ein, dass das Unternehmen bei den Zertifikaten derzeit „Null auf Null“ rauskomme, man habe aber auch schon zweistellige Millionenbeträge bezahlt. Auf jeden Fall laufen die Vergünstigungen aus, wahrscheinlich 2034. Es lohnt sich also für die Werke langfristig, in den Klimaschutz zu investieren.
Grundsätzlich hat die Zementindustrie das Problem, dass ihr Rohstoff, der Kalkstein, sehr CO2-reich ist und nur ansatzweise ersetzt werden kann – daraus entstehen zwei Drittel aller Emissionen. Der Rest fällt an, weil der Kalkstein bei sehr hohen Temperaturen, also mit hohem Energieeinsatz, zu Klinker verarbeitet werden muss. Pro Tonne produziertem Zement gelangen so 0,5 bis 0,8 Tonnen CO2 in die Luft.
Doch wo kann die Branche konkret CO2 einsparen? Holcim rechnet dies für sein Werk Dotternhausen (Zollernalbkreis) vor. Dort setzt man statt Kalkstein teilweise Ölschiefer ein, weil dieses Material Rohstoff und Brennstoff zugleich ist. Das ist aber nur dort eine Besonderheit. Überall aber verbrennt man mittlerweile wenig oder gar keine Kohle mehr, stattdessen werden Müll, Altreifen, Plastik oder Klärschlamm zum Feuern benutzt. Das hat den zusätzlichen Vorteil, dass es diese Brennstoffe teilweise umsonst gibt. In Dotternhausen hat aber jahrelang eine Bürgerinitiative geargwöhnt, dass zu viele Schadstoffe in die Luft gerieten.
Weiter können die Zementwerke aus der großen Abwärme bei der Produktion Strom gewinnen oder diese Abwärme direkt nutzen. Holcim kommt so auf eine insgesamte Einsparung von 165.000 Tonnen CO2 pro Jahr für das Werk Dotternhausen.
Daneben gibt es technische Fortentwicklungen, um Anlagen effizienter zu betreiben. Im Zementwerk Schelklingen (Alb-Donau-Kreis) zum Beispiel hat Heidelberg-Materials vor wenigen Jahren einen neuen, 140 Meter hohen Wärmetauscherofen in Betrieb genommen, der sehr viel Strom spart und wodurch 78.000 Tonnen weniger CO2 pro Jahr ausgestoßen werden. Kostenpunkt: mehr als 100 Millionen Euro. Manuel Hagel, der nächstes Jahr CDU-Ministerpräsident werden will, betonte vor Kurzem bei einem Besuch in Schelklingen: Mit diesem Weg gelinge es, den ewigen Widerstreit zwischen Wirtschaft und Klimaschutz aufzulösen.
Weltweit über alle Werke hinweg emittiert Heidelberg-Materials laut Bernhard Kleinsorge derzeit 527 Kilogramm CO2 pro Tonne Zement, was ein guter Wert ist. Das Ziel sei es, diesen Wert bis 2030 auf unter 400 Kilogramm zu drücken. Bis 2050 wolle man klimaneutral sein.
Mehr als die Hälfte des CO2 kann nicht vermieden werden
Doch dabei gibt es einen ganz großen Haken: „50 bis 60 Prozent des CO2 sind beim besten Willen nicht vermeidbar, auch nach 2050 nicht“, sagt Thomas Beißwenger, der Landesgeschäftsführer des Branchenverbands ISTE. Der einzige Ausweg sei deshalb die Speicherung des Kohlendioxids unter dem Meer oder die Nutzung in der Chemie- oder Lebensmittelbranche, etwa als Kohlensäure im Mineralwasser oder im Kunstdünger.
Noch aber ist Deutschland extrem schlecht aufgestellt für dieses sogenannte CCS (Carbon Capture and Storage) und CCU (Carbon Capture and Usage) – derzeit arbeitet die Bundesregierung immer noch daran, die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen. Im Moment ist die Speicherung noch verboten.
Andere Länder sind viel weiter. Heidelberg-Materials hat deshalb die erste Anlage zur CO2-Abscheidung nicht in der Heimat Deutschland gebaut, sondern in Norwegen. Im Werk Brevik werden seit wenigen Wochen künftig jährlich 400.000 Tonnen CO2 aufgefangen, auf minus 26 Grad abgekühlt, per Schiff zu einer Verladestation gefahren und dann per Pipeline in Hohlräume 2600 Meter unter der Nordsee gepresst. Für das Zementwerk Padeswood in Wales ist gerade die finale Investitionsentscheidung für eine ähnliche Anlage gefallen.
Wenige Projekte zur CO2-Abscheidung auch in Deutschland
Trotzdem, auch in Deutschland gibt es einige Projekte. So wollen vier Zementhersteller im Werk Mergelstetten (Kreis Heidenheim) der Firma Schwenk eine Abscheidungsanlage bauen, bei der 100.000 Tonnen CO2 pro Jahr eingefangen werden sollen. Noch in diesem Quartal soll es laut Kleinsorge losgehen. Die Idee, aus dem CO2 Flugbenzin herzustellen, musste allerdings beerdigt werden.
Daneben plant Heidelberg-Materials zusammen mit der Firma Linde im Zementwerk Lengfurt, das kurz hinter Wertheim auf bayerischer Seite liegt, eine Anlage, die jährlich 70.000 Tonnen CO2 speichert, das dank seiner Reinheit ganz in der Lebensmittel- als auch in der Chemieindustrie verwendet werden könnte. Linde kümmert sich um die Vermarktung. Holcim will sein Zementwerk in Lägerdorf in Schleswig-Holstein bis 2030 sogar ganz klimaneutral machen; auch da ist Linde mit im Boot.
Allerdings dürfe man die Hoffnungen bezüglich der Wiederverwendung des CO2 nicht allzu hoch hängen, betont Thomas Beißwenger: Maximal 20 Prozent könnten genutzt werden, der Rest müsse gespeichert werden. „Kritikern von CCS sage ich: Etwas Besseres haben wir gerade nicht. Wir müssen diesen Schritt gehen, bis uns etwas Besseres einfällt.“
Schon jetzt sei man aber zwei bis drei Jahre im Verzug auf dem Weg zur Klimaneutralität, heißt es. Gerade in Baden-Württemberg fehlt noch fast alles. Weder ist eine Pipeline in Sicht, die das CO2 nach Norden transportieren könnte, wo unter dem Meer die größten Lagerpotenziale liegen. Noch kommt man wirklich voran beim Plan, mögliche Lagerstätten im Land zu erkunden.
Klimaneutraler Zement wird teurer sein
Sicher ist jedenfalls nur: Klimaneutraler Zement wird teurer sein. Allein für das CO2-Leitungsnetz in Deutschland müsse man 14 Milliarden Euro investieren, errechnete der Verein Deutscher Zementwerke (VDZ) vor Kurzem. Auch der Strombedarf für die Abscheidung, Reinigung und den Transport sei erheblich. Insgesamt könnte sich die benötigte Strommenge verzwei- oder verdreifachen.