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Seit rund einem halben Jahr gilt in Konstanz der Klimanotstand. Der Bürgermeister zieht eine positive Bilanz. „Fridays for Future“ kritisiert: Der Ausstoß von Treibhausgasen wurde bislang kaum gesenkt.

Konstanz - Es war ein Coup, auf den der Oberbürgermeister von Konstanz nach wie vor stolz ist: Am 2. Mai rief die Stadt am Bodensee als erste Kommune Deutschlands mit einem einstimmigen Beschluss im Gemeinderat den Klimanotstand aus. „Die öffentliche Aufmerksamkeit war enorm“, sagt Uli Burchardt (CDU). Das habe dem Thema sehr genutzt – und auch der Stadt. „Das treibt uns vor allem auch an, es erhöht das Gewicht, das auf der Schulter liegt, die Ziele dann auch zu erreichen.“ Denn die Kommune gab von Anfang an die Vorgabe aus: Ein rein symbolischer Akt sollte der Klimanotstand nicht sein. Was ist seither passiert?

Eine der direkten Folgen des Beschlusses war zunächst, dass seit Juni jede Entscheidung, die im Konstanzer Gemeinderat getroffen wird, auf ihre Klimarelevanz geprüft wird. Zudem hat die Stadtverwaltung eine Art „Task Force“ zusammengestellt, die klimarelevante Maßnahmen koordiniert – von der Energieversorgung von Gebäuden über Mobilität bis hin zur Entsorgung. Erwogen werden nach Angaben der Stadt zudem ein Testlauf für einen kostenlosen Busverkehr an Samstagen sowie Prämien wie zum Beispiel ein ÖPNV-Ticket für Bürger. Geplant ist auch ein Klimabürgerrat.

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Konstanzer wollen weiter Feuerwerk

Zudem hat die Stadt das Feuerwerk eines der größten Heimatfeste im Land in einer Umfrage zur Debatte gestellt. Ergebnis: Die Konstanzer wünschen sich auch künftig ein Feuerwerk beim Seenachtfest. Unter den wesentlichen Änderungsvorschlägen der Bürger ist aber auch die Verkleinerung des Feuerwerks.

Das Halbjahres-Fazit fällt nicht bei allen Akteuren in Konstanz positiv aus – vor allem aus Sicht der Ortsgruppe von Fridays for Future könnte es mit größeren und schnellere Schritten vorangehen. Die bisher sichtbar gewordenen Maßnahmen seien wenige und zudem wissenschaftlich gesehen wenig klimawirksam, sagt der Sprecher der Gruppe, Manuel Oestringer. So habe beispielsweise das Feuerwerk beim Seenachtfest eine verschwindend geringe Klimawirkung.

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Fridays for Future: Ausstoß von Treibhausgasen bislang kaum gesenkt

Wichtige Weichenstellungen stünden bislang aus, kritisiert Oestringer. Vor allem bei der Forderung der Umweltaktivisten, dass Konstanz im Jahr 2030 klimapositiv sein soll – das heißt, dass sie nicht zur Klimaerwärmung beiträgt, sondern ihr sogar entgegenwirkt – komme die Stadt nicht voran. Es fehle ein politischer Rahmenbeschluss, der den Weg vorgebe. „Dementsprechend schwach wird das Ziel aktuell noch verfolgt. Bis jetzt sind keine oder zumindest kaum sichtbaren Emissionsminderungen geschehen.“ Weitere Kritikpunkte der Umweltschützer: das Thema autofreie Stadt werde auf die Innenstadt beschränkt, zu einem geforderten Betonverbot gebe es keine Reaktionen.

Eine Solaroffensive der Stadt, bei der private Hausbesitzer unterstützt werden sollen, begrüßt die Gruppe dagegen. „Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung.“ Es gelte jedoch auch hier: „Es reicht bei weitem nicht aus. Angesichts der dramatisch kurzen Zeit, in der wir noch handeln können, kann man sich nicht mehr für Schritte in die richtige Richtung loben; die Maßnahmen müssen jetzt passen und der Bedrohungslage angemessen sein.“ Auch der Verzicht des Oberbürgermeisters auf einen eigenen Dienstwagen überzeugt die Gruppe nicht: „Nett, aber in der Gesamtbetrachtung geringst.“

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OB: Klimaneutralität bis 2030 geht in keiner Stadt

Burchardt bleibt bei der Kritik der jungen Aktivisten gelassen. „Für mich ist es auch bis heute noch nicht immer leicht, zu akzeptieren, dass nicht alles sofort geht“, sagt er. Zwar teile er die Ziele der Gruppe. Dafür brauche es aber eine ganz ruhige Hand. Zudem sei er viel optimistischer als die jungen Umweltschützer. „Für mich ist klar: Die Menschheit wird den Klimawandel bewältigen. Ich bin überzeugt, dass es gelingen wird, bessere Lebensformen, bessere Städte, bessere Verkehrssysteme zu entwickeln, die werden klimafreundlicher oder klimaneutral sein. Das ist für mich eine Frage der Zeit und der Innovation.“

Keine deutsche Stadt könne aber bis zum Jahr 2030 echt klimaneutral sein, sagt Burchardt. „Man kann das auf Papier erreichen, wenn man sich mit Ausgleichen freikauft. Das ist nett. Aber das kann nicht wirklich unser Ziel sein.“ Wenn Konstanz das bis 2040 erreicht, sei das okay. „Aber ich hätte gerne weit vor 2030 ganz neue Lösungen im Verkehr, in der Architektur, in der Stadtteilentwicklung. Das sind die großen Hebel, mit denen man wirklich etwas in Bewegung bringen kann.“

70 weitere Maßnahmen werden derzeit diskutiert

Aktuell solle nun eine Liste mit rund 70 weiteren Maßnahmen mit dem Gemeinderat diskutiert werden. Ein Punkt sei die Erhöhung des Budgets für den Klimaschutz, das derzeit bei 1,7 Millionen Euro liege. „Ich würde gerne auf bis zu 5 Millionen Euro gehen. Da arbeiten wir aber noch dran und müssen auch mit dem Gemeinderat reden, ob er diesen Weg auch gehen möchte.“ Hinzu kämen Investitionen mit Klimarelevanz von rund 3,5 Millionen jährlich. Dafür sei er auch bereit, Mittel im Haushalt umzuschichten, sagte Burchardt. Das meiste Potenzial liege im Bereich des Schuldenabbaus von derzeit rund 1,5 Millionen Euro im Jahr. Er wolle beim Gemeinderat dafür werben, diesen zu stoppen.

Konstanz gehöre beim Klimaschutz noch immer zu den Schnellsten, sagt Burchardt. „Insofern habe ich schon die Hoffnung, dass wir uns noch ein bisschen Respekt von Fridays for Future erarbeiten können.“ Das erste Gespräch mit Fridays for Future - das noch vor dem Beschluss des Klimanotstandes stattfand - sei für ihn ein anstrengender Termin gewesen. „Die wissen über Klimaschutz mehr als ich, die haben richtig viel Ahnung. Und sie haben das Recht der Jugend, kompromisslos und fordernd zu sein.“