Die 25-jährige Carla Hinrichs ist Sprecherin der „Letzten Generation“. Foto: Stefan Müller/Climate stuff

Bei Anne Wills Talkrunde zu den radikalen Klimaprotesten punktet die Aktivistin Carla Hinrichs mehrfach. Justizminister Buschmann kritisiert Bayerns hartes Vorgehen.

Am Anfang von Anne Wills Talkrunde am Sonntagabend zu den radikalen Klimaprotesten schlich sich der Verdacht ein, dass die erfahrene Moderatorin aufs falsche Thema gesetzt hat. Schließlich war gerade die Weltklima-Konferenz in Ägypten gefloppt. Und die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt sprach das offen an: Die Debatte über die deutschen Klimaproteste ziehe ja „viel Energie auf sich“, und ob es nicht besser wäre, jetzt über die Ergebnisse von COP-27 zu sprechen statt über den Klimaprotest. Sie würde gerne darüber reden, wie man die Erneuerbaren Energien nun „an den Start“ bekäme, aber das sei vermutlich ein bisschen langweilig.

Steigt nun die Wut der Klimaschützer?

Nun, bei den Blockaden von Klimaschützern gab es am vergangenen Freitag in Berlin einen Auffahrunfall. Soweit zur Faktenlage, wie Anne Will sie schilderte, und die reichte offenbar für einen höchst emotionalen Themenabend. Wächst nach dem Scheitern von COP-27 nun die Wut der Klimaschützer? 87 Prozent der Deutschen seien mit den Maßnahmen wie Straßenblockaden und Attacken auf Kunstwerke nicht einverstanden, dozierte Anne Will, andererseits seien 57 Prozent der Befragten der Ansicht,die Regierung tue zu wenig für den Klimaschutz. Sind da aber die Methoden der Klimaschützer von der Bewegung „Letzte Generation“ nicht falsch gewählt?

Angst vor dem Klimakollaps

„Haben Sie denn eine Idee, was wir noch machen sollen“, fragte die 25-jährige Clara Hinrichs, Sprecherin der „Letzten Generation“, die Moderatorin. „Wir wären sofort dabei. Meine Generation hat ein Recht auf Leben.“ Hinrichs berichtete von der Angst der jungen Generation vor dem Klimakollaps, einer Erderwärmung um 2,5 bis drei Grad werde bestimmte Zonen der Welt unsicher machen, 35 Millionen Menschen könnten sich auf die Flucht begeben, es sei die moralische Pflicht, sich gegen das Nichthandeln der Regierung aufzulehnen. „Auch in Bürgerrechtsbewegungen haben Menschen Grenzen übertreten, sie haben gezeigt, dass ein friedliche ziviler Widerstand funktionieren kann.“ Man brauche jetzt einen „schnellen Wandel“ beim Klimaschutz, es handele sich beim Vorgehen der „Letzten Generation“ um einen „Akt der Verzweiflung“.

Kein Recht auf staufreie Autofahrt

Bei Anne Will aber auch bei der Journalistin Petra Pinzler („Zeit“), die die Klimakonferenz beobachtet hatte, fand Hinrichs zunehmend Verständnis – und beide schossen sich mehr und mehr auf Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ein: Von der FDP komme nichts in Sachen Klimaschutz, es sehe so aus, als ob die Liberalen das an die Grünen „delegiert“ hätten: „Deshalb sind die Leute so verzweifelt“, sagte Pinzler. Der FDP-Verkehrsminister Volker Wissing setze keine Impulse, „kein Tempolimit, keinen autofreien Sonntag – nichts“. Pinzler warnte auch vor einer Emotionalisierung der Debatte über die Klimaproteste. Es gebe kein Grundrecht auf eine staufreie Autofahrt und bei der Diskussion um den Tod einer Radfahrerin in Berlin – bei der Klimaschützer wegen eines Staus kritisiert wurden – sei immerhin noch festzuhalten, dass es ein Lkw gewesen sei, der die Frau überrollt habe: „Es sind Autofahrer, die Radfahrer tot fahren.“

Zwei Hüter von Recht und Ordnung

Als Hüter von Recht und Ordnung waren sich in der Runde der Liberale Buschmann und der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ziemlich einig – bis auf eine noch zu schildernde Ausnahme. „Sie begehen Straftaten“, warf Buschmann der Aktivistin Hinrichs vor, Sachbeschädigungen oder Nötigung wie bei Straßenblockaden seien „nicht in Ordnung“. Und wo man denn da hinkomme, wenn beispielsweise Reichsbürger oder Querdenker ähnliche Aktionen ausführen würden. Anschläge auf Kunstwerke würden als „Herabwürdigung“ dieser Werke empfunden, und die Kunst- und Kulturszene wolle mit solch einer Bewegung „nichts zu tun haben“, meinte Buschmann. Ähnlich äußerte sich der Landesminister Herrmann, der das Wort von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, es handele sich bei den Klimaprotestlern um eine „Klima-RAF“, das Buschmann als „übertrieben“ empfand, allerdings auch nicht wiederholte.

Ein Bild von 13 Inhaftierten

Dann mischte die Aktivistin Hinrichs die Talkrunde nochmals auf und hielt die Bilder von 13 in Bayern für 30 Tage in Polizeigewahrsam gesteckte Klimaschützer vor die Kameras: „Da ist ein Handwerker dabei, ein 19-jähriger Abiturient und eine Mutter von zwei Kindern. Sie haben gehandelt und Straßen blockiert, weil sie verzweifelt waren. Jetzt macht die Regierung sie mundtot.“ Minister Herrmann entgegnete, dass ein unabhängiger Richter den Gewahrsam angeordnet habe. Obwohl sie alle einen Anwalt gehabt hätten, habe keiner der 13 Rechtsmittel eingelegt. Sie seien alle befragt worden und hätten erklärt, dass sie nach der Freilassung wieder Straftaten begehen würden und das sei „eine Herausforderung für den Rechtsstaat“. Der Gewahrsam sei also präventiv. Die 13 wollten sich seiner Ansicht nach „zu Märtyrer stilisieren lassen“ und „in die Zeitung kommen“.

30 Tage Haft sind zu lang, sagt Buschmann

Bundesjustizminister Buschmann ging bei diesem Thema allerdings auf Distanz zu dem Bayern. Bei dieser Maßnahme hätten doch „viele Juristen ein Störgefühl“, sagte er: „Ich halte die Dauer von 30 Tagen für zu lang, das ist anders, wenn einer mit Sprengstoff hantiert.“ Buschmann wies übrigens daraufhin, dass ein Berliner Amtsgericht (Tiergarten) einen Klimaschützer nach einer zehnminütigen Straßenblockade frei gesprochen habe. Das sei aber noch eine unter den Juristen „extreme Minderheitenmeinung“, die von oberen Instanzen sicher kassiert werde.

Das Dilemma der Grünen

An ein anderes Urteil erinnerte die Grüne Göring-Eckardt: Auch sie sagte, dass der Klimaprotest die Gesetze respektieren müssen, allerdings habe auch das Verfassungsgericht in Karlsruhe gesagt, dass das deutsche Klimaschutzgesetz zum Teil verfassungswidrig sei, zu kurz springe und die Verantwortung des Staates für künftige Generationen berücksichtigen müsse. Die Grüne sieht die Bundesregierung derzeit in einem Zielkonflikt. Einerseits müsse man die Energieversorgung sichern, „andererseits blutet uns Grünen das Herz, wenn wir jetzt bei Autokraten fossile Energie einkaufen müssen.“ Sie wolle wissen, wie jetzt die Zukunft aussehe.

Nachts auf leerer Autobahn ein Tempolimit?

Das wollte Anne Will auch. Rasch handeln könnte man, so die Moderatorin, beispielsweise mit einem Tempolimit von 100 und einem Neun-Euro-Ticket, wie es die „Letzte Generation“ fordere, verknüpft mit der Zusage, dann die Aktionen einzustellen. Für FDP-Minister Buschmann kommt eine solche Erpressung der Regierung aber nicht infrage, die CO2-Reduktion durch ein Tempolimit sei „höchst überschaubar“. Und wie man denn einem Vertriebsmitarbeiter nachts auf der leeren Autobahn erklären wolle, dass er nicht schneller als 100 fahren dürfe. Unversöhnt ging die Runde auseinander.