Foto: Albers

Klettersteige ziehen die Massen an. Jetzt hat auch das Allgäu zwei neue. Doch wo jeder hingeht, kommt noch längst nicht jeder rauf.

Die Anfahrt im Auto war flott gewesen, aber am Berg stecken wir im Stau. Wo sich durch die Nordflanke des Iselers der Salewa-Klettersteig hochzieht, sehen wir eine ununterbrochene Linie bunter Softshells, Gore-Jacken und Kletterhelme. Der Himmel ist seidig blau, aber wir stehen unten im Schatten der Wand und frösteln. Keine Chance, in die Stahlseile zu greifen und hochzuturnen. Oben, am Ausstieg, klumpen sich die Kletterer zu einer dichten Traube, der Fels darüber bleibt leer.

Muss was passiert sein, mutmaßen wir. Und wie zur Bestätigung schwillt Rotorenlärm an: Der Bergwacht-Helikopter fliegt an die Wand. Dorthin, wo das Drahtseil sich über einen leicht überhängenden Felsen windet. Die Schlüsselstelle, wie man die schwierigste Passage am Berg nennt. Wo ein Kletterer nichts als Luft unter sich hat, wo sein Gewicht an seinen Armen zerrt – und die Situation an den Nerven. Zu viel für einen Mann, der sich nicht mehr vor und zurück traut. Jetzt holt ihn der Heli raus. An einer langen Leine hockt ein Retter unter dem Hubschrauber und nimmt den Mann zu sich. Beide rauschen durch die Luft, als die Maschine ins Tal hinunter knattert. Auch nicht gerade nervenschonend, dieses Ende eines Klettertags.

Beeindruckt klicken wir unsere Karabiner ins Sicherungsseil. Welche Schwierigkeiten warten auf uns? Klettersteige werden zwischen A (leicht) und E (extrem) klassifiziert. Die Schlüsselstelle ist mit C eingestuft, sonst fast nur mit A oder B. Eher etwas für Einsteiger, sagen manche, aber in Internetforen haben wir auch skeptischere Einschätzungen gelesen.

Schon auf dem Pfad zum Einstieg sind wir vorsichtig aufgetreten. Der ist bis auf die schwarze Erde freigetrampelt und rutschig. Das typische Nordhangproblem: Hier scheint die Sonne kaum rein, die Nässe trocknet schlecht. Und so wird es bald anspruchsvoll, als der Steig an die erste steile Wand kommt. Der Fels ist eher abgerundet als stufig, mit den vollgeschmierten Sohlen der Bergstiefel finden wir nicht immer den sichersten Halt. Und als ich mich einmal an einer Felszacke hochziehen will, habe ich die plötzlich in der Hand. Wie auch die Schuttbänder zu unseren Füßen zeigen: Der Kalk hier ist ziemlich brüchig.

So ganz einfach sind Gelände und Steig also nicht. Aber auch kein Nervenkitzel. Auf einen steileren Aufschwung folgen leichtere Querungen, auf eine gestufte Rampe trittreiche Bänder. Die Schlüsselstelle, Bergführerplatte genannt, weil hier am ehesten professionelle Hilfe benötigt wird, ist ein steiler, glatter Fels, etwas überhängend, aber eigentlich gar nicht so wild. Metalltritte geben den Füßen sicheren Halt. Man muss sich ein bisschen mehr anstrengen und ein bisschen schnaufen, bis die Karabiner umgehängt sind – dann ist man schon drüber und schlängelt sich durch Alpenrosen und Latschen zum Gipfelkreuz.

Machbar und sicher soll der Steig sein, das hatte sich sein Erbauer Patrick Jost vorgenommen. Der Leiter des Hindelanger Bergführerbüros ist stolz darauf, bis hin zum Gummischutz an den Stahlseilenden jede Sicherheitsvorschrift eingehalten zu haben. 800 Meter Seil haben er und seine Männer durch die Felswand gelegt. Ein Alpinausrüster, die Gemeinde und die Iseler Seilbahn haben die 100000 Euro Kosten zusammengelegt.

Schmaler Grat

Mittlerweile arbeitet sich die Truppe schon zum zweiten Teil Richtung Kühgundkopf vor – ebenfalls mit der Absicht, in der Klettersteigliga nicht die Spitze anzupeilen, die momentan so in Mode ist: Steige voller Höchstschwierigkeiten, die Gelegenheitsalpinisten massiv überfordern.

Genau so einen Steig hat Manny Heim von der Bergschule Kleinwalsertal hinauf zum Kanzelwandgipfel gebaut. Nicht für jeden: "Da muss man es schon drauf haben. Wir wollten einen anspruchsvollen Steig für ein sportliches Publikum." Anspruchsvoll war schon der Bau durch die Felsen auf der deutschen Bergseite, auf die die österreichischen Kleinwalsertaler ausweichen mussten, weil ihr Ursprungsprojekt an der Hammerspitze am Einspruch der Jäger scheiterte. All die Pfeiler, Wände und Grate waren selbst für die erfahrenen Einheimischen Neuland und haben oft Kletterpassagen in sehr hohen Schwierigkeitsbereichen.

Das merken auch wir, gleich nach dem Einstieg. Am Zebrapfeiler mit seinen schwarzen Wasserstreifen auf hellem Fels geht es gleich senkrecht hoch. Eine der schwersten Stellen, bewusst gleich zu Anfang. Viele kehren bereits hier wieder um. Wir kommen rauf, finden immer wieder gute Tritte im Fels, aber die Arme zittern bald. Die Hände müssen kräftig zupacken und halten, vor allem in den ausgesetzten Quergängen mit ihren Tiefblicken. Die Füße sind gegen die senkrechte Wand gestemmt und haben kaum einen Entlastungstritt. Der Bizeps muss das Körpergewicht halten. Schnaufend schieben wir uns weiter. Wir haben noch eine kurze Schlinge in das Stahlseil gehängt und lassen uns immer wieder reinsacken. Sonst wären wir jetzt schon kaputt.

Die schwerste Stelle kommt aber noch. Wieder ein Pfeiler. Das Stahlseil geht senkrecht nach oben. Zweimal rutsche ich in die Seile des Klettersteigsets. Das macht nichts, weil es oberhalb von mir eingehakt ist und ich sofort gehalten werde. Aber wenn ich weiterklettere über den Punkt, an dem die Karabiner von einer Zwischensicherung aufgehalten werde, und dann stürze, kann ich bis zu vier Meter den Fels runterschrappen. Die Bergwacht kennt die Stelle. Sie hat schon einige aus dem Steig geholt, Überforderte und auch Gestürzte.

Ich ziehe die Handschuhe aus, um den besten Griff am Stahlseil zu haben, stelle die Füße gegen die Wand, drücke mich hoch. Es ist ein nebliger Tag, der Fels, wieder eine Nordwand, ist feucht, der Fuß rutscht weg. Aber da kann ich einen Quergriff schnappen und schnell umhängen.

Es ist Geschmackssache, ob man es so nervenkitzelig braucht. Vielleicht wird die Stelle entschärft, Manny Heim und seine drei Miterbauer denken drüber nach. Denn der Steig bleibt auch so anspruchsvoll genug – und auch attraktiv. Die Linie bietet reichlich Gelegenheit, die Hand an den Fels zu legen, sich Wasserrillen hochzuziehen, an Schuppen entlangzuhangeln, sich an Tritten hochzuspreizen. Sogar eine zehn Meter lange Seilbrücke spannt sich von Fels zu Fels.

Typisch neumodisches Turnelement, schimpft da der Traditionalist. Aber die Seilbrücke und auch die 27 Meter lange Burmabrücke auf dem Walser-Klettersteig, auf dem all diejenigen, die noch Power in den Muckis haben, hinunterhangeln können (die Alternative ist ein Wanderweg) – sie hat der Naturschutz gefordert, damit die Bergstiefel nicht auf geschützten Pflanzen herumtrampeln. Dass all die Naturschützer schließlich beide Steige abgesegnet haben, darauf sind Patrick Jost und Manny Heim besonders stolz.

Info Salewa-Klettersteig (Iseler): Geöffnet von 1. Juni bis 10. November; 140 Höhenmeter, 40 bis 60 Minuten. Schwierigkeit: bis C. Erweiterung geplant. Beschreibung unter http://www.bergsteigen.at.

Klettersteig Kanzelwand: Geöffnet von 1. Mai bis 31. Oktober; 250 Höhenmeter, drei Stunden. Schwierigkeit: offiziell bis C/D, eher drüber. Verlangt viel Kraft und Ausdauer in den Armen. Mehr Infos unter http://www.klettersteig.de.

Allgemeine Auskunft: Allgäu Marketing, Telefon 08 31 / 57537 30, http://www.allgaeu.de.