Leni Breymaier hofft weiterhin auf eine Wende in der Publikumsstimmung. Foto: dpa

Die SPD versucht das scheinbar Unmögliche möglich zu machen und den Bundestagswahlkampf in der heißen Phase noch zu drehen. Dies soll vor allem mit einer direkteren Ansprache der Wähler gelingen, wie sich auf dem Kleinen Parteitag in Balingen zeigt.

Balingen - Es ist eine veritable Premiere: Mit der Einführung Kleiner Parteitage will die SPD im Südwesten beweisen, dass sie aus dem Debakel bei der Landtagswahl 2016 gelernt hat. Dafür war im Vorjahr eigens die Satzung geändert worden. Die Basis soll enger eingebunden werden als bisher. In Balingen besteht am Samstag für 180 Delegierte die erste Gelegenheit.

Für die Landesführung ist dies zudem eine letzte Gelegenheit, der von anhaltenden schlechten Wahlresultaten und Umfragewerten verunsicherten Partei Mut einzuhauchen, damit sich niemand ermattet in den Sommerurlaub verabschiedet und anschließend nicht mehr auf Touren kommt. „Wir machen keine Ferien – wir machen Wahlkampf“, sagt die Landesvize Hilde Mattheis. „Es muss bei den Menschen ankommen, wofür die SPD steht und was wir anders machen wollen.“

Beim Tür-zu-Tür-Wahlkampf an die Menschen ran

Die Landeschefin Leni Breymaier gibt den Startschuss: „Die heiße Phase des Wahlkampfs beginnt jetzt – und richtig kochen wird es im September.“ Zahlreiche Wahlen der vergangenen Jahre seien auf den letzten Metern „gedreht“ worden. Obwohl Martin Schulz laut ZDF-Politbarometer im direkten Vergleich mit Angela Merkel fast hoffnungslos um 29 Prozentpunkte zurückliegt, so ist ja auch etwas dran, wenn Breymaier sagt: Der SPD-Kanzlerkandidat werde von der Partei getragen, „wie wir es noch nie erleben konnten“. Schulz’ Vorgänger wurden deutlich weniger geschätzt.

1800 neue Mitglieder hat die SPD im Land 2017 registriert, oft junge Menschen. Diese sind auch gefordert, wenn es jetzt an das Klinkenputzen geht. Da die CDU andernorts mit Tür-zu-Tür-Wahlkämpfen zuletzt recht erfolgreich war, wollen die Genossen im Südwesten Boden gut machen. Die Generalsekretärin Luisa Boos wirbt für die angebotenen Schulungen bei der Haustürwerbung. Diese wird mit einer Smartphone-App digital unterstützt. Ziel ist es, neue Wählerpotenziale in ausgewählten Ortsteilen, Straßenzügen und Dörfern zu heben, die weniger SPD-nah erscheinen. Zu 60 Prozent würden die Wahlhelfer bei den geöffneten Haustüren auf unentschlossene Wähler treffen, schildert Boos. „Dies ist ein Riesenfeld, das wir noch bearbeiten können.“ Hemmungen, an fremden Türen zu klingeln, seien nicht angebracht. „Es passiert euch nichts“, sagt sie.

Große Probleme bei der Pflege

Wofür die SPD steht, wird speziell beim Schwerpunkthema deutlich: Der Parteitag verabschiedet einen langen Leitantrag, der sich für eine bessere Finanzierung und personelle Ausstattung der Pflege einsetzt. In einer Podiumsrunde betont die frühere Sozialministerin Katrin Altpeter, dass „man in der Pflege gar nicht mehr so schlecht verdient“ – daher müsse es mehr um die Rahmenbedingungen gehen. Es ist ihr erster öffentlicher Auftritt seit dem Verlust des Ministeramtes – seit April ist Altpeter Schulleiterin der MaxQ-Altenpflege im Stuttgarter Berufsfortbildungswerk (bfw).

Irene Gölz (Verdi) mahnt, dass landesweit 17 000 neue Stellen benötigt würden, weil es in der ambulanten und stationären Pflege viel zu wenig Personal gebe. Und Christopher Hermann, Chef der AOK Baden-Württemberg, lenkt den Blick auf den „grauen Markt“ in der 24-Stunden-Pflege, wo bundesweit bis zu 700 000 Osteuropäer in großteils prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten würden. Diese Thema komme im SPD-Antrag zu kurz.

Hubertus Heil kommt nicht vom Rollfeld weg

Keine Premiere ohne Panne: Bundesgeneralsekretär Hubertus Heil, erwartet als Motivator aus der „Kampa 2017“, der Wahlkampfzentrale im Willy-Brandt-Haus, gelangt nicht von Berlin nach Balingen. Zwei Stunden wartete er vergeblich auf den Start des Flugzeugs. So meldet er sich lediglich per Handyvideo. „Der Flieger kam nicht vom Rollfeld“, schildert er. Für die Wahl sei er aber voller Zuversicht. „Das Rennen ist offen.“ Dies setzt aber voraus, dass der SPD noch ein Höhenflug gelingt und nicht wie die von Heil gewählte Airline dahinsiecht.