Der zehnjährige Levin an seinem Klavier Foto:  

Der zehnjährige Levin Giesler aus dem Bodenseekreis eignet sich schwierige Klavierstücke nur über das Hören an. Mit dem Notenlernen lässt er sich viel Zeit.

Es begann mit einer roten Ukulele, die Levin geschenkt bekam. Sie interessierte ihn kaum – ebenso wenig wie die als Geschenk sicher gut gemeinte Panflöte, die dem Jungen später an Herz gelegt wurde. Erst auf das kleine Keyboard sprang der blonde Junge aus Sipplingen (Bodenseekreis) an.

 

Spielerisch eignete er sich das Instrument an, ohne sich um Noten und Tonarten zu kümmern. Seine Methode ist so einfach wie selten: Er hört sich eine Komposition einige Male an und spielt sie dann aus dem Kopf nach.

Spiel mit nackten Füßen und Kappe auf dem Kopf

Inzwischen hat Levin 40 Stücke auf dem Zettel. Sein Repertoire reicht von Klassik bis in die aktuelle Popszene. Beethovens Mondscheinsonate lässt er ebenso erklingen wie Ed Sheerans „Perfect“. „Zwei Stunden Musik kann er inzwischen spielen“, schildern die Eltern Holger und Julia Giesler. Während Levin locker die 88 Tasten bearbeitet, hören sie stolz zu. „Das ist ein Geschenk auch für uns“, sagen die beiden.

Aus dem Keyboard ist inzwischen ein mächtiger schwarzer Flügel geworden, der in dem Kinderzimmer steht und den Raum beherrscht. Der Junge sitzt an dem voluminösen Instrument mit ausgestreckten Beinen. Mit nackten Füßen bedient er die drei Pedale des donnernden Fortepiano. Dass er barfuß spielt, ist eines seiner Markenzeichen, das andere die auffällige Schildmütze, die ihn schützt. „Die Kappe legt er kaum ab“, erläutert seine Mutter. Auch in der Schule darf er sie tragen; wie eine schützende Eierschale legt sich die Mütze um den dichten Schopf.

Ein Musikhaus hat schon seinen Flügel bereitgestellt

Auf den ersten Blick wirkt der Pianist schüchtern. Doch kaum sitzt er am Instrument, legt er alle Zurückhaltung ab. Er genießt das Publikum, er sucht es geradezu. In der Schule spielt er regelmäßig, auch auf kleinen Festen in Sipplingen am Bodensee. Ein Musikhaus stellte dem Talent bereits einen Flügel am Konstanzer Münsterplatz bereit, auf dem Levin seine Kunst zeigen konnte.

Die Eltern fördern Levin, wo es nur geht. „Während der Hausaufgaben steht er plötzlich auf und rennt an den Flügel“, berichtet seine Mutter. Begabung kann man nicht anbinden. Nach einer Viertelstunde stapft er mit Unschuldsmiene zurück und lernt weiter. Die Eltern lassen ihn gewähren, da der Viertklässler ein guter Schüler ist. Nur wenn er nachts ans Instrument eilt, bremsen ihn die Eltern. Den langsamen Satz der Mondscheinsonate kann man auch bei Sonnenlicht spielen.

Noten bräuchte er für das Komponieren

Seit bald zwei Jahren erhält Levin auch noch Klavierunterricht. In Sachen Technik kann er noch viel lernen, auch wenn sein Anschlag bereits sehr gefühlvoll ist und seine Finger kräftig sind. Mit sanftem Druck soll er jetzt auch Noten lernen, doch damit lässt sich der Zehnjährige Zeit.

Da er ein Stück durch genaues und analytisches Hören voll erfasst und selbstständig auf das Klavier übertragen kann, bräuchte er eigentlich keine Noten – es sei denn, er komponiert gerade an einem neuen Stück. Deshalb will er also doch lernen, wie man Musik in die Schrift packt. Beim Vortrag seiner Stücke spielt er ohnehin auswendig – mit nackten Füßen auf den Messingpedalen und der Mütze tief im Gesicht. Nur beim Beifall schauen zwei muntere Kinderaugen kurz auf, um die Lage zu sondieren.