Andreas Gräsle verantwortet die Kultur in der Konstanzer Kirche. Foto: factum/Archiv

Hans-Peter und Volker Stenzl konzertieren an diesem Freitag in der Konstanzer Kirche in Ditzingen. Das Klavierduo weiht damit den Flügel der Kirche ein. Der Bezirkskantor Andreas Gräsle holte die Brüder in die Stadt. Ein Gespräch über Musik, Spontanität und Rennräder.

Ditzingen - Die Brüder Stenzl sind in den großen Konzertsälen der Welt zuhause. In Ditzingen spielen sie bei freiem Eintritt. Andreas Gräsle setzt auf Spenden.

Herr Gräsle, das Duo Stenzl spielt in London, New York, Dresden – und nun in Ditzingen. Sie kennen das Duo näher.
Zur Zeit meiner ersten Anstellung in Schwäbisch Gmünd war ich Volker Stenzl auf dem Rennrad begegnet. Ich dachte, den kenn’ ich doch! Zu meiner Studienzeit in Stuttgart hatte er in Stuttgart Klavier studiert. Bei einem Orchesterprojekt spielte er das 1. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven. Wir als Jungstudenten durften dirigieren, er spielte den Solopart. Begabte Solisten hatten die Möglichkeit, mit dem Orchester zu spielen. Für sie war es ein Podium mit dem Orchester aufzutreten.
Sie studierten Kirchenmusik.
Wir waren dabei, denn wir brauchten ja auch ein Podium, um zu üben. Na ja, und Jahre später, kurz vor der Milleniumsgrenze habe ich Volker Stenzl auf dem Rennrad getroffen. Die Brüder kommen aus dem Stauferland. Für ihn gehörte der Sport als Ausgleich dazu . . .

Der direkte Draht ist möglich

. . . die Gegend ist ja nicht ganz flach.
Ja, da konnte er sich fithalten.
Haben Sie die Karriere der Brüder verfolgt?
So viele Berührungspunkte gab es nicht. Es war aber immer schön, sie zwischendurch bei einem Konzert zu hören. Wir sind uns freundschaftlich verbunden. Wenn ich sie frage, läuft das nicht über die Agentur – aber sie spielen natürlich gegen Honorar.
War zu Studienzeiten schon klar, dass sie eine solche Karriere machen würden?
Sie waren schon damals sehr gut und hatten einen Namen.
Ganz unbekannt ist das Duo auch in Ditzingen nicht.
2012 spielten sie das Requiem von Brahms in der Konstanzer Kirche. Die Londoner Fassung – Brahms hatte selbst die Klavierbearbeitung für vier Hände gefertigt – haben sie auswendig gespielt. Das war beeindruckend für mich.
Vier Hände, ein Flügel – auf welchem Flügel haben die Brüder gespielt?
Sowohl das Duo als auch wir Ditzinger waren mit Piano Hölzle in Sindelfingen in Kontakt, die Firma betreut auch die Instrumente der Jugendmusikschule. Zu diesem Zeitpunkt entstand die Idee von einem Flügel für die Kirche. Wir wählten einen Konzertflügel, den Bösendorfer Imperial. Ich hatte nicht bedacht, dass er breiter ist – nur um wenige Millimeter passte er gerade noch in die Kirche.
Der Konzertflügel war ein Leihinstrument. In der Kirche gab es lediglich ein E-Piano.
Ein Flügel hat natürlich ganz andere klangliche Möglichkeiten. Damals hatte sich die Idee von einen eigenen Flügel schon verfestigt. Das ist jetzt gelungen, dank vieler Spenden, vieler größerer und kleinerer.
Sammelt man kleine Spenden, muss man eigentlich lange warten, bis man am Ziel ist.
Ja, aber es ist toll, eine Idee in der Breite zu streuen. Zusätzlich braucht man aber tatsächlich auch eine Stadt, einen Kultur- und Kunstkreis oder eine Jugendmusikschule.

Unerwartet schnell das Ziel erreicht

Sie mussten 40 000 Euro aufbringen. Das gelang binnen weniger Monate. Nun gibt es ein Konzert bei freiem Eintritt. Ist das ein Dankeschön für die Spender?
Der Flügel ist bezahlt, das haben wir nicht erwartet. Dennoch hoffen wir auf Spenden. Wie beim Brahms-Requiem 2012 spielt das Duo nicht ohne Gage, auch wenn die beiden den Ditzingern entgegenkommen. Wenn ich Glück habe, gibt es von der Stadt eine gewisse Abmangelbeteiligung.
War es schwierig, die Künstler nach Ditzingen zu holen?
Es war eher schwierig, weil alles sehr schnell ging. Im September war klar, dass der Flügel bezahlt ist. Ich habe Hans-Peter im November in Stuttgart getroffen, ihm die Idee vorgestellt und gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, den Flügel einzuweihen. Er nannte zwei Termine.
Die schnelle Entscheidung ist im deutschen Kulturbetrieb eher ungewöhnlich?
Ein Beispiel: Ich war im Studium mit der Orgelklasse auf Konzerttournee in Italien. Dort hieß es „Wir Italiener machen nächste Woche ein Konzert und die Kirche ist voll. Die Deutschen müssen zwei Jahre im voraus planen“. Ich fand es jetzt ganz schön, spontan zu sein, auch wenn ich ein Freund bin der langfristigen Planung. Wir haben eine hohe Kulturdichte. Ein spontanes Konzert würde immer noch reinpassen, aber es wäre unfair gegenüber allen anderen, die rechtzeitig planen. Insofern bin ich gegenüber dem Spontanen vorsichtig, auch um eine Kommune nicht zu überfrachten.
Sie organisieren die Konzertreihe „Musik zur Marktzeit“, schaffen eine Atmosphäre der Wertschätzung auch für junge Musiker. Was bedeutet der Auftritt des Duos für Sie?
Man kann sich – mittels eines Flügels – stilistisch frei bewegen. Man kann einen ganz neuen Aspekt von Pluralität durch solche Größen auch bewusst unterstreichen. Nehmen Sie das Beispiel Pfingsten, das Fest der Vielsprachigkeit. Wenn es das nicht gegeben hätte, würde jeder in seiner eigenen Sprache reden und sie verstehen.
Es geht also darum, die Offenheit nach Außen zu unterstreichen.
Ja, und es geht darum, sich immer wieder auf das Unbekannte einzulassen, auf Dinge, von denen man nicht weiß, wie sie ausgehen. Aber das gehört zum Menschen. Wenn wir das Unbekannte nicht vor uns hätten, könnten wir gar nicht leben. Wir brauchen diese Neugier, die Fähigkeit uns überraschen zu lassen. Das ist im Kunstbereich ganz wichtig, deshalb gehört Kunst und Religion irgendwie auch zusammen.
Die Gesellschaft lebt aber gern das Geplante.
Wenn alles determiniert wäre, wären wir digital. Alles wäre kalkulierbar, in Null und Eins zu ordnen. Ich glaube, ein Mensch ist viel mehr als ein kalkuliertes Wesen.

Das Konzert

Konzert
Das Klavierduo Stenzl spielt am Freitag, 23. März, um 19 Uhr in der Konstanzer Kirche. Gespielt werden Werke von van Beethoven, Bursoni, Kurtág, Ravel und Brahms.

Anlass: Mit dem Konzert wird der neue Flügel eingeweiht, der in der Konstanzer Kirche zur Verfügung steht. Zahlreiche Spenden haben den Erwerb möglich gemacht.

Ursprung: Andreas Gräsle hat die Idee von einem Flügel maßgeblich vorangetrieben. Gräsle, 1964 geboren, ist seit 2003 Bezirkskantor im Dekanat Ditzingen.