Seit fast 20 Jahren sind Oskar und Klaus ein Paar. Sie leben in einem kleinen Dorf. Eine Nacht hat ihr ganzes Leben umgedreht.
Wolfertsreute -
Wolfertsreute ist zwei Kilometer von Ratzenreute entfernt, vier Kilometer von Boms und fünf Kilometer von Hundsrücken. Mit etwas weniger Zoom: ein kleines Dorf im gottesfürchtigen Oberschwaben.
Aus dem Transistorradio in einer Scheuer beschallt Neil Diamond den ganzen Ort. Vor 200 Jahren standen hier zwei Bauernhäuser. Heute sind es vier, dazu etliche Schuppen. Hier leben Klaus Fischer, 49, und Oskar Pfeiffer, 70. Was für ein Paar.
Ein Schrei wie aus dem Regenwald übertönt Neil Diamond: der Balzruf eines Pfaus, der seine meterlange Federnschärpe über die Dorfstraße zieht – eine schimmernde Pracht, gegen die Meghans Hochzeitskleid der reinste Lumpen ist. Ein Goldfasan rennt übellaunig in einer Voliere umher. „Man sollte keine zwei Männchen zusammen halten, die hacken einander manchmal die Schädel kaputt“, sagt Klaus.
Auf der Holzbank am Hinterhaus kann man gut sitzen. Hier ist es schön schattig. Hier kriegt man mit, was die anderen elf Wolfertsreuter den Tag über so machen. Hier sieht man, wer durch das Dorf fährt – falls mal einer durchfährt.
Schon als Bub war Klaus am liebsten bei den Amanns und ihrem Vieh, wo er Bauer sein und in der Erde wühlen konnte. Später noch, als er schon in die Disco ging, die war immer samstags im Altshausener Lamm, ging er spätnachts nach der Sause am Elternhaus vorbei die fünf Kilometer bis Wolfertsreute und meistens gleich in den Stall, um die Kühe zu melken. Da hatte er schon eine Ausrede, um die Sonntagskirche zu schwänzen. Die Amanns sind fromme Leut.
Klaus heiratete und zog mit seiner Frau nach Wolfertsreute
„Ich wusste schon immer, dass ich schwul bin. Aber ich wollte Bauer werden, alles andere war zweitrangig“, sagt Klaus. Und weil ein schwuler Bauer damals in Oberschwaben undenkbar war, konzentrierte er sich ganz auf die Landwirtschaft, poussierte immer Mädle mit Hof. Das Haus, in dem er jetzt mit Oskar wohnt, war der Erbteil seiner Ex-Frau.
Klaus nimmt einen Schluck aus der Flasche Walder-Bräu-Spezial: „Ich hab Glück gehabt, mein Leben war immer das Bauersein“, sagt er. „Ich hab gebuckelt, hatte die Arbeit, meine Vereine. Und abends daheim hatte ich halt meine Fantasie.“
Er lernte Gärtner, fing bei der Stadt Saulgau an. Er heiratete, zog mit seiner Frau nach Wolfertsreute, „da war alles noch ganz kahl“, sagt er. Die Linden im Dorf, die Ahorne an der Straße, die Weiden am Bach, die gut 200 Obstbäume im Garten – alles ein Resultat seines Aufforstungsprogramms. Seit 14 Jahren ist er selbstständiger Friedhofspfleger – Totengräber, sagt man hier weniger umständlich. Sein Vater hilft ihm manchmal bei den Beerdigungen.
Klaus trifft Oskar – und war verliebt wie noch nie
Als junger Bursche hatte er mal was mit einem Mann. Nichts Ernstes. „Er war mir nicht männlich genug, eher so ein Quietscherle. Ich wollte immer einen echten Mann.“ Oskar ist so einer. Als sie sich beim Landestreffen der Bürgergarde Altshausen nahekamen, war er 52, verheiratet, Vater von drei Kindern und schon Opa. Er spielte kernige Rollen im Theater Zollernreute, war ein toller Reiter und sah umwerfend aus mit dem Musketierbart, in seiner gelben Husarenuniform.
Eigentlich wollte Oskar an dem Abend draußen vor dem Zelt mit einer Frau herumscharmutzieren, was aber jäh sein Ende fand, als sie vor dem Zelt ihren Mann entdeckte. Auch Klaus, „die alte Festhupe“, wie Oskar ihn nennt, war – erhitzt durch rustikale Blasmusik, schöne Husaren und scharfen Schnaps – in Abenteurerlaune. Er kam gerade aus dem Festzelt, Oskar war gerade auf dem Weg zurück ins Festzelt. Klaus fragte, halb im Spaß, halb in Tequila-Courage: „Sollen wir noch an die Bar oder gleich übergehen zur Liebesnacht?“ Oskar sagte: „Eine Liebesnacht wär keine schlechte Idee.“ Und dann lagen sie im Schlafsack. Einmal stolperte einer im Dunkeln über die beiden, aber der war zum Glück schon voll wie eine Strandhaubitze. Wie und wo sie aufwachten, wissen sie nicht mehr.
Klaus war verliebt wie noch nie. „Diese Nacht hat mein ganzes Leben umgedreht“, sagt er. „Wenn ich ihn sah, hab ich jedes Mal gezittert.“ Oskar wusste nicht so recht, was ihm da widerfahren war. Seine erste Reaktion: „Wir sollten die Sache vielleicht lieber vergessen.“ Aber nicht mit Klaus. „Der ließ mich einfach nicht in Ruhe.“
Mittwochs geht Klaus immer zu seinen früheren Schwiegereltern essen
Auf der Holzbank am Hinterhaus kann man gut sitzen und nach dem Tagwerk den Tieren zuhören. Dem Gegacker. Dem Gebimmel der Kuhglocken. Die Männchen unter den 25 Pfauen sind nur zwischen März und Juli Schreihälse. Nach der Balz werden sie ruhig. Auch modisch lassen sie nach, werfen ihr extravagantes Federkleid ab und wechseln zum legeren Homewear.
Unten am Bach haben Klaus und Oskar noch Gänse und Cröllwitzer Puten. Zum Hof gehören drei Schäferhunde, ein paar Katzen, Hasen, zehn Pferde. In manchen Jahren gibt es außerdem eine wahre Ratten-Epidemie im Dorf, dann sind die Biester überall. „Und vom Irlandurlaub haben wir uns auch mal Sackratten mitgebracht.“
Ein Zimmer in einem Pferdehof bei Aulendorf war ihr Treffpunkt. „Manchmal waren wir halbe Tage lang in unserer Liebeshöhle“, sagt Klaus. „Eine wunderschöne Zeit“, sagt Oskar. Klaus’ Frau merkte gleich, als sie vom Kenia-Urlaub zurückkam, dass da was nicht stimmte. „Hasch du a andere?“ – „Noi, i ben mit’m Mann zamma.“ Sie sind im Guten auseinander. Sie kam dann auch schnell mit Joseph an und wurde schwanger. „Wir haben nach der Trennung mehr miteinander gesprochen als vorher“, sagt Klaus. Mittwochs geht er immer zu seinen früheren Schwiegereltern essen.
Sie würden sich nie auf der Straße küssen
Bei Oskar war es schwieriger. Irgendwann sagte Klaus: „Entweder du sagsch’s jetzt deiner Frau, oder i mach’s. I kann so it läba.“ Für Oskars Frau brach eine Welt zusammen. „Heute haben wir ein tolles Verhältnis. Sie hat auch wieder jemand gefunden.“ Mittwochs geht Oskar immer zu seinen Kindern und Enkeln essen.
Die Mutter von Klaus meinte: „I woiß it, ob der Herrgott des so wella hätt.“ – „Wenn er’s it so wella hätt, hätt er uns it so gmacht“, meinte Klaus. Und spätestens als die Mutter beim Metzger Metzler in Altshausen gefragt wurde: „Sag amol, stimmt des, dass dr Klaus mitm Oskar?“ war das Verhältnis dann öffentlich. Aber sie würden sich nie auf der Straße küssen oder Hand in Hand gehen. Das muss nicht sein.
„Klar hatten wir Angst vor der Reaktion der Leute, bestimmt haben sie auch hintenrum endlos über uns geschwätzt“, sagt Klaus. Aber man hat sie doch so akzeptiert, wie sie sind. Und wenn nicht, wäre es ihnen auch egal gewesen. „Wer nichts mit uns zu tun haben will, auf den isch gschissa.“
Hilde aus der Nachbarschaft schaut vorbei: „I wollt eich bloß gschwend froga, ob ihr no a weng Stroh hend?“ – „Haja!“ Hilde hat abgenommen: „Aber i woiß it wo. I merk’s halt an dr Hosa.“ – „Hilde, du warsch no nie fett.“
Auf der Holzbank am Hinterhaus kann man gut sitzen und Schwätzchen halten. Fast jeden Abend kommt jemand vorbei aus dem Ort oder von den Höfen drum herum, von den Kumpels im Fanfarenzug oder der Blutreitergruppe. Erst gestern Abend hat eine Bäuerin von Königseggwald, die kennen die beiden vom Schnapsen, Sägmehl gebracht. Und dann ist man noch gesessen, bis am Ende drei Flaschen Sekt leer waren. „So ergibt sich’s halt.“
In Wolfertsreute hält man zusammen. Der eine hilft beim Melken aus, der andere dafür beim Mähen. Dann kommt der vorbei und hat noch was zu erzählen, dann braucht der noch was, dann bringt der noch was. Bei Klaus und Oskar läuft das Netzwerk zusammen. Mittwochs ist bei ihnen Singabend. Ohne musikalischen Leiter. Jeder sucht sich was aus dem Volksliederbuch aus. Die guten Sänger singen laut, die schlechten leiser. Und so verstreichen die Tage in Wolfertsreute und sammeln sich zu Jahren.
Klaus würde Oskar gern heiraten, aber der ist noch verheiratet
Jeden Morgen um sechs läutet Anton „Done“ Amann die Glocke der kleinen Dorfkappelle. Um sieben steht Oskar auf, versorgt die Viecher, macht dann Frühstück: Kaffee, ein Ei, ein Brot mit Lachs oder Wurst für sich. Für Klaus ein Mineralwasser, einen Naturjoghurt mit Marmelade. Um neun geht Klaus auf seinen Friedhof. Oskar putzt, wäscht, kocht. Abends liest Klaus noch die Zeitung oder sein Readers-Digest-Heftle, während Oskar sich schon aufs Sofa legt. Ein Rentner muss sich auch mal ausruhen dürfen. „Er ist der älteste Blutreiter von Altshausen, aber reitet noch auf dem jüngsten Gaul“, sagt Klaus.
Er wär gern Friseur geworden, aber Oskars Vater sagte: „Der Bua wird Bauer!“ Oskar lernte Betriebshelfer auf einem Hof, wurde danach Altenpfleger, schaffte in der Kurklinik Schussenried, pflegte später den alten Ott von der Brauerei. „Ich bin aufgegangen in dem Job. Das war immer mein Ding.“ Und irgendwie war er als Pfleger ja auch Friseur. Im Altenheim hat er den Damen die Haare geschnitten und frische Dauerwellen gemacht. „Ich weiß gar nicht, wie man das heute machen sollte, wo man jeden Handgriff abrechnen muss.“ Auch Klaus hat er frisiert, als da noch mehr Haare auf dem Kopf waren.
Die Sauberkeit war anfangs ein Streitthema. „Klaus ist halt ein bisschen wasserscheu“, sagt Oskar. Auch bei der häuslichen Ordnung war Oskar ganz anderes gewohnt, als er damals in Wolfertsreute einzog. Manchmal kriegt er seinen Moralischen, wenn Klaus wieder mit den Stallstiefeln in die Wohnung trampelt oder seine Socken in der Kuchel rumliegen lässt.
Klaus würde ihn gern heiraten, aber Oskar ist ja noch verheiratet. Fast 20 Jahre sind die beiden jetzt ein Paar. „Die schönsten 20 Jahre meines Lebens“, sagt Klaus. „Ich hätte nie gedacht, das ich mal mit einem Mann zusammenkomme“, sagt Oskar. Das Leben ist immer für eine Überraschung gut. Nur, dass er auf der Straße den Frauen hinterherguckt, kann sich Oskar nicht abgewöhnen. „Ich könnte nicht mehr mit einer Frau“, sagt Klaus.
Sie haben alles, was sie brauchen am Hof
Auf der Holzbank am Hinterhaus kann man gut sitzen. Nichts sagen, nichts denken. Ein Walder-Bräu trinken. „Ich trink etwas mehr Bier, damit ich Oskars Altersvorsprung aufhole“, sagt Klaus. „Was soll ich denn mal alleine hier?“ Die Verbrecher, das weiß er als Totengräber, leben immer am längsten. Und von den Guten muss immer einer zu früh gehen.
Sie brauchen nicht viel. Sie haben alles, was sie brauchen am Hof: Fleisch, Obst, Eier, Zwiebeln, Bohnen, Kartoffeln, sogar die Spätzle machen sie selber. Vor sieben Jahren waren sie zum letzten Mal was Richtiges zum Anziehen kaufen. Ein dunkles Jackett beim Mode-Wahl in Ertingen. Ansonsten hat Klaus ja seine drei Lederhosen, die halten schon seit Ewigkeiten. Und fürs Schaffen tun’s die T-Shirts vom AWG. Einmal im Jahr neue Gummistiefel. Fertig.
Arbeit gibt’s immer. Acht Wochen brauchen sie allein, um die kilometerlange Hecke zu schneiden. „Ich bin total zufrieden mit meinem Leben“, sagt Klaus. „Wir haben alles mit unseren eigenen Händen erschaffen.“ Er hat seine Schwiegereltern und seine Ex-Frau ausgezahlt. Immer alles Geld in den Hof gesteckt: „Eigentlich ein Verlustgeschäft, aber es bringt uns Lebensqualität“, sagt Klaus. „Und wenn dann ein Fohlen auf die Welt kommt, das ist so ein Glücksgefühl“, sagt Oskar.
Er hat seine Süddeutschen Kaltblüter und Württemberger Warmblüter auf der Koppel. Klaus hat seine Bäume, den Bauerngarten mit den Purpurglöckchen, Akeleien, Lupinen. Was will er mehr? „Ich wüsste gar nicht, was ich mit einem Milliongewinn anfangen sollte – vielleicht unsere Kuhweide einhagen lassen.“