Steigende Kosten bei den Veranstaltern, Inflation und allgemeine Kaufzurückhaltung. Unter diesen Voraussetzungen ist der Klassiksommer im Nordosten Deutschlands in vollem Gange. Bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern ist die Stimmung getrübt, beim Schleswig-Holstein Musik Festival ist man optimistisch.
„Es wird ein Minus im Etat entstehen, das wir ausgleichen müssen.“ Mag derzeit in Mecklenburg-Vorpommern vielerorts auch die Sonne scheinen, Ursula Haselböck kann die Wolken nicht verhehlen, die über dem Klassiksommer im Nordosten der Republik hängen. Steigende Preise bei den Konzertdienstleistern und die erhöhte Inflation, die allgemeine Kaufzurückhaltung und die Mindestlohnanhebung trüben die Stimmung bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern (FMV) und lassen deren Intendantin befürchten: „Wir werden auf Rücklagen zurückgreifen müssen – zum Glück haben wir in der Vergangenheit sehr gut gewirtschaftet.“
Planungen laufen Jahre im Voraus
Beethoven hin, Tschaikowsky her: Die Rezession macht auch vor der hehren Kunst nicht halt und sorgt zumindest bei den Veranstaltern nur für eine verhaltene Freude schöner Götterfunken. Das Problem der großen Klassik-Festivals im Lande: Die Planungen ihrer Konzerte für 2023 sind oft mit zwei bis drei Jahren Vorlauf erfolgt, und auch die Programme samt der Ticketpreise waren schon gedruckt, bevor der Inflationshammer die deutsche Gesellschaft richtig traf. „Den Kostenanstieg um circa 25 Prozent haben wir nicht an die Besucher weitergegeben“, sagt denn auch Jens Boddin, Finanzchef des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF); nur sehr vereinzelt seien „Anpassungen“ bei den Kartenpreisen vorgenommen worden. Ein ähnliches Ergebnis zeigt der Vergleich mit dem Vorjahr beim Blick auf die Ticketkategorien des Rheingau Musik Festivals – auch wenn man sich dort offiziell zu solchen wirtschaftlichen Fragen nicht äußern will.
Haselböck ist da offener und rechnet beim großen Open Air mit Star-Geiger Daniel Hope und dem New Century Chamber Orchestra San Francisco im Schlosspark Fleesensee die roten Zahlen vor: „Im Frühjahr lagen wir im Vorverkauf 20 Prozent unter den üblichen Zahlen – bei den Menschen sitzt das Geld einfach nicht mehr so locker für Kultur“, konstatiert die charmante Österreicherin nüchtern. Zwar habe dafür der Verkauf an der Abendkasse zugelegt, doch unterm Strich bleiben bislang 15 Prozent weniger Umsatz. Und vor allem im bevölkerungsarmen Osten des Bundeslandes große Sorgen: Selbst ein internationaler Star-Cellist wie Daniel Müller-Schott und FMV-Solistenpreisträgerin Anastasia Kobekina vermochten dort mit ihrem Instrumentenkollegen Bartosz Koziak die Konzertkirche in Neubrandenburg gerade einmal zur Hälfte zu füllen – und das bei einem ebenso attraktiven wie spannungsgeladenen Programm mit Pendereckis Concerto grosso für drei Celli und Tschaikowskys Fünfter. „Im ländlichen Raum Vorpommerns sind die Menschen sehr preissensibel, es gibt dort viele strukturschwache Regionen“, weiß Haselböck. „Da müssen wir günstig bleiben“: Schon eine Preiserhöhung um zwei Euro wirke sich hier negativ auf den Ticketverkauf aus – und doch sei es gerade dort ungemein wichtig, die Festspiel-Konzerte zu bewahren angesichts der ohnehin eher wenigen Kulturangebote in diesen Gegenden.
Gestiegene Hotelpreise sind mitverantwortlich für den Besucherschwund
Gut, dass es da „Zugpferde“ wie Hope gibt, der nicht nur in Mecklenburg fast 2 000 Besucher anlockt, sondern im benachbarten Schleswig-Holstein sogar für fast 40 000 verkaufte Tickets steht. Passend zu seinem diesjährigen runden Geburtstag gibt der ebenso charmant wie eloquent moderierende Geiger 50 Konzerte beim SHMF und dürfte so mit dafür sorgen, „dass wir am Ende des Jahres auf eine schwarze Null kommen“, wie Boddin hofft. Ohnehin hat das älteste deutsche Klassikfestival weniger mit der Besucherzurückhaltung zu kämpfen: Schon kurz nach Vorverkaufsstart im Februar sei klar gewesen, dass es keine Zurückhaltung geben werde, erinnert sich der Herr der Zahlen – dass obendrein die gestiegenen Lebensmittelkosten für das Künstlercatering durch die ehrenamtlich tätigen Ortsbeiräte aufgefangen werden, die sich um die Versorgung der Musiker kümmern, ist da am Ende ein eher kleines Bonbon in der SHMF-Finanzplanung.
Weit schwerer schlägt denn in Mecklenburg-Vorpommern auch ein anderer Preisanstieg indirekt zu Buche: Im beliebtesten Inlands-Urlaubsziel der Deutschen hätten sich die Hotelkosten bis zu 50 Prozent verteuert, so Haselböck – mit der Folge, dass so manche der bisher zu über 40 Prozent aus anderen Bundesländern stammenden Festspielgäste in diesem Jahr aus finanziellen Gründen auf Konzertbesuche verzichten. Um so mehr freut sich die Intendantin, dass neue Reihen wie die „Grenzgänge“ mit Brückenschlägen zum Jazz oder „Kernmarken der Festspiele“ wie die „Junge Elite“ sehr gut funktionieren: Haben doch hier die musikalischen „Trüffelsucher“ der Festspiele in drei Jahrzehnten immer wieder ihre feine Nase für die großen Namen von morgen bewiesen und so manche heutige Klassik-Stars wie Julia Fischer, Hope oder Müller-Schott nicht allein schon früh nach MV geholt, sondern vor allem über die Jahrzehnte in die große hiesige „Stammkünstlerschar“ eingebunden. Und damit einerseits ein enges Verhältnis zum Publikum geschaffen, andererseits auch für ein Entgegenkommen der Musiker in puncto Honoraren gesorgt. Immerhin ein kleiner Lichtblick in wirtschaftlich wolkenverhangenen Zeiten.
Festspiele MV: bis 17.9., Infos und Karten unter Telefon: 0385/5918585
Rheingau Musik Festival: bis 2.9., Infos und Karten unter Telefon: 06723/602170
SHMF: bis 27.8.,Infos und Karten unter Telefon: 0431/237070