Foto: dpa

Wie die Kapitäne der Ausflugsdampfer die Berliner Politik kommentieren. Ihre kessen Sprüche sind auch jenseits des Spreeufers unüberhörbar.

Berlin - Der Mann am Steuer der kleinen Barkasse Don Juan macht deren Namen alle Ehre: Die dunklen Haare sind zum Zopf gebunden, der Spitzbart reicht von der Unterlippe bis zum Kinn. Wenn er lacht, stößt die Markensonnenbrille gegen den Schirm der dunklen Schlägermütze. Don Juan wird überholt von Victoria, der ohnehin heimlichen Siegerin im Spreebogen. Die Wellen schlagen hoch vor dem Reichstagsgebäude. Denn Victoria ist laut, vorlaut, sobald ihr Kapitän per Lautsprecher und somit auch jenseits des Spreeufers unüberhörbar kesse Sprüche über die Berliner Politik startet. Klarschiff im Regierungsviertel.

"Da vorn steht Berlins größter Eierbecher, der Reichstag", sagt Victorias Steuermann feixend: "Sie sehen hier ganz viel, was ganz teuer ist, weil Sie ja wissen wollen, wo unsere Steuergelder geblieben sind. Bleibense tapfer." Die Passagiere an Bord, die hier wissensdurstig angelandet sind und mit einer Dampferfahrt einen anderen Blick auf die Berliner Politik werfen wollen, nicken wohlfeil und gönnerhaft. Dann bittet der Schiffsführer um Haltung: "Wir kommen zum Allerheiligsten, dem Bundeskanzleramt der CDU-Chefin Angela Merkel." Die Blicke gleiten zur Waschbetonarchitektur, die schon Merkels Vorvorgänger Helmut Kohl abgesegnet hatte. Viele Halbbögen und kreisrunde Freiflächen.

"Sie sehen in rund - das Haushaltsloch, hochkant flankiert von den Bildungslücken. Oben im Dach unschwer zu erkennen das Spendenabwurfloch mit eingebautem Tresor." Die Touristen recken die Hälse, lachen. Es entspinnt sich eine Diskussion über die Wirtschaftskrise und die vermeintlich mangelnden Handlungsspielräume der Politik gegenüber den Unternehmen. Dabei ist dann keinem mehr zum Lachen zumute.

Geld und Abgaben - die Steuermänner an Bord wissen, was zieht. Ein anderer der Wassertaxen-Chauffeure lästert: "Willkommen im Tal der Ahnungslosen." Dabei sind nicht etwa die Passagiere gemeint. Der Kapitän hält vielmehr die Politiker für unwissend, die hier rechts und links der Spree in den Abgeordnetenbüros arbeiten und sich den Vergleich mit den DDR-Bürgern eines früheren Dresdner Bezirks gefallen lassen müssen, in dem terrestrisch kein Westfernsehen zu empfangen war: im Tal der Ahnungslosen.

Der Dampfer Victoria kommt aus Ostberlin und überquert mehrmals täglich die frühere Spreegrenze, die bis 1989 nicht die Stadt teilte, sondern das ganze Land, die ganze Block gewordene Welt. Heute ist alles eins, Berlin, Deutschland, wenn schon nicht die ganze Welt, und so lässt sich weidlich lästern mit reichlich viel DDR-Geschichte an Bord und den gesammelten Geschichtchen aus 20 Jahren Wiedervereinigung auf den Berliner Schifffahrtswegen.

Dort, wo der asbestverseuchte Palast der Republik stand, ist noch längst kein Gras über den umstrittenen Abriss der DDR-Volkskammer gewachsen, sehr wohl aber Rollrasen im Wert von 1,5 Millionen Euro ausgelegt. In allen Cafés dort lächelte seinerzeit Erich Honecker von der Wand: Porträts hinter Glas und eingerahmt, wie es sich wohl für den Staatsratsvorsitzenden ziemte. "Der konnte noch grinsen", meint Victorias Kapitän, "der musste die Plörre nicht trinken, die sich Kaffee nannte und eine bohnenlose Gemeinheit war." Und klar auch, dass die Anekdote über Walter Ulbricht nicht fehlen darf, über Honeckers Vorgänger, der verhindern wollte, dass aus dem sozialistischen Ostberlin "ein Kreuz grüßt". Als Ulbricht den Bau des 368 Meter hohen Fernsehturms samt rotierender Aussichtskuppel in Auftrag gab, spielten ihm die Gesetze der Physik einen Streich: Immer wenn die Sonne scheint, spiegelt sich auf der Kuppel ein Kreuz. "Seitdem rotiert nicht nur die Kugel, sondern auch St. Walter im Grab."

Ein paar Seemeilen weiter, im Regierungsviertel, bemüht der Käpten jüngere Geschichte: "Zum ersten Mal musste sich Altkanzler Gerhard Schröder von einer Frau aus seiner Wohnung werfen lassen, mit der er nicht verheiratet war. Die Wohnung war im Kanzleramt, und die Frau war Angela Merkel." Heute regiere hier die "Perle aus der Uckermark" (Merkel), "von der es heißt, sie chille wegen der Wirtschaftskrise abends mit Deutsche-Bank-Chef Ackermann auf der Dachterrasse des Kanzleramts".

Schlechte Zeiten erforderten radikale Maßnahmen, zitiert augenzwinkernd ein anderer Schiffsführer ausgerechnet die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), die sich auch in diesem Jahr um den Einzug in den neuen Bundestag bemüht: "Hier stehen nur ein paar Meter weiter östlich noch Plattenbauten des Premiumsegments. Da könnten Merkel und ihre Banker Feste feiern, ohne dass dies die Republik erschüttert." Dagegen könnte dann nicht einmal der "olle Frank-Walter Steinmeier" etwas einwenden - "der Mann mit dem Deutschland-Plan und dem ungeheuerlichen Charisma". Sagt's und kehrt um gen Hafen. So ist alles in den Wind gerufen.