Leise, aber unerbittlich: Michael D. Hausfeld könnte VW in den Ruin treiben. Foto: dpa

Michael Hausfeld ist ein Anwalt, vor dem viele zittern. Mal kämpft er gegen Banken, mal gegen Softwarekonzerne, derzeit gegen Volkswagen und dafür, dass Zehntausende Käufer manipulierter Dieselfahrzeuge entschädigt werden.

Washington - Als Michael Hausfeld anfing zu arbeiten, war er acht Jahre alt. Das ist die schönste Erinnerung an seine Kindheit. Weil er jeden Morgen 45 Minuten mit seinem Vater vom New Yorker Stadtteil Brooklyn mit dem Zug nach Manhattan gefahren ist. Dort betrieb der Vater einen Fellhandel. „Welcher Sohn kann so viel Zeit mit seinem Vater verbringen?“, sagt der Mann, der später ein Staranwalt werden sollte. Der Satz, den der Vater immer gesagt hat, ist: „Liebe die ganze Welt, dann liebt die ganze Welt dich zurück.“ Das war wenige Jahre nach einem Krieg, in dem fast die ganze jüdisch-orthodoxe Familie Hausfeld verschwand. Der Vater floh 1939, als die Deutschen in Polen einmarschierten. Hausfeld ist benannt nach seinem Onkel, den die Nationalsozialisten erschossen haben: Michael David. Er trägt die Vergangenheit nicht nur im Namen. Die Zeit, in der er als Kind jüdischer Naziflüchtlinge in New York lebte und arbeitete, prägte das Weltbild von Michael Hausfeld. Was er von seinem Vater gelernt hat? „Den Sinn für Gerechtigkeit.“

Wenn er gewinnt, ist VW am Ende

Heute ist Michael Hausfeld 71 Jahre alt. Und arbeitet immer noch. Wenn er drei Adjektive nennen müsste, die ihn am besten beschreiben, würde er sagen: hartnäckig, engagiert und moralisch kompromisslos. Was er damit meint, bekommt derzeit Volkswagen zu spüren. Hausfeld will den Wolfsburger Autobauer dazu zwingen, nach dem Abgasskandal auch die europäischen Besitzer manipulierter Dieselfahrzeuge zu entschädigen. Für Volkswagen wäre dies das Ende. In der Branche eilt Hausfeld ein gewaltiger Ruf voraus. Manche bezeichnen ihn als den mächtigsten Anwalt der USA oder auch als den Titanen auf der Klägerseite. Er wird als seriös, zielstrebig und erfolgreich beschrieben. Spezialisiert ist er auf Menschenrechtsverstöße und Kartelldelikte. Im Laufe seiner Karriere war er an einigen der spektakulärsten Entschädigungsfälle der USA beteiligt und hat als Vertreter von geschädigten Verbrauchern, diskriminierten Minderheiten oder Holocaust-Opfern Milliardenvergleiche erzielt.

An diesem Septembertag sitzt er in seinem Büro in Washington. Für einen Titanen wirkt er leise und bescheiden. Er braucht wenige Worte für seine Antworten. Denn er wählt jedes genau aus. Hausfeld plaudert nicht, und er protzt nicht. Die hellbraunen Holzregale in seinem Büro stehen voller Familienbilder. Auf dem Boden: große Töpfe mit Grünpflanzen. „Ich bin ein häuslicher Typ“, sagt Hausfeld. In den Fall Volkswagen hat er viel investiert. Er hat für diesen Kampf vor zwei Jahren eigens ein Büro in Berlin aufgemacht. Doch vor Kurzem hat das Landgericht Braunschweig eine erste sogenannte Musterklage eines einzelnen Mandanten Hausfelds abgewiesen. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass es einfach werden würde“, sagt der Anwalt. „Aber ich dachte, dass sich Volkswagen weniger arrogant verhalten wird.“ Es ärgert ihn, dass sich der Konzern auf keinen Dialog einlässt. „Volkswagen legt sein Schicksal in die Hand der Gerichte und wettet seine Existenz darauf, dass sich an der Gesetzgebung nichts ändert.“

Die VW-Manager wollen nur nach vorne schauen

Der Konzern hatte im Sommer 2016 im teuersten Vergleich in der Autogeschichte zugesagt, dass US-Kunden von manipulierten Dieselfahrzeugen entschädigt werden. Ein Entschädigungsprogramm für die deutschen Kunden aber sieht der Konzern nicht vor.

In der VW-Zentrale in Wolfsburg arbeitet der Konzern nach Kräften an der Überwindung des Debakels. Die Manager wollen jetzt nach vorne schauen. „All unsere Kunden sind uns gleich wichtig – aber bei unserem Bemühen, die Dinge für sie in Ordnung zu bringen, können und dürfen wir Unterschiede in den Rechtssystemen und bei den technischen Maßnahmen nicht ignorieren“, sagt ein Sprecher. Der Autobauer vertritt die Ansicht, dass es für Kundenklagen außerhalb der USA keine Grundlage gibt. Weil die Stickoxidgrenzwerte dort viel strenger sind und daher eine eindeutige Rechtsverletzung vorliegt. „Zentral für diese Auffassung ist, dass in anderen Teilen der Welt behördlich freigegebene technische Maßnahmen zur Verfügung stehen, nach deren Durchführung vollumfänglich genau die Emissionsstandards eingehalten werden, gemäß derer die Fahrzeuge ursprünglich zertifiziert wurden“, so der Sprecher. „Mit der Umsetzung dieser Maßnahmen sind dort auch nachgewiesenermaßen keine Veränderungen hinsichtlich Leistung, Verbrauch und sonstiger Kernparameter verbunden.“

Hinter Hausfeld stehen 100 000 Kunden

Anfänglich haben viele Gerichte die Ansicht von Volkswagen geteilt. So konnte der Konzern bislang rund 70 Prozent der Fälle gewinnen. In jüngster Zeit aber entscheiden mehr Gerichte zugunsten der Kunden. Bislang liegen etwa 600 Landgerichtsentscheidungen vor. Insgesamt sind aber noch mehr als 5000 Einzelklagen anhängig. Hinter Hausfeld stehen allein in Deutschland weitere 100 000 VW-Kunden. Im Oktober will Hausfeld die erste gebündelte Klage einreichen. Im Namen von 20 000 Dieselbesitzern aus Deutschland.

„Jedes Mal, wenn man einen Weg einschlägt, den zuvor noch keiner gegangen ist, braucht es Zeit“, sagt Hausfeld. Der Anwalt will nicht nur Volkswagen bezwingen. Er will eine Änderung der Rechtssysteme in Europa erreichen. Er beklagt, dass Verbraucher in Deutschland faktisch keine Möglichkeit haben, Schadenersatz von Konzernen zu erhalten, die sich nicht ans Gesetz halten. Er will, dass Kunden in Europa ihre Ansprüche gegen Konzerne bündeln können – so wie in den USA. In Deutschland ist dieses System der Sammelklagen umstritten. Denn auf die Weise können Konzerne derart unter Druck gesetzt werden, dass sie daran zugrunde gehen. „Als wir nach Berlin gekommen sind, gab es eine hohe Aversion gegen das Thema“, sagt Hausfeld. „Aber man muss sehen, wo wir heute stehen.“ Tatsächlich spricht sich inzwischen selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für die Einführung sogenannter Musterfeststellungsklagen aus, mit denen sich Deutschland dem amerikanischen System annähern würde.

Hausfeld hat Rechtsgeschichte geschrieben

Klaus Müller ist der oberste Verbraucherschützer in Deutschland. Er verfolgt das Thema von seinem Büro in Berlin aus – und auch er ist mit seinem Verständnis für VW am Ende: „Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hat von Anfang an eine freiwillige Entschädigung für alle betroffenen Kunden von Volkswagen gefordert“, sagt der Vorstand des Verbands. „Die Betroffenen hätten sich nicht für eine Klagemöglichkeit entscheiden und damit das Risiko eingehen müssen, vor dem einen oder anderen Gericht zu scheitern.“ Er teilt die Ansicht Hausfelds, dass eine Reform des Rechtssystems notwendig ist. „Es ist kein Cowboy-System, das wir importieren wollen“, sagt Hausfeld.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Hausfeld Rechtsgeschichte schreibt. Er hat im Laufe seines Lebens viele Fälle angenommen, bei denen die Aussichten auf Erfolg zunächst gering waren. Und auch die Aussicht auf eine Vergütung. Er hat beispielsweise eine der ersten Frauen vertreten, die in den Vereinigten Staaten wegen sexueller Belästigung geklagt hat. Verdient hat er an dem Fall so gut wie nichts – aber er hat Tausenden Frauen einen Weg aufgezeigt, sich zu wehren. Noch heute gibt es Fälle, für die Hausfeld keine Gebühren verlangt. Er hat sich den Ruf eines Anwalts erarbeitet, dem es weniger um Geld geht als um soziale Gerechtigkeit.

Weltweit bekannt wurde er durch seine Holocaust-Klagen

Als 1989 der Öltanker Exxon Valdez vor Alaska auf Grund lief und damit eine der größten Umweltkatastrophen der Seefahrt auslöste, vertrat Hausfeld in der Folge über 3000 nordamerikanische Fischer und Grundbesitzer, die durch das Unglück ihre Lebensgrundlage verloren hatten. Später erstritt er für afroamerikanische Mitarbeiter einen damals historischen Vergleich in Höhe von 176 Millionen Dollar gegen den US-Ölkonzern Texaco, der seine Beschäftigten aufgrund ihrer Hautfarbe schlechter bezahlte und ihnen Aufstiegsmöglichkeiten nahm. In Aufnahmen, aus denen die „New York Times“ damals zitierte, nannten Texaco-Chefs ihre Mitarbeiter Nigger und Orang-Utan.

Weltweit bekannt wurde Hausfeld in den 1990er Jahren durch seine Holocaust-Klagen. In der Schweiz zwang er Banken dazu, das Geld ermordeter Juden an ihre Familien auszuzahlen. Als den größten Erfolg in seiner Karriere aber bezeichnet Hausfeld den Vergleich mit der deutschen Industrie zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern. Erst durch den Druck der Sammelklagen von Michael Hausfeld und anderen US-Anwälten war die deutsche Wirtschaft bereit, sich Ende der 90er Jahre an einem mehr als fünf Milliarden Euro schweren Entschädigungsfonds zu beteiligen – zur Hälfte finanziert durch die Unternehmen.

Im Fall Volkswagen will Hausfeld nun den Druck erhöhen. Darum kooperiert er jetzt mit dem europäischen Verbraucherverband (BEUC). Das ist der Zusammenschluss aller unabhängigen Verbraucherorganisationen Europas. Der Anwalt verspricht sich davon eine europaweite Klagewelle: „Wenn Millionen von Kunden klagen, müssten die europäischen Gerichte eine Antwort dafür finden.“

„VW wird pleitegehen, wenn ich gewinne“

Ob sich Michael Hausfeld überlegt hat, was passiert, wenn Volkswagen die 8,5 Millionen betroffenen Kunden in Europa entschädigen müsste? „Es gibt für mich keinen Zweifel, dass Volkswagen dann pleitegehen würde“, sagt Hausfeld. „Aber das wäre das Ergebnis ihres eigenen Tuns. Egal wie massiv ein Fehlverhalten ist, es gibt immer ein rationales Mittel, um auf den angerichteten Schaden zu reagieren“, sagt Hausfeld. „Aber dafür bräuchte es einen offenen Dialog, den es in diesem Fall nicht gibt.“

Holocaust-Opfer, diskriminierte Minderheiten und bedrängte Frauen: Hausfeld konnte sich in vielen Prozessen seiner Karriere sicher sein, moralisch auf der richtigen Seite zu stehen. Auch darauf gründet die öffentliche Wucht seiner Fälle. Und dieses Mal? Für Hausfeld ist die Frage klar. Er zitiert Studien, wonach Menschen aufgrund der Folgen der Abgasmanipulation ihr Leben verloren haben. Er weiß, dass Volkswagen einer der weltweit größten Arbeitgeber ist. An dem Autobauer hängen mehr als 620 000 Arbeitsplätze. Durch Zulieferer und andere von dem Konzern abhängige Betriebe wird die Zahl noch viel größer. Er sei in dieser Frage moralisch kompromisslos, so Hausfeld. Die Frage ist, wie er in diesem Fall Moral definiert.