Der Ausbau von Arbeitsplätzen inmitten idyllischer Naturlandschaft: Meßstetten will die Straße in Bauland umwidmen. Foto: Wysotzki

Meßstetten auf der Alb ist ein beliebtes Ausflugsziel. Doch Einwohner wandern ab, um Arbeitsplätze muss gekämpft werden. Von der Regierung in Stuttgart fühlt sich der Bürgermeister Frank Schroft im Stich gelassen – und setzt auf Selbsthilfe.

Meßstetten - Frank Schroft steht an der Hangkante und blickt hinunter ins Tal der lieblichen Bära. Das Bächlein schlängelt sich hoch droben auf der Schwäbischen Alb beim Meßstettener Stadtteil Tieringen durch die idyllische Landschaft, die Wochenende für Wochenende viele Ausflügler auch aus dem Raum Stuttgart lockt. Im Hintergrund ragt dunkler Wald in den blauen Himmel, vorne entfalten sich saftig-grüne Wiesen. Noch ein Stück weiter fällt das Auge auf eine Landstraße und ein paar wenige Fabrikgebäude. Der umtriebige Bürgermeister, Anfang der 30er und seit zweieinhalb Jahren an der Spitze des 10 500 Einwohner zählenden Fleckens im Zollernalbkreis, hat den Ausguck bewusst gewählt: Denn von hier oben wird das Dilemma offenkundig, in dem ein Ort wie Meßstetten steckt angesichts widersprüchlicher Anforderungen. Hier die Erhaltung einer wertvollen Naturlandschaft, strenge Regeln des Umweltschutzes, dort die Sicherung und der Ausbau der in dieser rauen Gegend raren Arbeitsplätze, die den Menschen Lohn und Brot garantieren. „Von Luft und Liebe alleine können wir nicht leben“, sagt Frank Schroft.

Diese Erkenntnis hat schon seinen Vorgänger umgetrieben, der 24 Jahre lang im Amt war. Gut die Hälfte davon hatte dieser sich vergeblich abgearbeitet an einem Projekt, das nun wiederbelebt wurde und an einer Stelle als eine Art Befreiungsschlag gedacht ist für die Stadt am Großen, fast 1000 Meter hoch gelegenen Heuberg. Im Zentrum des Planungsdramas steht eine Landesstraße, und zwar jene mit der Nummer 440, die der Erweiterung von zwei international tätigen Meßstettener Firmen im Weg steht. Das klingt banal. Doch im Kern geht es um viel mehr als nur um eine Straße, um viel mehr als nur zwei Firmen. Angesichts einer immer älter werdenden Gesellschaft und des Trends zur Landflucht geht es letztlich, wie oft abseits der Metropolen, um das Überleben einer Kleinstadt in einem strukturschwachen Gebiet. „Wir müssen sehr große Anstrengungen unternehmen, um attraktiv und zukunftsfähig zu bleiben“, sagt Schroft.

Einwohner und Arbeitsplätze sind verloren gegangen

Gleich zu Beginn des Treffens, noch im Rathaus von Meßstetten, hat der Bürgermeister die Lage erläutert. Die Stadt besteht aus sieben Teilgemeinden. Einst war der Ort unter anderem geprägt von ausgedehntem Hanf- und Flachsanbau sowie von der Schafzucht, die Rohstoffe für die Strumpf- und Tuchmacherindustrie lieferten. Doch diese ist längst weitgehend weggebrochen. Und seit 2013 zudem der im Kalten Krieg bedeutsame Soldatenstandort der Zollern-Alb-Kaserne geschlossen wurde, muss sich die Kommune vollends neu orientieren. Denn nicht nur die Zahl der Bürger ist zurückgegangen, sondern auch die Zahl der Arbeitsplätze sowie die Kaufkraft – das ist die ernüchternde Bilanz seit der Jahrtausendwende, all dies dokumentiert in einem umfassenden Stadtentwicklungskonzept namens „Agenda Meßstetten 2030“, das Schroft nach seinem Amtsantritt erstellen ließ.

Was unternahmen und unternehmen der Schultes und der Gemeinderat nicht alles, um Meßstetten eine Perspektive zu geben. Junge Familien werden bei der Ansiedlung mit einem finanziellen Zuschuss unterstützt, die Kommune investiert in eine gute Infrastruktur, in Kinderbetreuung und Schule, in einen attraktiven Ortskern. Mehr noch: Die brach liegende Kaserne diente in Hochzeiten der Flüchtlingswelle dem Land als Erstaufnahmestelle, womit sich Meßstetten bei den Regierenden in Stuttgart positiv bemerkbar gemacht hat. Doch geholfen hat dies wenig: Im Wettbewerb um den Standort für ein Landesgefängnis hat die Kleinstadt auf der Hochalb gegenüber Rottweil den Kürzern gezogen. Und als jüngst der Bescheid des Innenministers kam, dass auch die ersehnte Polizeischule andernorts unterkommen wird, platzte dem sonst so besonnenen Schultes der Kragen. Die Versprechungen von Mitgliedern der Landesregierung und die Zusicherung des Ministerpräsidenten beim Bürgerempfang 2016, Meßstetten „mit vollen Kräften“ zu unterstützen, seien nichts anderes als „Schall und Rauch“.

Bürgermeister will seine Kommune voranbringen

Die harsche Reaktion erklärt sich aus der Sorge, als Standort weiter an Boden zu verlieren, gerade im Vergleich mit den Ballungsräumen. Doch aufgeben ist Schrofts Sache nicht, zusammen mit dem Gemeinderat setzt er auf „Hilfe zur Selbsthilfe“. Ein Teil des Kasernenareals soll zu einem interkommunalen Gewerbe- und Industriegebiet umgewidmet werden. Aber kurzfristig noch dringlicher ist es aus seiner Sicht, jene Firmen, die schon gute Arbeitsplätze bieten, bei der Expansion zu unterstützen – und dabei auch ungewöhnliche Wege zu gehen. Gemeint sind damit Mattes und Ammann sowie Interstuhl, zwei Unternehmen, die in ihrer jeweiligen Branche einen glänzenden Ruf haben, erfolgreich sind – im Bäratal aber seit 15 Jahren vergeblich um eine Erweiterung kämpfen. Denn sie sind eingezwängt zwischen dem Ort selbst und schützenswerter Natur, zwei Grenzen, die sich nicht verrücken lassen – anders als die Landesstraße 440, die dem Ausbau ebenfalls im Wege steht.

Joachim Link, Geschäftsführender Gesellschafter von Interstuhl, führt stolz den Familienbetrieb mit 900 Mitarbeitern, der einst aus der Dorfschmiede hervorging. Heute verlassen das Werk täglich 4500 modernste Büro- und Arbeitsstühle. Zu den Kunden zählen Konzerne in aller Welt. Glänzend im Geschäft ist auch Mattes und Ammann, dessen Inhaber Christoph Larsen-Mattes den Betrieb auf Maschenstoffe für technische Einsatzwecke spezialisiert hat. Autohimmel entstehen auf den 500 Produktionsmaschinen ebenso wie Stoffe für Sitze oder Matratzen. Für beide Unternehmen ist klar, dass sie an ihrem Traditionssitz bleiben wollen – aber dringend zusätzlichen Raum benötigen, um weiter für den Wettbewerb gerüstet zu sein. So erklärt sich die ungewöhnliche Allianz mit der Kommune, selbst bei der Finanzierung der auf rund neun Millionen Euro veranschlagten Verlegung der Straße auf einer Länge von 1,5 Kilometern. Die Partner wollen sich die Kosten teilen.

Eine solche Konstellation ist einmalig im Südwesten bei einer Maßnahme, für die das Land, in deren Trägerschaft sich die Straße befindet, aus verkehrlicher Sicht keine Notwendigkeit erkennt. Der Bürgermeister hat seine Hoffnung auf einen ordentlichen Obolus aus Stuttgart nicht aufgegeben, treibt das Großprojekt aber dessen ungeachtet voran. Mit Rainer Mänder, einem früheren Baubürgermeister, hat er einen gewitzten Planer und guten Kommunikator ins Boot geholt. „Für uns ein Glücksfall“, wie Schroft sagt. Mänder war es auch, der als Erstes eine neue Trassenführung ausgetüftelt hat, parallel zum heutigen Abschnitt, alles in allem viel schonender für die sensible Talaue.

Frank Schroft steht oben am Hang über Tieringen und zeichnet mit ausgestrecktem Arm den geplanten Straßenverlauf nach. Der Gemeinderat trägt das Projekt einhellig mit, im Herbst soll der sogenannte Satzungsbeschluss erfolgen, dann steht dem Bau, der Meßstettens Zukunft mit sichern soll, nicht mehr viel im Weg. „So nah am Ziel sind wir noch nie gewesen“, sagt er.