Mehrere Klägergruppen wollen in einem Eilverfahren die vorläufige Anwendung des Handelsabkommen mit Kanada verhindern. Sie sehen dadurch die Demokratie gefährdet. Sigmar Gabriel warnte dagegen eindringlich vor einem Scheitern des Abkommens.

Stuttgart - Darf Sigmar Gabriel nächste Woche dem Ceta-Abkommen und seiner vorläufigen Anwendung zustimmen? Darüber verhandelte am Mittwoch das Bundesverfassungsgericht in einem Eilverfahren. Geklagt hatten unter anderem Abgeordnete der Linken, ein Bündnis mehrerer Vereine und NGOS, darunter „Mehr Demokratie“, Foodwatch und Campact, sowie die Flötenlehrerin Marianne Grimmenstein. Fast 200 000 Bürger unterstützten die Klagen.

Alle Klägergruppen befürchten, dass der EU-Freihandelsvertrag mit Kanada die Demokratie in Europa aushöhlt, unter anderem weil Investoren gegen „indirekte Enteignungen“ durch demokratisch zustandegekommene Gesetze klagen können.

Die Kläger wollen zunächst eine einstweilige Anordnung

Karlsruhe verhandelte unter Zeitdruck. Denn schon am nächsten Dienstag will der EU-Ministerrat Ceta zustimmen. Vor allem soll dort auch über eine vorläufige Anwendung von weiten Teilen des Abkommens abgestimmt werden. Der hoch umstrittene Investitionsschutz soll allerdings erst Jahre später in Kraft treten – wenn und falls alle 28 nationalen Parlamente das Abkommen ratifiziert haben. Die Kläger warnten, dass in dieser Zeit aber schon der gemeinsame Ceta-Ausschuss seine Arbeit aufnehme. Dieser könne den Ceta-Vertrag verbindlich auslegen und sogar ändern. Die Kläger beantragten deshalb eine einstweilige Anordnung des Verfassungsgerichts. Mit ihr sollte der Bundesregierung die Zustimmung zur vorläufigen Anwendung von Ceta verboten werden.

Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, betonte zu Beginn der Verhandlung, dass in diesem Eilverfahren die Verfassungsrügen nicht inhaltlich entschieden werden könnten. Es gehe im Kern nur um eine „Folgenabwägung“: Ist es schlimmer, wenn Ceta vorläufig angewandt wird, obwohl es die deutsche Verfassungsidentät verletzt? Oder sind die Folgen gravierender, wenn Ceta nicht sofort angewandt wird, obwohl die Klagen letztlich erfolglos bleiben?

Gabriel warnt vor „gigantischem politischen Schaden“

Die Vertreter der Kläger sprachen dann vor allem recht abstrakt über die Gefahren, die vom „Regime des Freihandels“ ausgehen, so die Formulierung des Bielefelder Rechtsprofessors Andreas Fisahn. Die Kläger schilderten aber nicht, was konkret und realistisch droht, wenn Ceta vorläufig in Kraft tritt.

Wirtschaftminister Sigmar Gabriel konnte dagegen mit einem düsteren Szenario punkten. „Wenn die EU die vorläufige Anwendung von Ceta ablehnt, dann ist das Abkommen erstmal erledigt“. Das hätten ihm kanadische Gesprächspartner erklärt. Kanada würde es nicht akzeptieren, wenn es schlechter behandelt werde als andere Vertragspartner der EU, wie etwa Korea und Vietnam. Das Scheitern von Ceta wäre laut Gabriel ein „gigantischer politischer Schaden“ – für die EU und die exportorientierte deutsche Wirtschaft. „Wenn die EU nicht einmal mit Kanada ein Handelsabkommen schließen kann, mit wem denn dann?“ Niemand sei den Europäern ähnlicher als Kanada. Es gehe um die Handlungsfähigkeit Europas im Kampf um „demokratie-konforme Märkte“ – sonst würden letztlich die USA und Asien „markt-konforme Demokratien“ schaffen und die EU müsse sich anpassen.

Die Ceta-Kritiker halten Gabriels Szenario für übertrieben, konnten es aber auch nicht widerlegen. Und erfahrungsgemäß billigt Karlsruhe der Bundesregierung in außenpolitischen Fragen einen großen Einschätzungsspielraum zu.

Vermutlich gibt Karlsruhe erst einmal grünes Licht

Auch als es um den gemischten Ceta-Ausschuss ging, konnte die Bundesregierung die Richter eher überzeugen, indem sie auf die Praxis anderer Handelsverträge verwies. „Vor solchen Ausschüssen muss man keine Angst haben“, sagte der Bielefelder Rechtsprofessor Franz Mayer, der das Wirtschaftsministerium vertrat. „Dort geht es nicht um die Aushebelung der Demokratie, sondern etwa um den Jodgehalt von Seetang“.

Am Donnerstag um zehn Uhr will das Gericht sein Urteil verkünden. Vermutlich wird Karlsruhe der Bundesregierung grünes Licht geben, zugleich aber Sicherheiten verlangen, dass Deutschland die vorläufige Anwendung von Ceta noch beenden kann – falls das Bundesverfassungsgericht später im Hauptsache-Verfahren Ceta doch beanstanden sollte.