Jede zehnte Schulstunde in Baden-Württemberg findet nicht wie geplant statt. Foto: dpa

Die Eltern im Land streiten mit der Kultusministerin Susanne Eisenmann über Unterrichtsausfall. Eine Klage scheint seit Freitag wahrscheinlich – und neue Zahlen dürften den Streit weiter anheizen.

Stuttgart - Möglicherweise fällt in Baden-Württemberg seit Jahren mehr Unterricht aus als bisher bekannt. Der Grund: Das Kultusministerium ermittelt seine amtlichen Daten bisher in einer jährlichen Stichprobe Ende November. Eine Umfrage unserer Zeitung an den weiterführenden Stuttgarter Schulen zeigt jedoch, dass der Anteil der ersatzlos ausgefallenen Stunden etwa im Januar ein Drittel höher liegt als im November. Auch im April fallen weitaus mehr Stunden aus als im November. Der Verdacht liegt also nahe, dass die offiziellen Zahlen aufgrund des günstigen Erhebungszeitpunkts den tatsächlichen Ausfall beschönigen.

Darauf weist auch eine Vollerhebung hin, die Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) selber erstmals Mitte Juni 2018 durchführen ließ. Sie ergab deutlich höhere Werte beim Unterrichtsausfall als die letzte Stichprobe vom November 2017 – nämlich 4,1 statt 3,6 Prozent für alle Schulen und bei Gymnasien 6,6 statt 5,4 Prozent. Rechnet man Aufsichts- und Vertretungsstunden hinzu, dann findet jede zehnte Schulstunde in Baden-Württemberg nicht wie geplant statt.

Gymnasien verweigern sich einer Studie

Auf ähnliche Zahlen kommt auch die Untersuchung der Stuttgarter Zeitung. 31 von 129 weiterführenden Schulen in Stuttgart haben sich daran beteiligt und Daten für jeweils eine Woche im November 2017 sowie Januar und April 2018 zur Verfügung gestellt. Allerdings verweigerten die Gymnasien, die den höchsten Unterrichtsausfall aller Schularten haben, eine Teilnahme. Dennoch betrug der Anteil des nicht regulär gehaltenen Unterrichts – also Ausfall oder Vertretung – im Durchschnitt neun Prozent.

Auch die Vertretung der Eltern an Gymnasien im Regierungsbezirk Stuttgart (Arge) bezweifelte, dass durch die Zahlen des Kultusministeriums das volle Ausmaß des Problems dokumentiert ist. Deshalb haben die Elternvertreter am Freitag angekündigt, gegen das Land vor Gericht zieht. Der Arge-Sprecher Michael Mattig-Gerlach erklärte, bei ihm habe sich ein Oberstufenschüler gemeldet, nach dessen Angaben im vergangenen Schuljahr 16 Prozent seiner Schulstunden nicht wie geplant gehalten wurden, „auch in Kernfächern“. Michael Mattig-Gerlach, sprach von einer „verheerenden Situation“ an den Schulen, weil es zu wenig Lehrerstellen gebe. Die Arge argumentiert auch, Gymnasiasten aus Baden-Württemberg seien wegen des Unterrichtsausfalls gegenüber Schülern aus anderen Ländern benachteiligt. Dies dokumentierten Bildungsrankings, in denen der Südwesten seine Spitzenposition eingebüßt hat.

Reizthema Datenlage

Die Arge beklagt, Ministerin Eisenmann scheue den Dialog. Derzeit prüfe ein Anwalt die Sachlage. Bei positivem Ergebnis strebe man eine Klage vor dem Verwaltungsgericht an und wolle die Elternvertreter im ganzen Land einbinden. Die Arge will mit der Klage Druck auf die Landesregierung ausüben. Sie fordert die Rückkehr zum neunjährigen Abitur, die Beschäftigung von Studenten und Quereinsteigern sowie eine 110-prozentige Unterrichtsversorgung, also mehr Lehrerstellen.

Die Kultusministerin weist die Forderungen der Eltern zurück. Sie setze auf ihr vergangenes Jahr vorgestelltes Maßnahmenpaket, das unter anderem die Beschäftigung von Pensionären oder eine Erhöhung der Arbeitszeit von Teilzeitkräften vorsieht, erklärte Eisenmann. Eine 110-prozentige Unterrichtsversorgung sei wegen Bewerbermangels unrealistisch. Unmittelbar wirksam würden größere Klassen oder Mehrarbeit, was aber politisch nicht gewollt sei. Diese Aussage werten die Elternvertreter als Drohung, auf die sie mit der Klage reagierten.