Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zufolge sind in den vergangenen 15 Jahren bundesweit 478 Frauen bekannt, die mit einer lebensgefährlichen Embolie ins Krankenhaus eingeliefert wurden – mutmaßlich ausgelöst durch die Wirkstoffe in den neuen Antibabypillen. Darunter 16 Verdachtsfälle mit Todesfolge. Foto: Fotolia/© arborpulchra

Eine junge Frau verklagt den Pharmakonzern Bayer, weil er eine Antibabypille vertreibt, wegen der sie fast gestorben wäre. Doch wie hoch sind die gesundheitlichen Risiken der neuen Generation von Verhütungsmitteln? Darüber streiten auch Experten.

Waldshut-Tiengen - Es klingt ein bisschen zu schön, um wahr zu sein: Da schluckt eine junge Frau eine Antibabypille, die sie nicht nur vor ungewollten Schwangerschaften schützt, sondern auch noch so dosiert ist, dass sie die Haare glänzen, Pickelchen verschwinden und sie nicht zunehmen lässt.

Der Schutz vor Schwangerschaften allein reicht offenbar nicht mehr aus: Um auf dem Markt zu bestehen, braucht es mehr Wirkung. Das gelingt offenbar am besten über die Mädchenängste, die da lauten: Pickel und zu viele Kilos. Schon im Oktober klagte die Techniker-Krankenkasse, dass sich Teenager viel zu häufig für die neueren Antibabypillen entscheiden – eben aufgrund der sogenannten Beauty-Effekte, die die Präparate mit sich bringen sollen.

Ob die Antibabypille Gewicht reduziert oder Akne verbessert, ist umstritten

Dabei sind diese bei näherer Betrachtung eher gering: Laut der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) sowie dem Berufsverband der Frauenärzte erhöht keine Antibabypille den Energieverbrauch des Körpers: „Der Wirkstoff Drospirenon, der in vielen modernen Pillenpräparaten enthalten ist, führt zu einer geringfügig verstärkten Wasserausscheidung.“ Das kann zu leichtem Gewichtsverlust führen. Umstritten ist auch die Studienlage, wenn es um die Verbesserung des Hautbildes bei Patientinnen geht, die an hormonell bedingter Akne leiden.

Dagegen sind andere Wirkungen umso gefährlicher, die die neue Generation von Antibabypillen mit sich bringt: So stehen die Präparate mit dem Wirkstoff Drospirenon im Verdacht, das Risiko für gefährliche Blutgerinnsel, medizinisch Thrombosen genannt, zu erhöhen – und zwar bei neun bis zwölf Anwenderinnen pro 10 000 Frauen. Dem gegenüber stehen fünf bis sieben Patientinnen pro 10 000 Frauen, die Antibabypillen der älteren Generation nehmen. Diese Thrombosen können sich in den Venen bilden und bis zur Lunge wandern, wo sie die Lungenarterie blockieren – eines der Gefäße, über die das sauerstoffarme Blut vom Herzen in die Lunge gelangt. Wird das Gefäß verstopft, kann das tödlich enden.

Streit um Antibabypille erstmals vor deutschem Gericht

Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zufolge sind in den vergangenen 15 Jahren bundesweit 478 Frauen bekannt, die mit einer lebensgefährlichen Embolie ins Krankenhaus eingeliefert wurden – mutmaßlich ausgelöst durch die Wirkstoffe in den neuen Antibabypillen. Darunter 16 Verdachtsfälle mit Todesfolge.

Eine der überlebenden Betroffenen zieht nun vor Gericht: Die 31 Jahre alte Felicitas Rohrer aus Willstätt in Baden-Württemberg will rund 20 000 Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld von Bayer. Noch wichtiger ist ihr aber, dass Bayer das Präparat vom Markt nimmt. Nach der Einnahme habe sie 2009 eine Lungenembolie erlitten und sei daran fast gestorben. An diesem Donnerstag ist der erste Prozesstag im Landgericht Waldshut-Tiengen nahe der schweizerischen Grenze. Ob sie Erfolg hat, wird sich zeigen. Der Pharmakonzern hat vorab verkündet, dass er die Ansprüche für unbegründet hält.

Appell an Frauenärzte: Klärt die Patientinnen besser auf!

Es ist nicht die erste Klage, der sich der Bayer-Konzern aufgrund der von ihm vertriebenen Antibabypillen mit dem Wirkstoff Drospirenon stellen muss. Auch in den USA wollten geschädigte Frauen klagen, was der Konzern mit der Zahlung von Entschädigungen in einer Gesamthöhe von umgerechnet 1,7 Milliarden Euro zu verhindern wusste. In anderen europäischen Ländern wie Frankreich werden die Pillen mit dem Wirkstoff Drospirenon von der Krankenkasse nicht mehr bezahlt. In Großbritannien, den Beneluxländern, Dänemark und Norwegen warnen die Gesundheitsbehörden vor diesen Präparaten. In Deutschland rät das BfArM Gynäkologen, zunächst die Pille mit dem niedrigeren Risiko zu verschreiben und gut über Thrombose aufzuklären.

„Es ist wichtig, dass die Pille wieder als das dargestellt wird, was sie ist: nämlich ein Medikament, das zur Verhütung eingesetzt wird“, sagt auch die leitende Oberärztin Melanie Henes von der Hormon- und Kinderwunschsprechstunde der Frauenklinik des Universitätsklinikums Tübingen. Und dementsprechend verantwortungsvoll sollte auch der ärztliche Umgang damit sein: „Es gilt, Frauen über die Risiken und Nebenwirkungen aufzuklären und gleichzeitig herauszufinden, ob und welche Pille das richtige Verhütungsmittel ist.“

Auch der Lebensstil trägt zum Thromboserisiko bei

Mehr Aufklärung ist schon deshalb wichtig, weil viele Frauen, ohne es zu wissen, einen genetischen Risikofaktor in sich tragen. Die Mutation steigert die Gerinnungsneigung des Blutes, und das wiederum treibt das Thrombose-Risiko in die Höhe. In Europa sind rund zehn Prozent der Frauen von einer solchen Mutation betroffen. Dennoch fordert die DGGG keinen allgemeinverbindlichen Bluttest, da die meisten Frauen mit einem erhöhten Thrombose-Risiko nie eine Thrombose erlitten.

Weitaus häufiger tragen Frauen mit ihrer Lebensweise zu ihrem individuellen Thrombose-Risiko einiges bei: Raucherinnen, Übergewichtige und Frauen, die älter als 35 Jahre sind, haben ein generell höheres Risiko für eine Thrombose, das bei einer Einnahme der Antibabypille verstärkt werden kann. „Solche Dinge gilt es abzuklären“, sagt Henes. Und im Zweifel kann der Arzt die Verschreibung ablehnen. „Denn auch dieses Recht gibt es.“