Wenn das Personal knapp ist, werden Eltern oft aufgefordert, ihre Kinder früher abzuholen. Foto: dpa/Monika Skolimowska

Immer wieder kommt es vor, dass Kinder in Kitas vorübergehend von weniger Personal betreut werden, als eigentlich erforderlich. Welche Konsequenzen hat das?

Die Zahlen machen die Dimension des Fachkräftemangels deutlich: Gut die Hälfte (50,3 Prozent) der Kitaleitungen gab bei einer Umfrage an, dass in ihrer Einrichtung in den zurückliegenden zwölf Monaten in mehr als einem Fünftel der Betreuungszeit in Personalunterdeckung gearbeitet worden sei, also mit weniger Personal, als es die Vorgaben, etwa zur Gewährleistung der Aufsichtspflicht verlangen. 13,2 Prozent der Kitaleitungen gaben an, in mehr als 60 Prozent der Zeit in aufsichtspflichtrelevanter Personalunterdeckung gearbeitet zu haben. Das ist eines der Ergebnisse der diesjährigen bundesweiten DKLK-Studie. Die Abkürzung steht für Deutscher Kitaleitungskongress, dahinter steht der Verband Bildung und Erziehung.

In der Umfrage stimmten 95,9 Prozent der Kitaleitungen der Aussage zu, dass die hohe Arbeitsbelastung zu mehr Fehlzeiten und Krankschreibungen führe. 84,8 Prozent gaben an, dass sich der Personalmangel in den vergangenen zwölf Monaten verschärft habe und es noch schwieriger geworden sei, offene Stellen passend zu besetzen. Gut drei von vier Befragten (77,5 Prozent) räumten ein, dass der Träger heute Personal einstelle, welches vor Jahren wegen unzureichender Qualifikation nicht eingestellt worden wäre.

Landesjugendamt registriert Verletzung der Aufsichtspflicht in 74 Fällen

Kita-Träger sind gesetzlich dazu verpflichtet, Ereignisse zu melden, durch die das Wohl eines Kindes gefährdet werden könnte. Die zuständige Behörde ist der Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS). Auf Nachfrage unserer Zeitung erklärt dieser, dass für das Jahr 2022 insgesamt 674 Meldungen registriert worden seien. In 74 Fällen sei es konkret um die Verletzung der Aufsichtspflicht gegangen.

Dennis Birnstock von der FDP/DVP-Fraktion im baden-württembergischen Landtag hat das Thema in einem Antrag aufgegriffen. „Die bisherigen Anstrengungen der Landesregierung scheinen demnach unzureichend, um die pädagogischen Fachkräfte substanziell zu entlasten und die Qualität in der frühkindlichen Bildung zu sichern“, schreibt er in seiner Begründung. Er will von der Landesregierung wissen, „wie sie auf das häufige Vorkommen einer aufsichtpflichtrelevanten Personalunterdeckung zu reagieren gedenkt“. Dabei geht es dem Abgeordneten insbesondere um mögliche Schadensfälle und haftungsrechtliche Konsequenzen für das pädagogische Fachpersonal.

Kinder sind während dem Kita-besuch unfallversichert

Die Landesregierung erklärt, dass Kinder während des Kita-Besuchs durch die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert seien. Wenn es zu einem Schadensereignis komme, können das verletzte Kind beziehungsweise dessen Eltern Ansprüche ausschließlich gegenüber dem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, also der Unfallkasse Baden-Württemberg, geltend machen. Durch das sogenannten Haftungsprivileg seien Ansprüche von Kindern gegen aufsichtsführende Beschäftigte ausgeschlossen. Allerdings kommen bei vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzungen Regressansprüche des Träger der gesetzlichen Unfallversicherung gegen die aufsichtsführenden Beschäftigten in Betracht.

Für Birnstock ist diese Antwort ein Skandal. Die DKLK-Studie offenbare zum Teil erschreckende Zustände in den baden-württembergischen Kitas, sagt er. In vielen Einrichtungen könne nicht nur keine verlässliche Betreuung und angemessene Förderung mehr gewährleistet werden, viel mehr sei selbst die gesetzliche Aufsichtspflicht nicht mehr sichergestellt. Die Landesregierung verweise jedoch nur lapidar darauf, dass die Kinder während des Kita-Besuchs gesetzlich unfallversichert seien und übe sich so „lieber in Zynismus und Nichtstun, als an konkreten Maßnahmen zur Behebung dieser eklatanten Missstände“.

Der Landtagsabgeordnete fordert, das Thema Kita-Qualität nicht länger zu vernachlässigen. „Um die Kita-Leitungen und pädagogischen Fachkräfte zu entlasten und den Personalausfall zu reduzieren, braucht es eine langfristig gesicherte Erhöhung der Leitungszeit, mehr multi-professionelle Teams und den vermehrten Einsatz von Verwaltungs- sowie Hauswirtschaftskräften“, zählt er mögliche Instrumente auf.

Mehr Meldungen beim Landesjugendamt

Beratung
Wird dem KVJS eine aufsichtspflichtrelevante Personalunterschreitung gemeldet, so berät dieser den Kita-Träger zunächst und schlägt mögliche Gegenmaßnahmen vor. Dies kann zum Beispiel eine Reduzierung der Öffnungszeiten sein. Die Zahl der Beratungen wird nicht erfasst. Ebenso wenig wird erfasst, wie häufig Träger auch ohne die Beratung durch den KVJS Gegenmaßnahmen einleiten. Denn die Meldepflicht greift erst, wenn der Träger selbst keine Maßnahmen zur Kompensation ergreift.

Meldungen
Der KVJS hat in den vergangenen Jahren einen Anstieg an Meldungen registriert, erklärt das Landesjugendamt auf Nachfrage unserer Zeitung. Die Gründe seien vielschichtig. So sei zum Beispiel verstärkt auf die Meldepflichten der Träger hingewiesen worden. In der Öffentlichkeit und der Politik habe der Kinderschutz erfreulicher Weise an Bedeutung gewonnen. Zudem sei die Zahl der Kitas insgesamt gestiegen. Nichts zuletzt habe sich aber auch der bereits seit Jahren zu verzeichnende Fachkräftemangel weiter verschärft.