Der Bedarf an Kita-Plätzen kann nicht gedeckt werden, Eltern wollen ihr Geld zurück. Foto: dpa

Wer einen teureren, privaten Kita-Platz bucht, soll nicht automatisch den vollen Differenzbetrag erstattet bekommen: Die Stadtverwaltung in Stuttgart kündigt für die Zukunft eine Einkommensprüfung an.

Stuttgart - Kann die Stadt den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz nicht erfüllen, dürfen Eltern eine private Kita buchen und die Mehrkosten in Rechnung stellen. Allerdings soll die Kostenerstattung Grenzen haben: „Die Benutzungsentgelte werden ganz oder teilweise von der Jugendhilfe übernommen, wenn sie den Eltern nicht zuzumuten sind“, teilt die Bürgermeisterin für Jugend und Bildung, Isabel Fezer (FDP) mit. Dabei orientiere man sich an den Bestimmungen von Paragraf 90 des Sozialgesetzbuches VIII. Die Zumutbarkeit werde „über eine individuelle vergleichende Berechnung ermittelt“.

 

„Wir folgen mit diesem Vorgehen dem Urteil des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Juli 2016“, sagt Isabel Fezer (AZ M 12 BV 15.719). Für die Umsetzung müsse in der Verwaltung Kapazität geschaffen werden. „Wir können noch nicht überblicken, welcher Aufwand nötig ist, und ob er sich lohnt, ist auch noch nicht klar.“

Elternbeirat lehnt Einkommensprüfung ab

Diese Neuregelung soll jene elf Klagen nicht berühren, die schon beim Verwaltungsgericht Stuttgart eingereicht worden sind. Außerdem will die Stadt auch 72 Familien den vollen Differenzbetrag erstatten, die keine Klage eingereicht haben und das Verfahren bis zu der vor einer Woche bekannt gewordenen Entscheidung des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts ruhen ließen. Nach bald dreijährigem Rechtsstreit zwischen der Landeshauptstadt und Eltern hatte Bürgermeisterin Fezer angekündigt, diese Familien „kurzfristig und unbürokratsich“ zu entschädigen sowie kurzfristig über die weitere Vorgehensweise zu informieren“. Isabel Fezer rechnet mit Kosten von rund 400 000 Euro.

Der Gesamtelternbeirat der städtischen Kindertagesstätten begrüßt die schnelle und vollständige Rückzahlung der Mehrkosten an die klagenden Eltern, „das haben wir so erwartet“, sagt Sprecherin Gabriele Walz. Die Regelung für Neufälle „lehnen wir allerdings ab“. Eltern, die keine Familiencard besäßen, würden jetzt schon einen höheren Preis für die Kita bezahlen. Dazu gehörten oftmals jene Familien, wo beide Eltern berufstätig seien. „Die sollen dann noch mal draufzahlen, wenn sie keinen Platz bekommen, obwohl die Erfüllung ihres Rechtsanspruchs eindeutig in der Verantwortung der Stadt liegt? Das ist wie eine Strafgebühr“, begründet sie die Haltung des Gremiums.

Grüne wollen weitere Klagen vermeiden

Die schnelle unbürokratische Rückzahlung der Mehrkosten „ist genau die Reaktion, die wir erwartet hatten“, sagt Vittorio Lazaridis von der Grünen-Fraktion im Gemeinderat, „denn es gibt eine glasklare Rechtslage, die man akzeptieren muss. Was ich auf keinen Fall will, sind weitere Klagen.“ Was den künftigen Umgang mit Eltern angeht, die auf Platzsuche sind, hat Lazaridis eine klare Haltung: „Der limitierende Faktor sind fehlende Plätze, dafür darf man Eltern nicht zahlen lassen.“ Stadtrat Christian Walter (SÖS/Linke-plus) ist in dieser Hinsicht mit ihm einig, allerdings aus einem weiteren Grund: „Die Stadt sollte Eltern mit Klageandrohung nicht bevorzugen.“

In der vorliegenden komplexen Fragestellung sieht Walter nun die Fachverwaltung am Zug, und auch Iris Ripsam (CDU) mahnt klare Lösungen für die Zukunft an. „Wir warten darauf, von der Verwaltung informiert zu werden, und wir sollten uns überparteilich verständigen, wie wir künftig vorgehen.“ Judith Vowinkel (SPD) rät zur „individuellen Behandlung jedes einzelnen Falls“. Sie hält gütliche Einigungen zwischen Stadt und Eltern für möglich, „dazu muss die Verwaltung ihnen allerdings Angebote machen“. Rose von Stein (Freie Wähler) ist wütend: „Die Rechnung über 400 000 Euro sollten wir nach Berlin schicken, dorthin, wo das Gesetz herkommt.“

Politik und Träger wollen System unter die Lupe nehmen

Fraktionsübergreifend und trägerübergreifend kursiert nun die Forderung nach einer Strukturdebatte: Der Ausbau der Teilzeitplätze und die Verbesserung und sachkundige Pflege der digitalen städtischen Anmeldeplattform Kits gehören dazu, außerdem sollen mehr Erzieherinnen in praxisorientierter Ausbildung eingesetzt und nicht auf den Stellenschlüssel angerechnet werden. Eine bessere Bezahlung des Personals korrespondiert in den Debatten mit der Forderung nach Hilfspersonal.

Die Träger verweisen darauf, dass ihr Eigenanteil durch Tariferhöhungen ständig steige und die Grenze von zehn Prozent bereits gerissen habe. „Da ist es besonders ärgerlich, wenn kommunale Mittel stattdessen für Gerichte und Rückzahlungen ausgegeben werden“, sagt Armin Biermann, Bereichsleiter für Jugend und Familienhilfe bei der Caritas. Jörg Schulze-Gronemeyer, Abteilungsleiter der Evangelischen Kirchenpflege, vermutet, dass das Gerichtsurteil die Rückerstattungswünsche von Eltern steigert. Immerhin habe die Debatte begonnen: „Wir sprechen zurzeit darüber, wie Kindern Plätze bei freien Trägern zugewiesen werden können“, sagt Jörg Schulze-Gronemeyer.