Kirchengemeinderat Martin Knecht demontiert das Hakenkreuz an der Kirchturmspitze. Danach zerschneidet er es mit einer Blechschere. Foto: Stefanie Schlecht

Bei der Kirchturmsanierung der Nikomedeskirche wurde an der Kirchturmspitze ein Hakenkreuz entdeckt. Pfarrer Andreas Roß, Architekt Achim Schäfer und Kirchengemeinderat Martin Knecht haben das Nazi-Symbol nun demontiert.

Hildrizhausen - Zunächst war der Schock groß, als ein Flaschner, der bei der Sanierung des Hausemer Kirchturms mitarbeitet, das kleine Hakenkreuz an der obersten Spitze des Turmes entdeckte. Es verwundert kaum, dass das Nazi-Symbol über Jahrzehnte unentdeckt blieb: Unterhalb des Turmhahns versteckte sich das zehn Zentimeter lange Hakenkreuz in rund 43 Meter Höhe. Nach einigen Monaten der Diskussion kamen der Pfarrer und der Kirchengemeinderat zum Schluss: Das Hakenkreuz muss weg. Aber nicht klammheimlich, sondern in einer öffentlichkeitswirksamen Aktion. Am Freitag war es soweit.

 

Andreas Roß vermutet, dass das Hakenkreuz wohl bei Renovierungsarbeiten im Jahre 1938 angebracht worden war. In einer waghalsigen Aktion ohne Gerüst wurde damals das Turmkreuz, das vom Dach gefallen war, wieder auf die Turmspitze montiert – und dabei vermutlich auch das Hakenkreuz. Danach versanden jedoch sämtliche historische Hinweise: In den Dokumenten, die Pfarrer Roß vorliegen, lassen sich keinerlei Schlüsse daraus ziehen, wer das Symbol angebracht hat oder ob seither jemand von seiner Existenz wusste. Wohl war Pfarrer Roß selbst vor einigen Jahren auf ein Foto des Hakenkreuzes im Pfarrarchiv gestoßen. Doch ohne Datum und Beschriftung oder gar die Möglichkeit seine Existenz zu überprüfen, vergaß er den Fund wieder. Bis das Gerüst für die Kirchturmsanierung aufgestellt wurde.

Pfarrer Höltzel verweigert Nazi-Eid im Jahr 1937

Der Hausemer Protestant ist sich allerdings sicher: Die beiden Pfarrer Friedrich Höltzel und Paul Wolf, die während des Nationalsozialismus in Hildrizhausen tätig waren, hätten ein Hakenkreuz an der Kirche niemals geduldet. Beide waren den Recherchen des Pfarrers zufolge ausgesprochene Gegner des Regimes. Aus einer Chronik, die Pfarrer Wolf erstellte, geht hervor, dass Pfarrer Höltzel offen sein Missfallen gegenüber dem Nationalsozialismus deklarierte und sogar im Juni 1937 den bedingungslosen Eid verweigerte, nur noch biblische Texte zu behandeln, die mit der nationalsozialistischen Ideologie übereinstimmten.

SA-Männer schlagen bei Pfarrer Höltzel auf

Den Fund des Hakenkreuzes nahm Andreas Roß zum Anlass, die Geschichte seines Vorgängers auch im Gemeindebrief aufzuarbeiten. Dort berichtet er, wie der Kirchengemeinderat Pfarrer Höltzel in seiner ablehnenden Haltung gegenüber den Nazis unterstützte. Als ihm nach weiteren Protesten gegen das Regime schließlich das Gehalt entzogen wurde, sprangen nach den Recherchen von Andreas Roß viele Hausemer ein und brachten dem Pfarrer Lebensmittel. Doch nach der Reichtagswahl 1938 wendete sich das Blatt: Als herauskam, dass er gegen die Nationalsozialisten seine Stimme erhoben hatte, schlugen SA-Männer vor seinem Haus auf. Zwar zogen sie unverrichteter Dinge wieder ab – doch Höltzel verließ Hildrizhausen und nahm eine Stelle als Stadtpfarrer in Bad Liebenzell an.

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Ein halbes Jahr beriet der Kirchengemeinderat gemeinsam mit Pfarrer Roß, was getan werden sollte. Sollte das Hakenkreuz entfernt und vernichtet werden oder sollte es an Ort und Stelle gelassen werden und eingeordnet, thematisiert und kommentiert werden? Als jedoch Stimmen im Ort laut wurden, dass es doch „eine gute Sache sei, dass das Hakenkreuz dort hängt“, war für Pfarrer Roß und die anderen Entscheidungsträger klar, dass das Nazi-Symbol weg muss. Denjenigen, die mit der nationalsozialistischen Ideologie sympathisieren, soll so ein Strich durch die Rechnung gemacht werden. „Das letzte, was ich will, sind Neo-Nazi-Aufmärsche vor der Kirche“, sagt er.

Oben auf dem zugigen Kirchturm findet der Pfarrer klare Worte: „Ein solches Symbol der Grausamkeit hat nichts mit der Kirche und den Menschen, die in ihr zusammenkommen, zu tun.“ Dann schraubt Kirchengemeinderat Martin Knecht das Hakenkreuz ab und zerschneidet es mit einer Blechschere.

Die Kirchen im Nationalsozialismus

Deutsche Christen
 Die evangelische Kirche war im „Dritten Reich“ gespalten, es gab einen Kirchenkampf. Die Deutschen Christen huldigten dem Führer Adolf Hitler, sie waren streng antisemitisch und rassistisch ausgerichtet und malten kräftig am Bild vom Judenfeind mit.

Bekennende Kirche
 Protestanten der Bekennenden Kirche widersetzten sich dem Versuch, die Kirche durch den Nationalsozialismus gleichschalten zu lassen. Sie wurde von den Nationalsozialisten als staatsfeindlich klassifiziert, da in ihr auch abweichende oder gegenläufige Meinungen zum totalitären, nationalsozialistischen Weltbild zulässig waren.  

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 Auch das Verhältnis der katholischen Kirche zum NS-Staat war zwiespältig, selbst wenn es hier, anders als bei den Protestanten der Deutschen Christen, selten zu einer offenen Anhängerschaft Hitlers kam. Die katholische Kirche changierte zwischen Arrangement, politischer Entsagung und aktivem Widerstand.