Der Kirchheimer Gemeinderat hat sich in die Blitzer-Falle diskutiert. Foto: dpa

Der Gemeinderat ist bei der Beratung zum Haushalt aus der Kurve geflogen. Die Debatte über die Sinnhaftigkeit von Geschwindigkeitkontrollen gerät zu einem Höhenpunkt kommunaler Diskussionkultur.

Kirchheim - Eine Warnung vorweg: Dieser Beitrag ist zu lang geraten. Eine Entschuldigung vorweg: Die Diskussion im Kirchheimer Gemeinderat, die ihm zugrunde liegt, ist noch viel länger geraten.

Drei Stunden lang zuckelt die Haushaltsdebatte schon mit geschätzt Tempo 30 so vor sich hin, als sich auf gerader Strecke urplötzlich ein Schlagloch auftut. Aufgerüttelt von einem schon in der Vorberatung verworfenen Antrag der Frauenliste, greift der Stadtrat Ralf Gerber (Freie Wähler) der diskussionsleitenden Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker ohne Vorwarnung ins Lenkrad. Was folgt, ist eine kommunalpolitische Achterbahnfahrt, die auf den Zuschauerrängen heftige Schwindelgefühle ausgelöst.

Die Sonntagszeitung ist schuld

Im Nachtrag zur eigentlich schon beantworteten Frage, wie der Autofahrer in der Stuttgarter Straße möglichst effektiv ausgebremst werden sollte, hat es Gerber dazu gedrängt, das Ergebnis seiner Sonntagslektüre zum Besten zu geben. Nicht der kalte Strahl der Blitzer, sondern der sanfte Hinweis via elektronischem Display sei der Verkehrsberuhigung letzter Schluss, habe er da gelesen. Weshalb also wolle die Stadt viel Geld für ein Radargerät ausgeben, wenn es zum halben Preis vier Tafeln mit aufleuchtendem Grinsgesicht gebe?

Der Einwurf bringt die Ratsrunde im Handumdrehen von 0 auf 100. Reihum, über alle Fraktionsgrenzen hinweg, steuern die Kommunalpolitiker ihre persönlichen Erfahrungen mit Smileys und Radarfallen bei. Bei 34 Mitgliedern im Rat ein zeitraubendes Unterfangen.

Gerber, der Tempomacher, macht es sich zwischenzeitlich auf dem Rücksitz bequem. Vergeblich versucht der Ortsvorsteher von Ötlingen, Hermann Kik, der schlingernden Ratsrunde ein Navi an die Hand zu geben. 20 Prozent der Autofahrer würden viel zu schnell durch die Hauptstraße rauschen, rechnet er vor. Die Quote liege deutlich über den acht Prozent, die als Grenzwert für den Einbau eines stationären Geräts gelte.

„Die Erziehung funktioniert nur über den Geldbeutel“, so Kik. Geldbeutel ist das Stichwort für die Oberbürgermeisterin. „Das Gerät kostet in der Anschaffung einmalig 120 000 Euro. Im Gegenzug kalkulieren wir mit jährlichen Einnahmen in Höhe von rund 70 000 Euro“, sagt sie. „Glaub’ ich nicht“, tönt es ihr aus der Freien-Wähler-Ecke entgegen.

Oberbürgermeisterin ratlos: „Worüber sollen wir jetzt eigentlich abstimmen?“

Als Gerber die Versammlung noch auf einen kleinen Ausflug zu den Flughafen-Blitzern an der Autobahn mitnimmt – Originalton: „Bringt gar nichts, davor wird gebremst, dahinter Gas gegeben“ – , will sein CDU-Kollege Thomas Auerbach endgültig aussteigen. „Ich weiß gerade gar nicht, wo wir unterwegs sind. Es gibt doch einen einstimmigen Beschluss“, wirft er ein. Man werde ja wohl mal diskutieren dürfen, entgegnet Silvia Oberhauser (Frauenliste). Allerdings sieht sie aber auch keinen Grund, den Antrag ihrer Fraktion noch einmal abstimmen zu lassen. „Ja, über was sollen wir denn jetzt überhaupt abstimmen“, wendet sich die Oberbürgermeisterin ratlos an den Rat. Er habe auch keinen Antrag gestellt, wäscht Gerber die Hände in Unschuld.

Hätte in diesem Moment ein Blitzer ausgelöst, der Kirchheimer Gemeinderat hätte ziemlich blöd aus der Wäsche geschaut. Glück gehabt. Er hat in rund einer halben Stunde fruchtloser Diskussion einen gerade mal 800 Meter langen Straßenabschnitt abgeschritten – bei diesem Tempo löst kein Blitzer aus. Bleibt als Fazit: Der Gemeinderat hat sich keines Verkehrsverstoßes schuldig gemacht. Wohl aber an seinen Zuhörern.