Die Kirchentagsfahne weht schon über dem Schlossplatz Foto: dpa

Was wollen denn die vielen Regierungschefs und Minister auf dem Kirchentag in Stuttgart, fragen sich manche. „Podiumsgäste und Referenten werden nicht nach Parteibuch ausgewählt, sondern danach, was sie zu den Themen des Kirchentags beitragen können“, sagt Pressesprecher Stephan von Kolson.

Stuttgart - Für die Grünen im Südwesten ist der 35. Deutsche Evangelische Kirchentag ein großes Geschenk: Nach dem Eröffnungsgottesdienst am Mittwoch werden neben Bundespräsident Joachim Gauck und dem katholischen Bischof Gebhard Fürst Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn die Gäste aus nah und fern auf dem Schlossplatz begrüßen. Damit dürften die beiden Grünen-Politiker knapp zehn Monate vor der Landtagswahl auch Menschen erreichen, die eher anderen Parteien ihre Stimme geben.

Kretschmann und Kuhn machen allerdings nichts anderes als ihre Vorgänger. Beim letzten Kirchentag in der Landeshauptstadt 1999 oblag es dem damaligen Regierungschef Erwin Teufel und dem damaligen Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (beide CDU), die Kirchentagsbesucher willkommen zu heißen. Bei den über 2000 Veranstaltungen traten, wie auch diesmal wieder, eine stattliche Zahl von Landesministern auf.

Seinerzeit kamen sie alle aus der CDU, diesmal sind es Minister mit Grünen- oder SPD-Parteibuch: Arbeits- und Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) wird über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sprechen, Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) darüber diskutieren, was Forschung darf, Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) über Wege zum besseren Zusammenleben. Innenminister Reinhold Gall will mit Polizisten Abendmahl feiern, Ministerpräsident Kretschmann eine Bibelstelle interpretieren, Kirchengemeinden einen Preis für nachhaltiges Wirtschaften überreichen und bei einer Diskussion mit Juden, Muslimen und Atheisten über das Verhältnis von Kirche, Gesellschaft sprechen. Auf eine kritische Auseinandersetzung einstellen muss sich auch Kultusminister Andreas Stoch (SPD). Er spricht über den neuen Bildungsplan, der wegen des Themas sexuelle Vielfalt in Teilen der Kirche umstritten ist.

Die CDU ist vor allem mit Bundesprominenz vertreten: Kanzlerin Angela Merkel, Finanzminister Wolfgang Schäuble, Innenminister Thomas de Maizière und Gesundheitsminister Hermann Gröhe. Ex-Bildungsministerin Annette Schavan, jetzt Botschafterin im Vatikan, übergibt einen Literaturpreis. Baden-Württembergs CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf besucht privat den Eröffnungsgottesdienst. Eine Einladung an ihn oder an Landeschef Thomas Strobl, beim Programm mitzuwirken, hat es nach Auskunft der CDU-Landesgeschäftsstelle nicht gegeben.

„Podiumsgäste und Referenten werden nicht nach Parteibuch ausgewählt, sondern danach, was sie zu den Themen des Kirchentags beitragen können“, sagt Pressesprecher Stephan von Kolson. Themen und Gäste werden von der 50-köpfigen Projektleitung bestimmt und eingeladen – allerdings gebe es auch Absagen. Mitunter melden sich dort aber auch Politiker und andere, die gern das Forum Kirchentag nutzen würden.

Dass Politiker teilnehmen, gehört zum Selbstverständnis der Kirchentagsbewegung, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist und Christen mündig machen will. Neben religiösen und kirchlichen Themen stehen immer auch politische und gesellschaftliche Fragen auf der Tagesordnung – in den 50er Jahren etwa die Wiederbewaffnung, in den 80ern die Nachrüstung. Dauerthemen sind Unterdrückung und Ausbeutung in vielfältigen Formen. Dabei ernten die Politiker oft auch Pfiffe.

Dass der Kirchentag mit öffentlichen Geldern unterstützt wird, führt immer öfter zu Streit – so zahlt Stuttgart 2,5 Millionen Euro und erlässt 711 000 Euro Gebühren. Das Land gibt 5 Millionen Euro, der Bund 400 000. In Berlin, wo 2017 der nächste Kirchentag stattfindet, protestierten Gegner unter dem Motto „11. Gebot: Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!“. Im katholischen Münster lehnte jüngst eine Mehrheit im Gemeinderat ab, den nächsten Katholikentag 2018 mitzubezahlen.