Sie alle schätzen das Singen in der Gemeinschaft: Mitglieder des Kirchenchors Großbottwar bei der Probe in der Martinskirche. Foto: Ralf Poller//Avanti

Die Maßnahmen gegen die Coronapandemie haben Sängerinnen und Sänger lange Zeit eingeschränkt. In Großbottwar probt der Kirchenchor jetzt wieder regelmäßig.

Großbottwar - Und zwei Mal singen wir jetzt ‚Happy Birthday!’“ Willy Weidner steht im Schiff der Martinskirche in Großbottwar. Inmitten der Sängerinnen und Sänger des Kirchenchores der evangelischen Gemeinde, und alle haben sich im vorgeschriebenen Abstand zueinander aufgestellt. Sie reiben sich die Hände, simulieren das gründliche Händewaschen. Ein Chor nach Corona, der sich zum Auftakt seiner Probe aufwärmt. Wie beim Sport muss dabei letztlich der ganze Körper locker werden, nicht nur die Hände, auch die Arme werden bewegt, ebenso die Gesichtsmuskeln, Mund und Zunge…

„Es ist schön, dass wir nach all den Corona-Einschränkungen wieder als Chor proben können!“ sagt Weidner. Der 63-jährige Bauingenieur ist der Chorleiter, ein ruhiger, gelassener Mann, einer, der dirigieren und Akzente setzen kann. „Ich mache das seit 20 Jahren,“ erzählt Weidner. Wer ihm zusieht, wie er die 13 Sängerinnen und Sänger an diesem Abend in das Singen hineinführt, der spürt: Hier ist einer ganz bei der Sache.

Gründung im Jahr 1919

„Wir haben es gut hier in der Martinskirche,“ sagt Weidner. Tatsächlich singen die Chormitglieder in einem hohen Raum mit satten 3100 Kubikmetern Luft, das entspricht dem Volumen von rund 53 Tanklastwagen. Die Höhe des Gotteshauses mit den schönen honigfarbenen Säulen macht es möglich. Trotz reichlich Luft beachtet der Chor die Corona-Regeln weiterhin peinlich genau. Vor dem Beginn wurden die Seitentüren weit geöffnet, die kühle Frische des Abends strömte herein. Und nach 40 Minuten Proben steht eine zehnminütige Pause an. Bei der Platzierung der Sängerinnen und Sänger werden die 2,50 Meter Abstand untereinander exakt eingehalten.

Der Chor in Großbottwar blickt auf eine lange Tradition zurück. Gegründet wurde er 1919, feierte also 2019 sein hundertjähriges Jubiläum. Jetzt wird er mit der Zelter-Plakette ausgezeichnet. Sie ist eine Anerkennung für besondere künstlerische Leistungen von Orchestern und Chören bundesweit. Verliehen wird sie vom Bundespräsidenten. „Wir feiern das hier am Vierten Advent,“ sagt Weidner. „Aber wegen Corona können wir noch nicht sagen, wer und wie viele von uns dann vorne zum Singen stehen können.“

Singen mit Abstand als Herausforderung

In den Chören der Region sei die Stimmung wegen der langen Pausen eher trübe, meint Weidner. Er möchte dagegen Zeichen setzen, fröhliche Stimmen gegen das Stummbleiben. Schließlich gelte: „Wir waren ja nie wirklich weg.“ Auch unter eingeschränkten Bedingungen hat ein „Kernchor“ – fünf, sechs Sängerinnnen und Sänger – immer einmal wieder im Gottesdienst das Gotteslob angestimmt. Die Vorbereitung in der Zeit der schärfsten Kontaktsperren war schwierig. „Manches Mal mussten wir virtuell proben.“

Und die Situation ist immer noch speziell, beobachtet der Chorleiter. „Wir singen ja mit Abstand. Das heißt, der Nachbar oder die Nachbarin, die man sonst direkt hört, sind weg.“ Das ist Herausforderung und Chance zugleich, die Chormitglieder müssen sich mehr auf sich selbst konzentrieren.

Wie übersteht ein Chor die stumme Zeit, wie bleiben Stimme und Kehle geschmeidig? Michael Steinmetz, einer der beiden Bässe im Chor, räumt ein: „Beim ersten Mal hat man gemerkt, dass wir lange nichts richtig gemacht haben.“ Doch der Chorleiter sei zunächst gnädig gewesen. Dem 47-jährigen Buchhalter ist das Singen in der Gemeinschaft sehr wichtig. „Es hebt die Stimmung, im Gottesdienst zu singen.“ Er zitiert einen Reim: „Gott loben zieht nach oben, Danken schützt vor Wanken.“

Klang von großer Klarheit im hohen Kirchenraum

Waltraut Mergenthaler ist mit ihrer Tenorstimme nicht nur im Kirchenchor aktiv. Die 69-jährige Rentnerin singt auch mit im Gospelchor „Groovin‘ Foxes“ und in der Sing-mit-Musikgruppe der Gemeinde. Auch ihr bedeutet dieses Engagement sehr viel. „Das spürt man in schwierigen Lebenslagen. Als beispielsweise meine Eltern starben, da war es für mich ein gutes Gefühl, dass da Andere waren, die mit mir zusammen christliche Lieder gesungen haben.“

Und dann sitzen die Chormitglieder gut verteilt auf den Kirchenbänken und folgen den Anweisungen des Chorleiters, der an einem Klavier sitzt und Töne und Rhythmen vorgibt. Willy Weidner fordert seine Sängerinnen und Sänger, spornt sie an. „Ihr klingt grade ein bisschen langweilig,“ bemängelt er, „jetzt noch mal richtig!“

24 Mitglieder zählte der Chor vor Corona, danach noch 21; einige sind noch nicht wieder zu den Proben erschienen, halten sich aus unterschiedlichen Gründen zurück. Dennoch bildet der Großbottwarer Chor ein beeindruckendes Ensemble. Man hört, dass diese Bass-, Tenor, Alt- und Sopranstimmen intensiv geschult werden, man hört es, wenn deren vereinter Klang in großer Klarheit den hohen Kirchenraum erfüllt.

Intoniertes Gotteslob

„Gnädiger Gott, lass dein Angesicht leuchten,“ so lautet das erste Lied nach dem Aufwärmen, und dabei zeigen die Frauen und Männer bereits, was sie im A-cappella-Modus leisten. Weidner kommentiert, greift ein: „Das singen Susanne, Conny, Monika und Ulrike.“ Er spricht einzelne direkt an: „Renate, da kannst du ruhig höher gehen.“

Bei englischen Texten ist die Vorarbeit besonders wichtig. Deshalb wird bei „Bless the Lord“ der Text erst gemeinsam gesprochen. Weidner betont: „Aussprache und die Vokalfärbung müssen gleich sein.“ Er verbessert mit Nachdruck: „Das M bei name habe ich nicht gehört.“ Über eine Art Sprechgesang findet der Chor in den Rhythmus des Liedes hinein.

Und dann intonieren die Sängerinnen und Sänger „Wie ein Lachen, wie ein Vogelflug steigt ein Lied zum Himmel auf...“ Ein kurzer Gesang, der aber dieses Gefühl, emporgehoben zu werden, sinnlich erfahrbar macht, Schwingungen transportiert. Wer zuhört, der spürt, dass hier Frauen und Männer mehr von sich geben als nur Töne: Sie loben und danken Gott, und sie haben Freude daran.