Ulrich Gampert (l), evangelischer Pfarrer, und ein afghanischer Flüchtling sitzen vor Verhandlungsbeginn auf ihrem Platz im Gerichtssal des Amtsgericht Sonthofen. Seit Sommer 2018 genießt der Afghane bei ihm im Oberallgäu Kirchenasyl. Foto: dpa/Benjamin Liss

Das mit dem Kirchenasyl ist so eine Sache. Gesetze dazu gibt es nicht. Juristen sprechen vielmehr von einer christlich-humanitären Tradition, die toleriert werde. Einen Pfarrer bringt der Unterschlupf für einen Flüchtling nun vor Gericht.

Sonthofen - Ein freundlicher junger Mann, der gut Deutsch spricht, im Verein Fußball spielt, eine Verlobte hat und im Leben vorankommen will - warum sollte man so einen abschieben? Das dachte sich auch die evangelische Kirchengemeinde Immenstadt im Oberallgäu. Als der Afghane im Mai 2018 aus Angst vor Abschiebung vor der Tür stand, gewährte ihm Pfarrer Ulrich Gampert Kirchenasyl. Eine klare Sache für den 64-Jährigen - für die Behörden jedoch eine Straftat.

Wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt musste sich der Geistliche am Mittwoch vor dem Amtsgericht Sonthofen verantworten. Ein rechtlich komplizierter Fall - der für den Pfarrer und den ebenfalls angeklagten Flüchtling mit der Einstellung des Verfahrens endete, wegen geringer Schuld.

„Kirchenasyl ist eine Tradition“

„Das ist eigentlich ein juristisches Nirwana, in dem wir uns bewegen“, sagte Amtsrichterin Brigitte Gramatte-Dresse und verwies auf fehlende gesetzliche Regelungen. Eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Kirchenasyls gebe es dieses Mal nicht. „Kirchenasyl ist eine Tradition“, sagte die Juristin. Um die zu beurteilen, sei eine Güterabwägung notwendig, als Entscheidung im Einzelfall. Sie sei aber überzeugt, dass sich der Pfarrer und der Flüchtling beide strafbar gemacht hätten - wenngleich ihre Schuld sehr gering sei. Gampert muss deshalb 3000 Euro Geldbuße zahlen. Sein Schützling wurde zu 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit verpflichtet.

Der junge Mann war im Sommer 2015 nach Deutschland gekommen. Die Behörden lehnten seinen Asylantrag ab und wollten ihn im Frühjahr 2018 in die afghanische Hauptstadt Kabul abschieben. Die Flüge mussten jedoch storniert werden, weil der Flüchtling beide Male nicht auffindbar war. Als er Hilfe bei der Kirchengemeinde in Immenstadt suchte, sahen die Verantwortlichen durchaus noch Chancen, ihm juristisch zu helfen.

Pfarrer habe illegalen Aufenthalt wissentlich unterstützt

Mit dem Schutz der Kirche wollten sie ihm die Möglichkeit geben, rechtliche Schritte einzuleiten. „Kirchenasyl ist die Möglichkeit, den Staat zu bitten, schaut noch mal hin bei dieser Person, da ist was übersehen worden“, erklärte Gampert. „Wenn man das berücksichtigt, kommt es hoffentlich zu einer anderen Entscheidung.“

Die Kemptener Staatsanwaltschaft wertete die Vorgänge anders. Der 23-Jährige besitze keinerlei Aufenthaltserlaubnis, so die Anklage. Mit der Aufnahme ins Kirchenasyl habe er sich der Abschiebung entziehen wollen. Der Pfarrer habe diesen illegalen Aufenthalt wissentlich begünstigt und weitere Abschiebeversuche verhindert. Die Folge: Strafbefehle. Da beide Einspruch einlegten, kam es zum Prozess.

23-Jähriger hat Schulabschluss in der Tasche

Wie es mit dem 23-Jährigen weitergeht, ist unklar. Eine Klage gegen den ablehnenden Asylfolgeantrag läuft. Der Petitionsausschuss des bayerischen Landtags setzte zudem seine Abschiebung für sechs Monate bis Anfang 2020 aus. Seitdem ist er auch nicht mehr im Kirchenasyl und darf sich frei bewegen, ohne Angst vor einer Abschiebung. Mit der Entscheidung ist er zufrieden: „Ich wünsche mir nur, dass ich bald ein normales Leben anfangen kann.“

Einen Schulabschluss hat er in der Tasche, seit September macht er in einem Möbelhaus eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Und er will heiraten. „Wenn wir alle Papiere zusammenhaben, würden wir am liebsten sofort ins Standesamt gehen“, verrät seine Verlobte.

Landeskirche wünscht sich grundsätzliche Klärung

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern ist froh über den Ausgang des Verfahrens. Aber: „Als Landeskirche hätten wir gerne eine grundsätzliche Klärung bekommen“, sagte Oberkirchenrat Michael Martin.

Für Pfarrer Gampert zählt nach der Verhandlung vor allem eines: Dass das Kirchenasyl nicht per se eine strafbare Handlung sei. Vorerst will er vorsichtiger sein, wenn an ihn und den Kirchenvorstand seiner Gemeinde wieder eine Bitte um Unterschlupf herangetragen wird. Anders sei es, wenn ein Leben bedroht sei. „Dann hoffe ich, dass wir wieder so entscheiden werden.“