Glocken, hier die der Stiftskirche, dürfen schlagen – auch wenn der Nachbar es als Lärm empfindet. Foto: Piechowski

Verwaltungsgericht hat entschieden: Glockengeläut ist Anwohnern von Kirchen zuzumuten.

Stuttgart - Glockengeläut, ob tagsüber oder nachts, ist eine zumutbare Äußerung kirchlichen Lebens. Dieser Ansicht ist das Stuttgarter Verwaltungsgericht und hat deshalb die Klage eines Kirchenanwohners aus dem Rems-Murr-Kreis zurückgewiesen.

Die Konradskirche in der Gemeinde Remshalden ist im Jahr 1491 erbaut worden. Aus lieber Tradition läuten die Kirchenglocken den Morgen ein. Bisher hielten es die Geradstettener mit dem Dichter und Pfarrer Eduard Mörike, der morgendliches Glockengeläut poetisch begrüßte:

"Angst, quäle

Dich nicht länger meine Seel'!

Freu dich! Schon sind da und dorten

Morgenglocken wach geworden."

Ein Anwohner, der etwa 100 Meter von der Kirche entfernt wohnt, sah hingegen den Wert seiner Immobilie durch den Glockenklang im Zeitraum zwischen 6 und 8 Uhr gemindert, klagte vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht - und unterlag. Das morgendliche Glockenläuten von Kirchen gilt nach dem Urteil der 11. Kammer als "zumutbare Äußerung kirchlichen Lebens". Deshalb könne es nicht durch Anwohner unterbunden werden, teilte das Gericht am Dienstag mit. Außerdem sei das Grundrecht auf freie Religionsausübung, im Paragrafen 4 des Grundgesetzes festgeschrieben, generell zu wahren. Auch der Hinweis des Klägers, er könne wegen des Glockenlärms nicht gut schlafen, brachte das Gericht nicht aus dem Konzept. Es bezog sich auf Paragraf 22 des Bundesimmissionsschutzgesetzes, wonach die Nachtruhe um 6 Uhr als beendet gelte. Auch das Bundesverwaltungsgericht sieht Glockenklang als Ausdruck freier Religionsausübung, hält ihn deshalb als zumutbar und sozialadäquat.

Gericht redet Kläger ins Gewissen

Der Mann ist nicht der Erste, der Klöppel per Gerichtsbeschluss anhalten will. Bisher haben sich die Kläger allerdings am Geräusch gestört, wie eine Gerichtssprecherin am Dienstag auf Anfrage mitteilte.

Neu an diesem Fall war, dass der Kläger sich in seiner negativen Religionsfreiheit gestört fühlte. Kurzum: Er wollte von Glaubensbekundungen verschont bleiben. Wie Mephisto, der in Johann Wolfgang von Goethes "Faust II" nörgelt:

"Jedem edlen Ohr

Kommt das Geklingel widrig vor.

Und das verfluchte Bim-Bam-Bimmel,

Umnebelnd heiteren Abendhimmel,

Mischt sich in jegliches Begebnis,

Vom ersten Bad bis zum Begräbnis,

Als wäre zwischen Bim und Baum

Das Leben ein verschollner Traum."

Das Stuttgarter Verwaltungsgericht aber redete dem Kläger ins Gewissen. Der Einzelne könne nicht beanspruchen, von Glaubensbekundungen verschont zu bleiben - was auch für Äußerungen anderer Glaubensrichtungen wie den Ruf des Muezzins gelte. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falls ließen die Richter jedoch Berufung zu.

In Stuttgart gab's den letzten Glockenstreit im Stadtteil Süd. Dort beschwerten sich Anwohner vor zwei Jahren über das nächtliche Läuten, womit die Glocken der Markuskirche die Uhrzeit anzeigten. Pfarrer Roland Martin befragte deshalb die Gemeindemitglieder. Das Votum fiel eindeutig aus: Die Glocken läuten noch heute nachts. Niemand rief seither das Gericht an.